15.07.2013 - Hamburger SV

17.000 Arbeitsstunden für zwei Minuten Choreo


Vor Saisonstart hat Faszination Fankurve die Hamburger Gruppe Chosen Few interviewt. Im ersten Teil des Interviews beschreibt die Gruppe detailliert die Arbeiten an den 45.000 Doppelhaltern für die Jubiläumschoreografie und den erfolgreichen Protest gegen Viagogo.

Faszination Fankurve: Zum 125-jährigen Vereinsjubiläum des Hamburger SV habt ihr eine spektakuläre Choreografie mit 45.000 Doppelhaltern gezeigt. Wie lief die Organisation und Herstellung dieser riesigen Choreografie von der Idee bis zur Präsentation im Stadion ab?
Chosen Few: Die Herausforderung waren erst mal die Kosten von 70.000 Euro. Die mussten durch Spenden finanziert werden. Bei der Verwaltung der Spenden und des gesamten Geldverkehrs half uns der HSV, was die Verhandlungsposition mit Lieferanten stärkte sowie größtmögliche Transparenz gegenüber den Spendern schuf und ihnen eine bequeme Online-Überweisung ermöglichte. Die Lieferanten fragten natürlich ungläubig nach, ob wir sie auf den Arm nehmen wollen. So musste ein Hersteller von Sprühlack eine komplette Wochenproduktion an Sprühdosen liefern und 36.000 Quadratmeter Stoff beschafft werden. Nicht ganz einfach und sehr zeitintensiv, da die Ware teilweise aus Asien verschifft wurde. Aus dem Stoff selbst entstanden dann die 45.000 Doppelhalter mit insgesamt rund 400 unterschiedlichen Motiven, die durch Schablonen aufgesprüht werden sollten. Am Ende wurde fast vier Wochen von 10 bis 20 Uhr in der Ü-Wagen-Halle des Stadions gebastelt, wobei wirklich alle mithalfen: Spieler, Spielerfrauen, Vorstände, Aufsichtsräte, Ultras, Hooligans, Kutten, Amateursportler und Mitarbeiter. Am Ende wurde die Choreografie fertig: „just in time“, wie man so schön sagt. Zwei Tage vor dem 125-jährigen Jubiläum war der letzte Doppelhalter fertig. Nun mussten „nur noch“ in zwei Tagen die 90.000 Stangen in die 45.000 Doppelhalter gesteckt und mit dem Aufbau des Spruchbandes begonnen werden. Dieses war 380 Meter lang und zwischen fünf und acht Meter hoch. Es beinhaltete den Satz: "Ob Titel, Triumphe und Legenden, ob Zafirov, Autowachs und rosa Hemden, unsere Geschichte ist einmalig und wird niemals enden! 125 Jahre Hamburger Sport-Verein e.V.". Danach mussten sämtliche Doppelhalter im Stadion verteilt werden. Rund 300 Leute halfen hierbei teilweise ab 8 Uhr am Morgen mit. Am Ende standen rund 17.000 Arbeitsstunden zwei Minuten entgegen, die das Spektakel dauern sollte, allerdings war es das wert und selbst die Ersatzspieler hielten Doppelhalter hoch. Das hat schon ein Wir-Gefühl geschaffen. Und nebenbei war’s ein Weltrekord.

Faszination Fankurve: Gab es Befürchtungen, dass von den 45.000 Doppelhaltern einige in den falschen Händen landen könnten, zum Beispiel bei Fans von verfeindeten Vereinen?
Chosen Few: Eigentlich nicht, zumal ja auch an diesem Tag mit Hannover 96 kein verfeindeter Verein zu Gast war. Abgesehen davon: Welchen „Fame“ soll es einer verfeindeten Szene bringen, Doppelhalter zu klauen, die eh zum Mitnehmen gedacht waren?

Faszination Fankurve: An den Protestaktionen gegen das DFL-Sicherheitspapier habt ihr euch beteiligt. Welches Fazit zieht ihr unter die Proteste und hat die Verabschiedung des Papiers eurer Meinung nach schon negative Folgen mit sich gebracht?
Chosen Few: Medial haben wir einen Schritt nach vorne gemacht. Unser Protest hat die Menschen aufgerüttelt. Sicherlich ist es auch positiv zu bewerten, dass die DFL sich endlich gesprächsbereit erklärt hat. Was dabei heraus kommt, muss man aber abwarten. Negative Folgen sind allerdings, dass die Vollkontrollen, um die es ja viel ging, nun tatsächlich von den Behörden als legitimes Mittel ansehen. Und zwar vor Inkrafttreten des Sicherheitspapiers. Dieses gilt ja erst ab der kommenden Saison. Eine abschließende Bewertung können wir daher auch noch nicht abgeben.

Faszination Fankurve: In Hamburg habt ihr erfolgreich gegen den Ticketanbieter Viagogo protestiert. Was kritisiert ihr an Viagogo und warum war euer Protest erfolgreich?
Chosen Few: Viagogo ist für uns ganz einfach eine Schwarzmarktplattform, die wir ablehnen. Was gar nicht geht, ist dann, wenn ein Verein diesen Schwarzmarkt quasi legitimiert und sogar noch daran mit verdient. Das ist verabscheuungswürdig. Und wenn sich ein Herr Peters von Schalke 04 hinstellt und allen Ernstes damit zu beschwichtigen versucht, dass ja höchstens 100 Prozent Aufschlag auf den Originalpreis erlaubt sind, dann hat der Mann ein Wahrnehmungsproblem damit, was faire Preise sind. Bei uns gab es dazu ja noch das Problem, dass der Club seit Jahren gegen Seatwave prozessierte, dem Konkurrenten von Viagogo. Der Prozess ging natürlich verloren. Wie auch immer: Der HSV hat den Vertrag gekündigt, weil ihm angeboten wurde an den relativ moderaten Dauerkartenpreisen zu drehen. So konnte der Verlust aufgefangen werden und gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass es bei den Tageskarten faire und einheitliche Preise gibt. Nun will Herr Roest von Viagogo den HSV auf Schadenersatz verklagen und als vermeintlicher Wohltäter dafür sorgen, dass mit der Summe die Dauerkarten subventioniert werden. Dieses angebliche Wohltätertum ist natürlich eine billige PR-Masche. Sollte gerichtlich entschieden werden, dass der HSV zahlen muss, werden wir daher dazu aufrufen, diesen Betrag als Spende an den Verein zurückfließen zu lassen.

Faszination Fankurve: Bei mehreren anderen Vereinen ist es später ebenfalls zu Protesten gegen Viagogo gekommen. Macht es euch stolz, dass ihr anderen Fanszenen vorgemacht habt, dass die Proteste Erfolg haben können, oder gab von eurer Seite sogar Unterstützung für andere Fanszenen bei diesem Thema?
Chosen Few: Bei diesem Thema sitzen wir ja am Ende alle in einem Boot. Sicher freuen wir uns, dass es bei uns geklappt hat aber wir unterstützen natürlich auch andere Fanszenen in ihren Bestrebungen. Schließlich findet die Hälfte aller Spiele nicht in Hamburg statt sondern auswärts und da im Zweifel auch bei Clubs, die den Pakt mit dem Teufel noch nicht aufgekündigt haben. (Faszination Fankurve, 13.07.2013)

Hier gibt es den zweiten Teil des Interviews, indem Fasziation Fankurve mit der Chosen Few über die verbrannte Zaunfahne in Düsseldorf und die deutsche Ultràszene im Jahr 2013 spricht.

Fanfotos Hamburger SV




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