22.02.2021 - Hannover 96

Anzeige gegen Polizei wurde fast ein Jahr „leider übersehen“


​Am 30. September 2017 kam es in Mönchengladbach zu einem umstrittenen Polizeieinsatz gegen mit dem Zug angereiste Hannover 96 Fans (Faszination Fankurve berichtete). Die Fanhilfe Hannover sprach damals von „Gewalt“ und „martialischem Auftreten“ der Beamten. Ein Fan erstattete Anzeige gegen die Polizei.

Eine Gruppe von Hannover 96-Fans reiste damals mit dem Zug nach Mönchengladbach. Am dortigen Hauptbahnhof stiegen die 96-Fans aus, weil man sich wegen einer Zugverspätung möglichst schnell auf den Weg zum Borussia-Park machen wollte. Die Polizei verlangte jedoch, dass die Fans bis Mönchengladbach-Rheydt weiterfahren.

Aus dem umstrittenen Polizeieinsatz, der mit einer Ingewahrsamnahme aller anwesenden Hannover 96-Fans endete, die deshalb das Spiel im Borussia-Park verpassten, entwickelte sich ein Gerichtsverfahren gegen einen während des Einsatzes verletzten Hannover-Fan. Erst Ende des Jahres 2020 wurde dieses Verfahren eingestellt.


„Der Anhänger erlitt im Zusammenhang mit den durchgeführten Maßnahmen durch einen gezielten Faustschlag eines Polizeibeamten Gesichts- und Thoraxprellungen sowie ein Schädelhirntrauma und wurde stationär im Krankenhaus behandelt. Die Bundespolizei leitete gegen den betroffenen Fan zudem noch ein Verfahren wegen Widerstandes und mehrfacher Beleidigung ein. Hieraus resultierten die Verhandlungen beim zuständigen Amtsgericht Mönchengladbach. Bereits an den ersten beiden Verhandlungstagen am 25.02.2019, sowie dem 09.09.2019, musste die Verhandlung wegen der zuvor unvollständig gewährten Akteneinsicht unterbrochen und vertagt werden. Es drängte sich der nachvollziehbare Verdacht auf, dass die Bundespolizeidirektion im Zuge der Zusammenstellung der Akten Beweismittel zurückgehalten und dem Verteidiger, Dr. Andreas Hüttl nicht zugänglich gemacht hatte. So teilte der am ersten Verhandlungstag vernommene Einsatzleiter mit, dass sich die vollständigen Videoaufzeichnungen bei einer anderen Dienststelle befinden würden. Zum zweiten Verhandlungstag erfolgte dann die Mitteilung, dass die Videobänder bei der Dienststelle des am ersten Verhandlungstag vernommenen Einsatzleiter befinden würden. Auch bei den vermeintlich belastenden Beweismitteln gab es vielfache Ungereimtheiten. Der Verteidiger des betroffenen Fanhilfe-Mitglieds beantragte daraufhin am zweiten Prozesstag eine Durchsuchung der Bundespolizeidirektion, um die Vollständigkeit der Beweismittel sicherzustellen. Aus den vorhandenen Videobändern ergab sich, dass die eingesetzten Polizeikräfte mehrfach vollkommen unverhältnismäßige, grundlose Gewalt gegen die anreisenden Fans ausgeübt haben. Im Zusammenhang mit den dokumentierten Verletzungen des Fanhilfe-Mitglieds und dem nicht übereinstimmenden Geschehensablauf im Kontext der polizeilichen Aussagen, ergaben sich klare Hinweise, dass der Angeklagte tatsächlich viel eher Opfer von Polizeigewalt wurde. Aus diesem Grund wurde schon vor Beginn des ersten Termins vor dem Amtsgericht Mönchengladbach für den betroffenen Fan von Hannover 96 über seinen Verteidiger Anzeige gegen die Einsatzkräfte wegen Körperverletzung im Amt, ebenfalls bei der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach, gestellt“, blickt die Fanhilfe Hannover nun auf den Fall zurück.

Doch die durch den Fan gegen die Polizei erstattete Anzeige wurde offenbar lange nicht berücksichtigt. Die Fanhilfe Hannover machte dies nun öffentlich: „Eine Nachfrage am ersten Verhandlungstag erbrachte jedoch, dass die Strafanzeige dort nicht bearbeitet, ja noch nicht einmal ein entsprechendes Verfahren eingeleitet wurde. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde sowie die Anregung nun ein Ermittlungsverfahren gegen den sachbearbeitenden Staatsanwalt wegen dem Vorwurf der Strafvereitelung im Amt erbrachte die Auskunft, dass die Strafanzeige über fast ein Jahr 'leider übersehen wurde'. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“

Das Verfahren gegen den Hannover 96-Fan wurde Ende 2020 letztlich noch vor Beginn der Beweisaufnahme eingestellt. Die Aufnahmen, die das Vorgehen der Polizei zeigen sollen, tauchten offenbar jedoch nie wieder auf. Die Fanhilfe Hannover fordert deshalb erneut, dass unabhängige Ermittlungsstellen bei der Polizei eingerichtet werden, an die sich von Polizeigewalt betroffene Personen wenden können. „Es sind eklatante handwerkliche Fehler, die sich im Zuge der Ermittlungen gegen Fußballfans immer wiederholen. Von selektiver Beweiszusammenstellung bis hin zu einer rein belastenden, statt be- und entlastenden Ermittlung“, fasst es ein Prozessbeobachter der Fanhilfe Hannover zusammen. (Faszination Fankurve, 22.02.2021)

Fanfotos Hannover 96




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