11.07.2018 - Eintracht Frankfurt

Auch Ultras aus Frankfurt von Abhörmaßnahmen betroffenen


Wir berichteten in den vergangenen Tagen mehrfach über die Einstellung von Ermittlungen gegen Chemie Leipzig Ultras wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Nun wurde bekannt, dass im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung der 20 Leipziger Ultras auch Ultras von Eintracht Frankfurt mit abgehört wurden.

Die Diablos Leutzsch und Ultrà Youth von Chemie Leipzig pflegen seit Jahren eine enge Fanfreundschaft zu den Ultras Frankfurt. Im Zuge dessen kommunizieren Ultras beider Verein regelmäßig miteinander und tauschten sich aus, wie es unter Freunden üblich ist. Der Nordwestkurve-Rat aus Frankfurt machte nun öffentlich, dass nach Einstellung der Ermittlungen durch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden auch Fans von Eintracht Frankfurt Post bekommen haben. Darin wurde den Eintracht-Fans erklärt, dass ihr Gespräche, Chats und SMS von und nach Leipzig überwacht wurden. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft erwiesen sich letztlich als haltlos.

Das Beispiel aus Sachsen zeigt, wie schnell aktive Fußballfans in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten können und wie schnell davon auch mit ihnen befreundete Fans betroffen sein können. (Faszination Fankurve, 11.07.2018)


Faszination Fankurve dokumentiert die Pressemitteilung des Nordwestkurve-Rats von Eintracht Frankfurt:

Hartes Erwachen

Stell dir vor, du hast einen guten Freund oder eine gute Freundin die viele Kilometer entfernt wohnt. Du siehst die Person nicht oft, bleibst aber immer im Kontakt. Ab und zu ein Telefonat oder von Zeit zu Zeit ein paar SMS. Man tauscht sich aus über die Erlebnisse des vergangenen Wochenendes, bespricht private und berufliche Dinge oder sucht einen Rat. Dummgebabbel gehört natürlich auch dazu. Eine normale Freundschaft eben.

Diese Freundschaft wird jäh erschüttert, wenn dir völlig nichts ahnend mitgeteilt wird, dass der Staat all diese Gespräche abgehört und all die Nachrichten mitgelesen hat. Du erfährst es jetzt auf gleich durch einen Brief der Staatsanwaltschaft einer weit entfernten Stadt. Du verstehst die Welt nicht mehr.

Das Szenario wirkt wie aus einem Verschwörungsfilm, ist aber traurige Realität. Es betrifft die Fanfreundschaft zwischen Fans von Eintracht Frankfurt und Chemie Leipzig. Denn: Einen solchen Brief von der Staatsanwaltschaft hatten in den vergangenen Tagen mehrere Leute aus Frankfurt im Briefkasten. Weitere dieser Art werden wohl folgen. Inhalt des Briefes ist die Info darüber, dass man im Rahmen der TKÜ-Maßnahmen in Leipzig mit abgehört wurde. TKÜ steht dabei für Telekommunikationsüberwachung.

Um das Zustandekommen der TKÜ zu erklären, muss etwas ausgeholt werden.

Zunächst gab es ein Verfahren, das schon 2013 begonnen hatte. Leute aus der linken Szene in Leipzig wurden nach diversen Übergriffen auf Nazis verdächtigt, eine kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 Strafprozessordnung gebildet zu haben. Darunter waren auch Leute aus der Fanszene von Chemie. Sie alle wurden abgehört, was zu einem mittelschweren Skandal führte, da unter anderem auch das Leipziger Fanprojekt überwacht wurde – wegen seiner Arbeit mit Fußballfans. Auch Journalisten und andere so genannte Berufsgeheimnisträger wie Anwälte und Ärzte waren betroffen – weil sie vollkommen arglos mit den Personen telefoniert hatten. Das Verfahren wurde 2016 eingestellt.

Bei der Einstellung liefen bereits drei weitere Ermittlungsverfahren. Nun auch explizit gegen die Diablos und die Ultrà Youth von Chemie, die naturgemäß jede Menge freundschaftliche Verhältnisse nach Frankfurt haben. Ihnen wurde zur Last gelegt, dass sie eine kriminelle Vereinigung darstellen. Alle gruppentypischen Handlungen wurden dahingehend gedeutet. Beispiele dafür sind: regelmäßige Treffen = Bildung einer kriminellen Vereinigung; Rund-SMS = Beleg für geheime Vorgehensweisen; der traditionelle Chemie-Weihnachtsmarkt in Kooperation mit dem Verein = Geldbeschaffung für illegale Aktivitäten. Alles hanebüchen, alles Blödsinn, alles haltlos. Am 20. Juni wurden deshalb die Verfahren eingestellt.

Im Zuge der Verfahrenseinstellung bekamen mehrere Frankfurter Post. Post, weil man mit Menschen Kontakt hatte, gegen die erfolglos wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wurde. Ist die Schikane nicht schon skandalös genug, erschreckt die Reichweite der Untersuchung umso mehr. Ohne stichhaltige Beweise zu haben, wurden Leute aus unserer Mitte, aus unserer Kurve Opfer des Ermittlungswahns. Ein einfacher Kontakt nach Leipzig reicht aus, um ins Fahndungsraster zu geraten. Die Privatsphäre, das oberste persönliche Gut, wird ohne expliziten Verdacht aufgehoben.

Die Farce in Leipzig zeigt, dass wir alle betroffen sind. Zwar könnte man in Frankfurt sagen, weit weg und das betrifft uns ja nur am Rand. Doch was ist, wenn die Praktiken auch in Frankfurt Anwendung finden? Das Beispiel aus Leipzig zeigt eindrucksvoll, dass ein Kontakt reicht um Teil einer Ermittlung zu werden und wie sehr geltendes Recht gebeugt werden kann. Gerade dem Versuch die staatliche Repression auszuweiten, gilt es entgegen zu treten. Nicht alle Vorgehensweisen der Ermittlungsbehörden sind legitim und einfach so abzunicken.

Einmal mehr möchten wir euch also darauf hinzuweisen, dass alles was ihr tut, speziell in der elektronischen Kommunikation, im Fokus stehen kann. Speziell als Fußballfan sind wir schon lange weg von der Annahme, dass man für eine absurde Überwachung auch nur ansatzweise irgendwelche Gesetze gebrochen haben muss.

Das Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig zum Thema.
Die Diablos Leutzsch zum Thema.
Die BSG Chemie Leipzig zum Thema.

Fanfotos Eintracht Frankfurt




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