01.06.2004 - Werder Bremen

Erfolg verpflichtet Fans und Mannschaft meisterlich


„Es begann mit einem Schuss vor den Bug“, sagt Werder-Fan Mike Redmann rückblickend. „Aber gut, dass es so gekommen ist, denn die Mehrbelastung durch eine Teilnahme am UEFA-Cup hätte uns in dieser Saison möglicherweise den Titel gekostet.“ Er redet vom 0:4 in Pasching, von der peinlichen UI-Cup-Niederlage im österreichischen „Fußball-Dorf“. Keiner der mitgereisten 400 Bremer Fans ahnte an diesem Mittwochabend im Sommer 2003, was sich in den folgenden Monaten abspielen sollte.

Seit Oktober blieb Werder 27 Spiele in Folge ungeschlagen und steuerte unaufhaltsam auf den Titel zu. Innerhalb dieses Zeitraums sprengte der Hype um den Club alle Dimensionen. Kamen in der Hinrunde noch durchschnittlich 35.366 Fans ins Weserstadion, so waren es in der Rückrunde 40.563 – nur die Kapazitätsgrenze ließ keine höhere Zahl zu. Man hat den Eindruck, die Fanszene wurde von der auf der Erfolgswelle schwimmenden Mannschaft schlichtweg überrascht und überrannt, hat aber alle Kräfte mobilisiert, um mitzuhalten. Mit Erfolg, denn in der Schlussphase wurden einige Atmohöhepunkte gesetzt.

„Am Ende haben wir ja fast in jedem Spiel etwas gemacht“, sagt Frank Büßeler von der „Eastside“. „Wir waren alle sehr motiviert, haben kleinere interne Meinungsverschiedenheiten unter den Teppich gekehrt, um das alles umzusetzen. Gegen Hamburg und Hannover hätten wir auch eine Aktion hingelegt, wenn wir nicht im Meisterschaftsrennen gewesen wären. Die gegen Leverkusen war dann aber die Zugabe“, bilanziert Mike Redmann und ergänzt: „Keine Gruppierung hatte einen Etat für eine eventuelle Meisterschaft eingeplant, und wenn es dann so kommt, muss jeder doppelt und dreifach arbeiten, um da mitzuhalten. Zum letzten Spiel muss man auf jeden Fall noch mal ein Highlight setzen, und das geht nicht mit 20 Euro in der Kasse!“

Viel Arbeit also für den aktiven Teil der Werder-Fans, denn dieser hat sich in den wenigen Monaten noch nicht übermäßig vergrößert. „Das kommt erst in den nächsten zwei Jahren, wenn sich die Auswirkungen dieser Saison zeigen“, prophezeit Redmann.

Bei Auswärtsspielen zeigte sich der Enthusiasmus schon während der Meistersaison: 8.000 Werderaner fuhren sonntags nach Wolfsburg. „Normalerweise sind es aber maximal 3.000“, sagt Büßeler. 32.000 Kartenbestellungen lagen für das Saisonfinale in Rostock vor. Bei Hansa hatte man den Verkauf schon längst ausgesetzt, da man befürchtete, ein Auswärtsspiel zu haben. Am Ende sollte dieses nicht entscheidend sein – Karten gab es wieder zur genüge und schließlich reisten „nur“ 6.000 Bremer zu einem eigentlich unbedeutenden Spiel an.

Die Entscheidung war nämlich schon zwei Wochen zuvor gefallen. 10.000 Grün-Weiße konnten in München dabei sein. Die beiden Busbesatzungen der „Eastside 97“ feierten den Titel noch bis 20 Uhr im Stadion, verließen zusammen mit dem Mannschaftsbus als Letzte den Olympiapark und konnten sich erst am nächsten Morgen um sechs Uhr in die Feierlichkeiten in Bremen stürzen. Die 600 Sonderzug-Fahrer räumten nachts um 24 Uhr die bayrische Hauptstadt und waren um 8:40 Uhr zurück.

Gut neun Stunden zuvor hatten 15.000 daheimgebliebene Fans am Bremer Flughafen die Absperrungen überrannt und die Rollbahn gestürmt. Die Maschine mit den Meistern kam schon weit vor der vorgesehenen Parkposition zum Stehen. Da der Bremen Flughafen nun nicht gerade ein Verkehrskontenpunkt ist, endete die Begeisterung nicht im Chaos – die wenigen ankommenden Maschinen konnten über die Nebenbahnen abgewickelt werden. Hieraus hat man gelernt: Um bei der Rückkehr der Mannschaft aus Berlin nach dem DFB-Pokalfinale dabei zu sein, musste man sich im Vorfeld akkreditieren.

Eine Woche nach dem Gewinn der Meisterschaft folgte das Heimspiel gegen Leverkusen, die Übergabe der Meisterschale und der Höhepunkt der Feierlichkeiten. Schon vor dem Spiel heizten die Dimple Minds die Fans im Ostkurvensaal ein, trommelten hierfür sogar die Originalbesatzung zusammen. Davor hatte sich die Bremer Punk-Band „Die Mimis“ aufgebaut und ihren 20 Jahre alten Hit „Deutscher Meister wird der SVW!“ gesungen. Im Stadion wurde später noch die neue Werder-Hymne „Lebenslang grün-weiß“ präsentiert – mit Erfolg: Einstieg in die deutschen Charts auf Platz 51. Zum Höhepunkt des Tages präsentierten die Fans die erste Rundum-Choreografie im Weserstadion. Unter der Woche wurde sogar im Radio und auf werder-online.de Werbung dafür gemacht, dass alle Fans unbedingt ihre Schals und Fahnen mit ins Stadion bringen – die Aktion gelang, wie viele in den Wochen zuvor.

Auf der Erfolgswelle wollten natürlich auch viele nicht-lizensierte Fan-Artikel-Anbieter mitschwimmen. Rund um das Stadion wurden gleich mehrere „fliegende Händler“ festgenommen und Waren sowie Bargeld im Wert von mehr als 10.000 Euro beschlagnahmt. Insgesamt zählte man 19 verschiedene „Meisterschafts-T-Shirts“. Dabei verkauft sich das offizielle Shirt deutlich besser als erwartet. Mit 4.000 hatte man gerechnet, inzwischen sind schon 14.000 – trotz zwischenzeitlicher Lieferschwierigkeiten - abgesetzt.

Nach dem Spiel gegen Leverkusen passierte in Bremen das, was aus Angst vor DFL-Strafen schon längst nicht mehr Standard bei Meisterschafts- oder Aufstiegsfeiern ist: Ein Platzsturm. „Der Verein wollte das natürlich verhindern, da man Angst um den Rasen und die Werbebanden hatte. Es drängten aber immer mehr Leute nach, so dass die Ordner schließlich nachgaben. Die Polizeikette vor der Ostkurve hatte ohnehin schon keinen Sinn mehr, da von anderen Seiten bereits Leute in den Innenraum gelaufen waren“, erinnert sich Redmann. Es lief schließlich alles in geordneten Bahnen ab und nur wenige Fans sicherten sich ihr Stück „Souvenir-Rasen“. Am darauf folgenden Freitag konnte das Spiel der Werder-Amateure gegen Dresden ohne Probleme gespielt werden und auch das Gartenbauamt meldete: „Nur minimaler Schaden. Die günstigste Reparatur, die wir je hatten.“

Dafür kostet den Verein inzwischen jede Trainingseinheit Geld. Um diese überhaupt durchführen zu können, müssen Ordner engagiert werden. Dort, wo sonst nur knapp mehr als 20 Leute zuschauen, kommen inzwischen Schulklassen auf Wandertag oder mit Grill bewaffnete Kegelclubs.

Bester Gradmesser für die Euphorie ist die Mitgliederzahl: „Zum 30. April 2002 hatte der SV Werder 3.000 Mitglieder, im Mai 2004 wurde die 15.000er Marke durchbrochen“, schwärmt Mediendirektor Tino Polster. „Wir haben zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Maßnahmen ergriffen. Unsere Offensive zur Gewinnung neuer Mitglieder kam parallel zum sportlichen Aufschwung. Allein durch unsere „Ich will Dich“-Kampagne, in der sich Freunde unseres Vereins ohne großen Aufwand online registrieren können, haben wir seit dem 1. Dezember 2003 etwa 7.000 Mitglieder hinzu gewonnen.“

Auch bei den Dauerkarten rechnet Werder mit einem deutlichen Zuwachs, nicht zuletzt bedingt durch die erhöhte Kapazität des Weserstadions von 42.500 Plätzen (vormals 35.282). „Allein schon durch das Vorkaufsrecht für die Champions League werden sich zahlreiche zusätzliche Fans ihr Saison-Ticket sichern. Ich denke, die Zahl wird sich bei 25.000 Abonnements einpendeln“, schätzt Polster. Die Stadion-Kapazität für Europapokal-Spiele liegt jedoch bei gut 35.000, also noch Möglichkeiten nach oben? „Spielraum sicherlich, aber lassen wir die Kirche mal im Dorf. Wir haben in den vergangenen Wochen in dieser Region ziemlich viele Grenzen gesprengt. Aber diese Zahl werden wir wohl nicht knacken“, vermutet Polster. (Faszination Fankurve, 01.06.2004)

Fanfotos Werder Bremen




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