06.12.2017 - SV Darmstadt 98

Fanprojekt Darmstadt kritisiert Durchsuchung


Am vergangenen Sonntag wurde das Fanprojekt Darmstadt von der Polizei durchsucht, nachdem es zu einem Raub kam und die Polizei die Täter unter den Fanprojekt-Besuchern vermutete (Faszination Fankurve berichtete). Heute hat sich das Fanprojekt Darmstadt zu den Durchsuchungen geäußert. (Faszination Fankurve, 06.12.2017)

Faszination Fankurve dokumentiert die Stellungnahme vom Fanprojekt Darmstadt:

Stellungnahme des Internationalen Bundes (IB) und seines Fanprojekts zum Polizeieinsatz in den Räumlichkeiten des Fanprojekts in Darmstadt am 3.12.2017, nach dem Spiel gegen SSV Jahn Regensburg

Nach dem Heimspiel gegen Regensburg am vergangenen Sonntag soll sich nach Angaben der Polizei ein Raubüberfall ereignet haben. Entwendet wurden Fanutensilien aus der Regensburger Fanszene, verletzt wurde nach unseren Informationen niemand. Es sollen Personen aus der Darmstädter Fanszene involviert gewesen sein, die dabei beobachtet worden seien, wie sie in Richtung der Räumlichkeiten des Fanprojekts gelaufen wären. Hier hatten sich zwischenzeitlich, nach Spielende, ca. 60 junge Fans zur diesjährigen Weihnachtsfeier versammelt, als ca. zehn Mannschaftswagen der Polizei in der Erbacher Straße vorfuhren und die Räumlichkeiten des Fanprojekts umstellten. Auf der Grundlage eines Durchsuchungsbefehls wurden alle Besucher/innen der Weihnachtsfeier aufgefordert, auf die Straße zu treten. Hier wurden sie von ebenfalls ca. 60 Polizeibeamten/-innen einer Personalienfeststellung unterzogen und es wurden Lichtbilder gefertigt. Nachbarschaft und Passanten konnten beobachten, wie unsere Jugendlichen mit erhobenen Armen an den Wänden der Nachbarhäuser standen, abgetastet und fotografiert wurden – es bot sich ein krasses Bild. Dies alles mit dem Ergebnis, dass letztendlich keinerlei Hinweise auf eine Straftat gefunden wurden.

Das Fanprojekt und sein Träger, der Internationale Bund (IB), distanzieren sich grundsätzlich von Gewaltdelikten jeglicher Art. Wir kritisieren diesen Polizeieinsatz scharf und sehen uns in der Pflicht, Stellung zu den Vorfällen zu beziehen, da sich für uns aufgrund der Massivität des polizeilichen Auftretens die Frage nach dessen Verhältnismäßigkeit stellt. Dies besonders vor dem Hintergrund einer bisher guten, konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Fanprojekt und der Polizei – Bundes-, Landes- und lokaler Polizei – wie sie über viele Jahre rund um das Spielgeschehen und im Projektbeirat aufgebaut werden konnte. Das Fanprojekt als pädagogische Einrichtung und dessen Auftrag müssten der Polizei gut bekannt sein. Umso drastischer und fragwürdiger erscheint die Durchsuchung unserer Einrichtung und die Personenkontrolle all seiner Besucher/innen in der oben beschriebenen Form.

Bekanntermaßen arbeitet das Fanprojekt auf der Grundlage des Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit (NKSS) und verfolgt einen sozialpädagogisch präventiven Ansatz. Kern unserer Arbeit ist es, junge Fans an eine aktive, kreative und gewaltfreie Fankultur heranzuführen, was auch z.B. in Form von sozialpädagogisch begleiteten U-18-Fahrten gefördert wird.

Seit Bestehen des Fanprojektes vor 15 Jahren konnten wir uns als wichtige Säule in der Fanarbeit in Darmstadt institutionalisieren. Unter der Woche und auch bei Heimspielen sind unsere Räumlichkeiten ein wichtiger Anlaufpunkt für die aktive Fanszene und deren Umfeld. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden hier in ihrer Lebenssituation und ihren Problemlagen unterstützt und ernst genommen. Fanprojektarbeit ist ein unverzichtbarer Bestandteil im Fußballalltag und sollte von daher allseits geschätzt, unterstützt und gefördert werden.

Über die vielen Jahre seiner Existenz hinweg ist es den Fanprojektmitarbeiter/innen gelungen, nicht nur bei ihren Kooperationspartner/innen, sondern vor allem bei den überwiegend jungen Fans – und nicht zu vergessen bei den Eltern noch nicht volljähriger Fans – Akzeptanz und Vertrauen aufzubauen. Letztendlich trägt das Fanprojekt nicht unwesentlich dazu bei, dass die Heimspiele des SV Darmstadt 98 stress- und gewaltfrei ablaufen.

Die Durchsuchungsaktion am vergangenen Sonntag ist dazu geeignet, uns um Jahre in unserer Arbeit zurückzuwerfen. Einige der in diese massive Polizeiaktion involvierten Jugendlichen waren zum ersten Mal Gast im Fanprojekt, noch nicht volljährig und hatten bisher noch keinerlei Kontakt mit der Polizei.

Wie kann unsere Klientel unsere Räumlichkeiten nach diesen Geschehnissen noch als geschützten Raum und sicheren Rückzugsort betrachten? Es steht zu befürchten, dass auch einige Eltern in Zukunft Bedenken haben, ihre Kinder „in unsere Hände“ zu geben.

Und wie können wir als Fanprojekt auch weiterhin Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Fanszene begreiflich machen, dass es sinnvoll und erforderlich ist, unvoreingenommen mit der Polizei zusammenzuarbeiten? Der Polizeieinsatz vom vergangenen Sonntag hat nicht nur Auswirkungen auf jede einzelne anwesende Person, sondern auch auf uns als „Institution in der Fanszene“ und auf unseren sozialpädagogischen Auftrag.

Wir sind der Überzeugung, dass es andere, angemessenere Mittel und Wege der Ermittlung hätte geben müssen, ohne die pädagogische Institution Fanprojekt derart massiv zu belasten.

Für uns sind die Geschehnisse von Sonntagabend noch nicht abgehakt. Es stehen noch viele Fragen im Raum. Und es gilt, Vertrauen zurückzugewinnen. Dies kann nur über einen offenen Dialog gehen und müsste im Interesse aller sein, deren Aufgabe es ist, für sichere und gewaltfreie Bedingungen rund um den Fußball zu sorgen.

Wir erwarten daher von der Polizei und den politisch Verantwortlichen, gemeinsam mit uns, diesen Vorfall kritisch aufzuarbeiten und nach Wegen zu suchen, wie das gestörte Vertrauensverhältnis wieder aufgebaut werden kann.

Fanfotos SV Darmstadt 98




Weitere News:
25.07.2021: Lilien-Fans feiern 100 Jahre Böllenfalltor mit Pyroshow
23.07.2021: Keine organisierte Stimmung am Böllenfalltor
16.01.2021: Podcast über die Fanszene von Darmstadt 98
23.09.2020: „Keine organisierten Besuche als Ultras“
17.07.2020: „Missbraucht unsere Zuneigung, unsere Liebe & Solidarität“

Alle 168 News anzeigen