11.12.2017 - Ultras

„Fußballfans als Staatsfeind Nr.1?“ Ein Kommentar


Nachdem es in der vergangenen Woche zu zahlreichen Wohnungsdurchsuchungen bei Ultras von Dynamo Dresden kam, folgte am vergangenen Wochenende eine Welle der Solidarität in den Fankurven des Landes, weil die Staatsmacht am Dienstag mit Kanonen auf Spatzen geschossen hat.

Die Fans des FSV Zwickau, die eine Fanfreundschaft nach Dresden pflegen, brachten mit dem Spruchband „Fußballfans als Staatsfeind Nr.1?“ auf den Punkt, was viele Ultras und Fußballfans in Deutschland nach den Durchsuchungen bei Dynamo Dresden-Fans dachten. Doch auch in anderen Kurven wurde Kritik an den Durchsuchungen geäußert und sich über das Vorgehen der Beamten lustig gemacht.


370 Polizisten waren am vergangenen Dienstag in Sachsen, Brandenburg, Baden-Württemberg und sogar in der Schweiz im Einsatz, um Wohnungen und Geschäftsräume von 28 tatverdächtigen Personen zu durchsuchen. Auch das Fanprojekt Dresden war betroffen (Faszination Fankurve berichtete). Seit den Durchsuchungen, bei denen zahlreiche Mobiltelefone, Computer, Speichermedien und auch Pyrotechnik sichergestellt wurde, fragen sich viele Fußballfans in Deutschland, ob Polizei und Staatsanwaltschaft zu weit gegangen ist. Die Webseite der Ultras Dynamo war ab Dienstag nicht mehr zu erreichen, ist zum Wochenstart aber wieder online gegangen. Beim Auswärtsspiel in Berlin war die Gruppe wie gewohnt im Stadion am Start.


Grund für die Durchsuchungen waren die Vorfälle vom Dynamo-Auswärtsspiel in Karlsruhe, wohin die Dynamo-Fanszene eine „Footballarmy Dynamo Dresden“-Mottotour organisierte, die spontan um das Motto „Krieg dem DFB“ erweitert wurde

Anlässlich des Zweitligaspiels von Dynamo Dresden beim Karlsruher SC sollen am 14. Mai 20017 insgesamt 15 Polizeibeamte und 21 Ordner leicht verletzt worden sein. Die Polizei Karlsruhe erklärte damals auf Nachfrage von Faszination Fankurve, dass keiner der Beamten schwer verletzt wurde oder stationär im Krankenhaus behandelt werden musste. Bei den 15 verletzten Polizeibeamten handelte es sich demnach durchweg um Knalltraumata, die durch zahlreiche Böller ausgelöst wurden, die von Dynamo Fans geworfen wurden. Doch die Durchsuchungen richteten sich nicht gegen Dynamo-Fans, denen vorgeworfen wird, Böller geworfen zu haben oder den Eingang zum Gästeblock des Wildparkstadions gestürmt zu haben, sondern gegen Führungspersonen der Dresdner Ultras denen von der Staatsanwaltschaft die Organisation der Mottotour vorgeworfen wird.

Sollen führende Personen der Ultràgruppen zukünftig für jeden geworfenen Böller und jede abgeschossene Rakete im mit tausenden Fans gefüllten Gästeblock verantwortlich gemacht werden? Und was verspricht man sich von einem solchen Vorgehen? Zu einer Beruhigung der Lage wird es sicherlich nicht führen. Sind es nicht häufig eben jene Führungspersonen von Ultràgruppen, die Probleme und Entgleisungen von Fanszenen immer wieder offen ansprechen und für Selbstregulierung sorgen. Hier ist Dynamo Dresden mit dem ehemaligen Vorsänger Lehmi nach den Vorfällen anlässlich des Aufstiegs in Magdeburg ein gutes Beispiel. Doch in Zeiten, in denen sich Polizeipräsidenten, Polizeigewerkschafter und Politiker mit populistischen Aussagen über Fußballfans geradezu überbieten, scheint es im Trend zu liegen, harte Hand gegenüber Fußballfans und Jugendkulturen zu zeigen.

Die Durchsuchungen mit dem Schwerpunkt auf Dresden und Umgebung muss man wohl auch in diesen Kontext der aktuellen Stimmungslage setzten. In Sachsen, wo kurz nach den Durchsuchungen eine Innenministerkonferenz in Leipzig, einer Stadt, wo es Ermittlungen gegen eine Ultràgruppe als kriminelle Vereinigung gibt, stattfand und in Baden Württemberg, wo Dynamo-Fans beim Spiel in Freiburg zuletzt die harte Hand des Staates zu spüren bekamen, scheinen Fußballfans schon länger in den Fokus von Polizei und Behörden gerückt zu sein.

Wenn der Polizeipräsident von Dortmund wie zuletzt die Einführung von personalisierten Tickets, reduzierten Gästekontingenten und lebenslangen Stadionverboten fordert, damit die Polizei sich mehr den Wohnungseinbrüchen und der Terrorbekämpfung widmen könne, muss die Frage gestattet sein, ob sich die Polizei bei der Kriminalisierung von Fußballfans nicht selbst zu viel Arbeit macht und somit für Überstunden bei den Beamten sorgt. Die von Polizei und Staatsanwaltschaft Karlsruhe durchgeführten Durchsuchungen sind hier wohl ein gutes Beispiel.


Wenn ein alter Trabant, mit dem der Fanmarsch der Dynamo-Fans in Karlsruhe angeführt wurde, von der Polizei beschlagnahmt wird, ist nicht ersichtlich, wie dieses Verhalten der Beamten zur Aufklärung von Straftaten führen soll. Dies wurde am Wochenende auch von Fans in den Fankurven thematisiert. „400 Bullen beschlagnahmen einen Trabant - Was ist bloß los in unserem Land?“, fragten Hansa-Fans auf der Südtribüne Rostock. In der HFC-Fankurve in Halle war hingegen ein „Den Trabant in seinem Lauf hält weder Richter noch Bulle auf“.

#Heimsieg #fchcfc #ahu #afdfch #läuft #Hansa #Rostock

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Durch die Durchsuchung des Fanprojekts in Dresden haben die Beamten für weiteres Unverständnis bei Fußballfans in ganz Deutschland gesorgt. „Wer pädagogische Zentren stürmt - nimmt in Kauf, dass sich auch die nächste Generation entzürnt!“, schrieben Union Berlin-Fans deshalb auf ein Plakat und auf der Dortmunder Südtribüne war „Der Bullenstaat kennt keine Grenzen – Fanprojekte schützen!“ zu lesen.


Es geht nicht darum, dass Polizei und Staatsanwaltschaft nicht ermitteln sollen, wenn es konkrete tatverdächtige Personen gibt, die Polizisten oder Ordner verletzt haben sollen. Problematisch wird es hingegen, wenn man wegen mangelnder Ermittlungsergebnisse und unter hinzuziehen unverhältnismäßiger Maßnahmen versucht, eine ganze Jugendbewegung zu kriminalisieren. (Faszination Fankurve, 11.12.2017)







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