15.03.2016 - 1. FC Magdeburg / Hallescher FC

​Geheime Dateien über Fans auch in Sachsen-Anhalt


Die Fanhilfe Magdeburg hat mit Hilfe eines Politikers von der Linken eine kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt, bei der herauskam, dass Szenekundige Polizeibeamte auch in Sachsen-Anhalt Dateien führten, in denen Fußballfans ohne deren Wissen gespeichert wurden.

Von 2006 bis in den März 2015 wurde in Sachsen Anhalt die Datei „Erkenntnisgewinnung für Szenekundige Beamte“ (EfSKB) geführt. In Halle gab es zudem die Datei „Gewalttäter Sport mit Bezug zum Halleschen FC“, die vom 9. Juli 2015 an geführt wurde und vier Wochen nach der Kleinen Anfrage der Fanhilfe Magdeburg am 22. Februar 2016 eingestellt wurde.

Ob die Fußballfanszene in Sachsen-Anhalt durch V-Männer beobachtet und infiltriert wird, hat die Landesregierung nicht eindeutig beantwortet. „Fußballfans durch geheimdienstliche Methoden zu kriminalisieren schafft kein Vertrauen, vielmehr wird das ohnehin schon zerrüttete Verhältnis zwischen Fußballfans und staatlichen Organen sowohl durch geheime Datensammlungen, als auch durch den möglichen Einsatz von V-Leuten weiter nachhaltig gestört“, meint die Fanhilfe Magdeburg dazu. (Faszination Fankurve, 15.03.2016)

Faszination Fankurve dokumentiert die Mitteilung der Fanhilfe Magdeburg:

Geheime Datensammlung über Fußballfans auch in Sachsen-Anhalt entdeckt

Die bekannte und bundesweit geführte Datei „Gewalttäter Sport“ ist nur die Spitze des Eisberges. Bereits 2015 kam an die Öffentlichkeit, dass die Datensammelwut auf Länderebene eine neue Dimension erreicht hat. So hat die Polizei in mittlerweile mehr als der Hälfte aller Bundesländer systematisch viel weitergehende Datensammlungen angelegt und darüber hinaus dessen Existenz verschleiert. Zwei so genannte „Arbeitsdateien für szenekundigen Beamten“ hat nun auch das Land Sachsen-Anhalt zugegeben.

Bereits über 20 Jahre ist es her, da wurde die Datei „Gewalttäter Sport“ eingerichtet. In der Errichtungsanordnung heißt es zum Zweck der Datei u. a.: „Die Datei dient der Verhinderung gewalttätiger Auseinandersetzungen und sonstiger Straftaten im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen, insbesondere von Fußballspielen, durch recherchefähige Erfassung […], soweit diese im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen festgestellt wurden.“ Weiterhin heißt es in dem Dokument: „Die Datei ermöglicht das Gewinnen von Anhaltspunkten für das sachgerechte und wirksame Treffen von Eingriffsmaßnahmen und liefert der Polizei Erkenntnisse für organisatorische und taktische Maßnahmen.“

Zu einer Datenspeicherung bedarf es nicht viel, oftmals reicht schon eine bloße Identitätsfeststellung. Ein Eintrag in der Datei bringt oft erhebliche Einschränkungen im täglichen Leben, z. B. bei Urlaubsreisen, für die Betroffenen mit sich. Der Betroffene selbst erfährt nicht, dass seine Daten gespeichert wurden und eine Löschung der Datei ist äußerst schwierig. Weiterführende Informationen zur Datei Gewalttäter Sport sind unter anderen unter auf http://www.profans.de/gewalttater-sport oder auf den Homepages anderer Fanhilfen zu finden.

Nun könnte man annehmen, dass diese bundesweit vom BKA geführte Datei ausreichend ist, um die Erkenntnisse der so genannten „szenekundigen Beamten“ zu führen. Dem ist offenbar nicht so bzw. bietet die GWS-Datei offenbar nicht ausreichend Möglichkeiten all das zu „archivieren“, was der Freund und Helfer gern gespeichert wissen möchte. Und so führen viele Bundesländer parallel weitere Dateien – und das zumeist geheim. Und offenbar sind in diesen Dateien mittlerweile deutlich mehr Personen gespeichert als in der bundesweit geführten Datei.

Mittlerweile mussten die Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Berlin, Schleswig-Holstein, Hamburg und zuletzt auch Mecklenburg Vorpommern nicht ganz freiwillig die Existenz (teilweise auch im Unwissen des Landesdatenschutzbeauftragten!) einer solchen Datei zugeben. Sachsen hingegen führt seine Geheimdatei seit 2014 nicht mehr. Nicht ganz unerwartet gesellt sich nun auch das Land Sachsen-Anhalt dazu.

Datei „Erkenntnisgewinnung für szenekundige Beamte“

Aufgrund der Erkenntnisse in den anderen Bundesländern initiierte die Fanhilfe Magdeburg Anfang 2016 eine kleine Anfrage bei der Landesregierung. Auf offene Ohren stießen wir dabei auf Dennis Jannack, Mitglied im Stadtrat und der Fanhilfe Magdeburg sowie Uwe Loos, Landtagsabgeordneter und Sprecher für Sportpolitik von „DIE LINKE“. Wir wollten von der Landesregierung in dem Zusammenhang wissen, ob die Landesregierung Kenntnis von einer solchen Datei auch in Sachsen-Anhalt hat. Weiterhin hinterfragten wir in einer weiteren kleinen Anfrage den Einsatz von V-Leuten in Fußballszene in Sachsen-Anhalt.

Unsere Anfrage bzgl. der SKB-Dateien vom 25. Januar 2016 beantwortete das Ministerium für Inneres und Sport am 4. März 2016 u. a. wie folgt:

„Die Polizei Sachsen-Anhalt führt derzeit keine weiteren (sog. SKB-) Dateien. Um eine sachgerechte Information zu gewährleisten, wird im Nachfolgenden auch auf aktuell nicht mehr geführte Dateien im Sinne der Kleinen Anfrage eingegangen. Im Jahr 2006 hatte das Land Sachsen-Anhalt die Datei „Erkenntnisgewinnung für Szenekundige Beamte“ (EfSKB) eingerichtet, da die Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ aufgrund eingeschränkter Recherchemöglichkeiten insbesondere für die Erstellung von Gefahrenprognosen im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen nicht
ausreichend war. Es handelte sich um ein automatisiertes Abrufverfahren, welches nach § 13a des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt in Verbindung mit § 7 Abs. 3 Datenschutzgesetz Sachsen-Anhalt der Unterrichtung des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt unterlag.
Die Datei wird seit März 2015 nicht mehr geführt.“

Weiterhin heißt es in dem Dokument:

„Durch die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd wurde im Polizeirevier Halle auf der Grundlage eines vom behördlichen Datenschutzbeauftragten am 9. Juli 2015 unterzeichneten Verfahrensverzeichnisses eine Datei „Gewalttäter Sport mit Bezug zum Halleschen FC“ geführt. Seit dem 22. Februar 2016 wird diese Datei nicht mehr geführt.“

Halten wir also fest:

das Land Sachsen-Anhalt führte ca. neun Jahre, konkret von 2006 bis 2015, eine Datei mit dem Namen „Erkenntnisgewinnung für Szenekundige Beamte“ (EfSKB)

die erst am 9. Juli 2015 eingeführte Datei „Gewalttäter Sport mit Bezug zum Halleschen FC“ wird ca. vier Wochen nach Einreichung unserer Anfrage eingestellt

Fanhilfemitglied und Stadtrat Dennis Jannack dazu: „Zum Glück wurden die geheimen Datensammlungen über Fußballfans beendet. Welche sensiblen Daten gesammelt wurden, ist damit jedoch nicht mehr nachvollziehbar. Sieht man sich Antworten auf ähnliche Anfragen in anderen Bundesländern an, dürfte da einiges an Daten zusammengekommen sein. Es ist ein Skandal, dass Menschen, die strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sind, geheime Dateien mit ihren persönlichen Daten füllen.“

Einsatz von verdeckten Ermittlern (V-Leute) beim Fußball

Nebulös fällt hingegen die Antwort zum Einsatz von V-Leuten in der Fanszene aus. Exemplarisch sei an dieser Stelle folgender Absatz zitiert:

„Unterstellt man, dass Informanten in Anspruch genommen bzw. Vertrauenspersonenoder Verdeckte Ermittler in den Fußball-Fanszenen des Landes für die Polizei oder die Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt eingesetzt waren - ob dies tatsächlich der Fall war, bleibt hier ausdrücklich offen -, dann könnten durchaus im Wege eines Ausschlussverfahrens Rückschlüsse auf die Identität der betreffenden Personen gezogen werden. Dies könnte zu Rachetaten gegenüber diesen Personen und ihrer Angehörigen führen, die geeignet wären, deren Leib, Leben und Freiheit langfristig zu gefährden.“

Sehr viele Rückschlüsse lassen sich aus dieser Antwort nicht schließen. Liest man zwischen den Zeilen, bietet diese Aussage jedoch jede Menge Raum für Spekulation. Fakt ist, dass die Landesregierung hätte klarstellen können: „Wir haben keine V-Leute im Einsatz!“, was sie explizit jedoch nicht getan hat. Ob dies bewusst oder unbewusst geschah, lassen wir an dieser Stelle unkommentiert.

Was wir jedoch nicht unkommentiert lassen, ist der Umstand, dass über Jahre geheim und systematisch Daten über Fußballfans gesammelt wurden. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sieht vor, dass grundsätzlich jeder selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten bestimmen darf. In der Theorie wäre das vermutlich auch in Sachsen-Anhalt möglich gewesen. Wie sich das in der Praxis bei geheim geführten Dateien darstellt, kann sich jeder selbst beantworten. Fußballfans durch geheimdienstliche Methoden zu kriminalisieren schafft kein Vertrauen, vielmehr wird das ohnehin schon zerrüttete Verhältnis zwischen Fußballfans und staatlichen Organen sowohl durch geheime Datensammlungen, als auch durch den möglichen Einsatz von V-Leuten weiter nachhaltig gestört.






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