09.11.2017 - TSV 1860 München

Gerichtshof für Menschenrechte gibt 1860-Fans recht


Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab heute zwei Fans des TSV 1860 München recht, die im Dezember 2007 von Polizisten mit Pfefferspray bzw. mit einem Schlagstock attackiert wurden. Wegen fehlender Kennzeichnung waren die Polizisten nicht zu identifizieren.

Das Gericht bestätigte heute, dass die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft unzureichend waren, um die Täter in Uniform zu identifizieren. Wegen der fehlenden Kennzeichnungspflicht bzw. fehlenden Namenschildern und den einheitlichen Uniformen waren die für die Verletzungen der 1860 München Fans verantwortlichen Polizisten nicht zu identifizieren. Dennoch wurden nicht alle eingesetzten Beamten der entsprechenden Einsatzgruppen zu den Vorfällen befragt. Zudem wurde Videomaterial der Geschehnisse von der Polizei zusammengeschnitten, weshalb entscheidende Szenen fehlten, die nie wieder auftauchten.


Nach dem Amateurderby in München zwischen den zweiten Mannschaften von 1860 und dem FC Bayern kam es am 09. Dezember 2007 zu einer Blocksperre am Grünwalder Stadion. Als diese aufgehoben wurde bekam einer der beiden Fans, die bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zogen, einen Schlagstock gegen den Kopf, was zu einer blutenden Schnittwunde hinter dem Ohr mit einer Größe von drei Zentimetern führte. Der andere Löwen-Fan wurde, bevor er das Stadion verließ, an der Schulter gepackt. Nachdem er sich umgedreht hatte, wurde ihm aus nächster Nähe mit Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Er legte sich auf den Boden und wurde anschließend mit einem Schlagstock auf seinen linken Oberarm geschlagen. Er erlitt eine Schwellung und Rötung seines Gesichts und Schmerzen im Arm. Beide TSV 1860-Fans identifizierten Polizeibeamte als Verursacher, konnten diese wegen der einheitlichen Uniformen und der Fehlenden Kennzeichnung jedoch nicht voneinander unterscheiden.

Schon im September 2008 stellte die zuständige Staatsanwaltschaft nach Anzeigen der Löwen-Fans die Untersuchungen in dem Fall ein. Es folgten Beschwerden, Berufungen und Wiederaufnahmen der Ermittlungen. Nachdem die Löwen-Fans später vor dem Oberlandesgericht München scheiterten, legten sich Verfassungsbeschwerde ein. Auf das Bundesverfassungsgericht folgte der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser entschied heute, dass die Untersuchung nicht ergeben habe, dass sich die Fans im Dezember 2007 irgendwie aggressiv verhalten oder die Gewaltanwendung in irgendeiner Weise provoziert hätten.


Obwohl die Behörden behelmte Polizisten ohne Kennzeichnungen zu Identifizierung eingesetzt haben, hatte die Untersuchungsabteilung es abgelehnt, die fraglichen Beamten zu identifizieren und zu befragen. Zudem ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Meinung, dass die Ermittlungen nicht von einer hinreichend unabhängigen Behörde durchgeführt wurden. Die Staatsanwaltschaft war wegen der Nähe zwischen der örtlichen Polizei und der örtlichen Staatsanwaltschaft und der Tatsache, dass diese sich in jedem Einzelfall auf die örtliche Polizei stützen musste, praktisch nicht unabhängig gewesen. Außerdem sei die Untersuchung in der Praxis von der Münchner Polizei durchgeführt worden und die Staatsanwaltschaft München sei nur über den Stand der Untersuchung informiert worden.

In der Pressemitteilung der Rechtsanwälte, die die 1860-Fans vertreten haben, heißt es: „Rechtsanwältin Dr. Luczak begrüßt, dass der Menschenrechtsgerichtshof klargestellt hat, dass endlich alle Polizeieinheiten in Deutschland eine Kennzeichnung einführen müssen, wie von Bürgerrechtsorganisationen schon seit Jahren gefordert. Rechtsanwalt Noli fordert, Ermittlungen in Fällen von Polizeigewalt müssen von unabhängigen Stellen durchgeführt werden, um solche Auswüchse, wie die Verwaltung von Beweisvideos durch die beschuldigten USK-Einheiten selbst, zu verhindern. Die vom Gerichtshof festgestellten Mängel bei der Ermittlung von Polizeigewalts-Vorwürfen sind in Bayern kein Einzelfall sondern ein systematisches Problem.“

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach den 1860 München Fans deshalb jeweils 2.000 Euro für ihren entstandenen Schaden zu und jeweils 6.575,41 Euro für die Verfahrenskosten der bisherigen Instanzen. Die Bundesrepublik Deutschland muss somit 17.150,82 Euro zahlen. (Faszination Fankurve, 09.11.2017)

Fanfotos TSV 1860 München




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