16.11.2011 - Hannover 96

Innenminister rechtfertigt Polizeieinsatz gegen Ultras


In Hannover kam es bei der Partie zwischen Hannover 96 und Bayern München zu einem viel kritisierten Polizeieinsatz. So kritisierte zum Beispiel Fanforscher Pilz den Einsatz als Fehlentscheidung.Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann rechtfertigte nun den Einsatz.

Faszination Fankurve dokumentiert die Mitteilung des niedersächsischen Innenministeriums:

Polizeieinsatz beim Bundesligaspiel Hannover 96 gegen Bayern München am 23.10.2011

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 11.11.2011; Fragestunde Nr. 34

Innenminister Uwe Schünemann beantwortet die mündliche Anfrage der Abgeordneten Christa Reichwaldt und Pia-Beate Zimmermann (LINKE

Die Abgeordneten hatten gefragt:

Am 23. Oktober 2011 kam es beim Bundesligaspiel Hannover 96 gegen Bayern München im vollbesetzten Block N-16 der AWD-Arena in Hannover unter Anwendung von Pfefferspray zu einem Polizeieinsatz, in dessen Folge 36 Personen verletzt worden sind. In einem Interview sagte der Fan-Forscher und hannoversche Universitätsprofessor Gunter A. Pilz: „Dass die Polizei in den voll besetzten Block der Ultras reinging, war eine Fehlentscheidung. Die Ultras haben ein ausgeprägtes Feindbild Polizei."

Wir fragen die Landesregierung:

Wie stellt sich aus Sicht der Landesregierung das oben beschriebene Geschehen dar?

Teilt die Landesregierung die Position, dass der Polizeieinsatz unverhältnismäßig war, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?

Welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, damit in solchen Situationen künftig deeskalierende Handlungen der Polizei den Vorrang haben?

Innenminister Uwe Schünemann beantwortete namens der Landesregierung die Anfrage wie folgt:

Die Niedersächsische Landesregierung stellt sich konsequent und nachhaltig gegen Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen.

Zur Verhinderung von gewalttätigen Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen hat die Landesregierung zahlreiche Konzeptionen und Maßnahmen initiiert und in einem Netzwerk mit anderen Beteiligten unterstützt. Die Grundlage bildet das von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder im Jahr 1993 gemeinsam mit allen Beteiligten erarbeitete Nationale Konzept Sport und Sicherheit (NKSS).

Die Anstrengungen der Niedersächsischen Landesregierung sind in der Beantwortung der Mündlichen Anfrage Nr. 5 der Abgeordneten Jens Nacke, Heinz Rolfes, Hans-Christian Biallas, Johann-Heinrich Ahlers, Reinhold Coenen, Rudolf Götz, Fritz Güntzler, Bernd-Carsten Hiebing, Angelika Jahns und André Wiese (CDU) am 27. Mai 2011, LT-Drucksache 16/3635, ausgegeben am 10. Juni 2011, ausführlich dargestellt, auf die insofern verweisen wird.

Zu der vorliegenden Anfrage hat mir die Polizeidirektion Hannover als verantwortliche Behörde berichtet. Dieser Bericht ist Grundlage meiner nachstehenden Ausführungen.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Mündliche Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu den Fragen 1 und 2:

Am 18. Oktober 2011 fand zur Vorbereitung der in Rede stehenden Bundesligabegegnung die institutionalisierte Sicherheitsbesprechung statt. In dieser kündigte der gastgebende Verein Hannover 96 verstärkte Kontrollen im Zugang zu dem Block N16/17 der AWD-Arena an. Dieser wird regelmäßig durch einen Großteil der gewaltbereiten Personen der Ultrafanszene genutzt. Hier kam es während der vergangenen Heimspiele zur verbotenen Verwendung von Pyrotechnik.

Am Spieltag erbat um 16.16 Uhr der Leiter des Sicherheits- und Ordnungsdienstes im Stadion polizeiliche Unterstützung in diesem Bereich, da dort Zuschauer teilweise eine Kontrolle im Eingangsbereich zum Fanblock verweigert hätten und unkontrolliert mit Fanutensilien in den Block gelangt wären. Darüber hinaus habe der Ordnungsdienst Hinweise erhalten, in Fahnenstangen versteckte Pyrotechnik solle in den Block eingebracht werden. Bei dem Versuch der Durchführung von entsprechenden Kontrollen seien die Ordner bedroht worden. Der Fanblock war erst zu gut zwei Dritteln mit Personen besetzt; im unteren Bereich hielten sich bereits Angehörige der Ultrafanszene auf. Die angrenzenden Fanblöcke waren in weiten Teilen noch leer.

Die sich unmittelbar an die Unterstützungsbitte anschließenden polizeilichen Maßnahmen sind zwischen dem Veranstaltungsleiter des Vereins Hannover 96, dem Leiter des Ordnungsdienstes und dem Einsatzleiter der Polizei in direktem Dialog abgestimmt worden. Sie waren erforderlich, um die durch die Verwendung von Pyrotechnik drohenden Gefahren zu verhindern. Im Rahmen der Gegebenheiten vor Ort ist der Einsatzanlass durch die Polizeikräfte gegenüber den Fans mündlich kommuniziert und erläutert worden. Unbeteiligte konnten den Block jederzeit verlassen.

Einsatzkräfte sind in den Bereich des Blocks entsandt worden, um die Kontrollen des Ordnungsdienstes erforderlichenfalls unterstützen zu können. Den unteren Bereich des Fanblocks betraten die Einsatzkräfte von zwei Seiten aus, bis sie zwischen der ersten Sitzreihe und der ca. 90 Zentimeter hohen Balustrade eine Reihe bildeten.

Bereits beim Betreten des Fanblocks sind die Einsatzkräfte feindselig angesprochen worden. Aus den Formulierungen wurde deutlich, dass die dortigen Personen den Fanblock offenkundig als polizeifreien Raum ansahen. Anführer der Ultrafanszene forderten über die eigene Lautsprecheranlage die Fans zur Ruhe sowie Beachtung der polizeilichen Anweisungen auf; eine Wirkung trat jedoch nicht ein. Die Personen versuchten vielmehr den Zugriff der Einsatzkräfte auf die Fahnenstangen zum Zweck der Kontrolle auf pyrotechnische Gegenstände durch Becherwürfe auf Polizeibeamte, wiederholte Schläge und Tritte, Widerstandshandlungen und beleidigende Äußerungen zu verhindern. In der Folge entstand in Teilbereichen eine Wellenbewegung von Störern und Einsatzkräften in Richtung der Balustrade, so dass die vor dieser stehenden Einsatzkräfte und die vor den Polizeikräften stehenden Zuschauer in die Gefahr eines Absturzes gerieten. Eine Person konnte nur durch den beherzten Zugriff eines Polizeibeamten vor dem Herabstürzen bewahrt werden. Die Distanz vom oberen Rand der Balustrade bis zum Erdboden bzw. Unterrang beträgt ca. 4,10 Meter. In dieser Situation kamen polizeiliche Zwangsmittel, u.a. der Reizstoff Capsaicin, zum Einsatz, um die dargestellten Straftaten zu beenden und den drohenden Absturz von Personen zu verhindern.

Nach Angaben des im Stadion befindlichen medizinischen Hilfsdienstes versorgte dieser 32 durch die Einwirkung von Reizstoff verletzte Personen, von denen vier nach der Erstversorgung vor Ort einem Krankenhaus zugeführt worden sind.

Nach Bewertung der bisher vorliegenden Erkenntnisse, auch unter Einbeziehung von Videoaufzeichnungen der Einsatzsituation, war der Polizeieinsatz in dem Fanblock geeignet und erforderlich, um die dargestellten Gefahren für Leib und Leben abzuwehren. Art und Intensität der durch den Einsatz beeinträchtigten Rechtsgüter standen in einem angemessenen Verhältnis zu den durch das Störerverhalten gefährdeten Rechtsgütern. Das Einschreiten erfolgte differenziert; Adressaten der Maßnahmen waren die gefahrenverursachenden Störer.

Die in der Anfrage zitierte Aussage des Sportwissenschaftlers Prof. Dr. Gunter A. Pilz bezieht sich nicht auf eine Unverhältnismäßigkeit des dargestellten Einsatzes der Polizei. Sie bringt vielmehr die Einschätzung zum Ausdruck, die polizeilichen Maßnahmen in dem Fanblock seien taktisch nicht geboten gewesen. Demgegenüber wird Prof. Dr. Pilz in der Neuen Presse am 2. November 2011 zitiert mit den Worten: „Man kann nicht immer nur reden und mit Präventionen argumentieren. In solchen Fällen müssen klar Grenzen aufgezeigt werden."

Im Übrigen wird auf die Vorbemerkungen verwiesen.

Zu Frage 3:

Alle Beteiligten haben in den letzten Jahren ihre Projekte und Maßnahmen zur Verbesserung der Prävention und Sicherheit im Zusammenhang mit Fußballspielen immer weiter ausgebaut. Das NKSS wird aktuell fortgeschrieben und um die Themenfelder Fanreiseverkehr, Dialog und Kommunikation sowie abgestimmtes Handeln der Polizeien ergänzt.

Polizeiliche Maßnahmen richten sich gegen Gewalt und die Sicherheit gefährdendes Verhalten. Dazu nutzt die Polizei das ihr zur Verfügung stehende Handlungsspektrum in vollem Umfang. Präventivpolizeiliche Maßnahmen reduzieren bereits im Vorfeld von Fußballspielen die Gefahren durch gewaltsuchende Personen. Konkrete Sicherheitsstörungen unterbindet die Polizei konsequent unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Das Handeln der Polizei ist differenziert, abgestuft und transparent. Nicht nur im Lagefeld Fußball ist das Konfliktmanagement ein wesentlicher Bestandteil des Einsatzkonzeptes.

Die Maßnahmen der Polizei richten sich auch in Zukunft an der Verhinderung von Konflikten sowie der Durchbrechung von sich gegenseitig dynamisierenden Prozessen aus.

Fanfotos Hannover 96




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