10.09.2015 - Blickfang Ultrà

“Irgendwann ist auch mal eine Grenze erreicht”


Wir sprachen mit Mirko Otto, dem Herausgeber des Blickfang Ultrà Fanzines, über den neuen Saisonrückblick, die Entwicklung der deutschen Ultràszene, die Arbeit, die ein solcher Saisonrückblick mit sich bringt und die Probleme bei der Zusammenarbeit mit einigen Ultras.

Faszination Fankurve verlost drei Ausgaben des Blickfang Ultrà Saisonrückblicks 2014/2015. Wer eines der Werke gewinnen will muss einfach folgende Frage via E-Mail an info@faszination-fankurve.de beantworten (Betreff: BFU-Saisonrückblick). Einsendeschluss ist der 13. September 2015.

Frage: Der wie viele Saisonrückblick seiner Art ist kürzlich von Blickfang Ultrà erschienen?

Faszination Fankurve: Welche Gruppen bzw. Fanszenen haben einen Artikel zur vergangenen Saison dazu beigesteuert?
Mirko Otto: Teilnehmende Gruppen: Giasinga Buam - Legio Augusta - Ultras Chemnitz - Block 1898 Darmstadt - Fanszene Dortmund - Kohorte Duisburg - Ultras Dynamo - Erfordia Ultras - Sottocultura - Saalefront Ultras - Ultras Hannover - Harlekins Berlin - Horda Azzuro - Inferno Koblenz - Wilde Horde - Ultra Kollektiv Lübeck - Ultras Nürnberg - Ultras Leverkusen - Pfalz Inferno - Ultras Regensburg - Szene E - Ultras Gelsenkirchen - Schickeria München - Turnschuhcrew Siegen - Insane Ultra - Commando Cannstatt - Szene Wolfsburg - B-Block Würzburg - Wuhlesyndikat - Red Kaos Zwickau


Faszination Fankurve: Welche Highlights erwarten die Leser neben den Berichten der Ultràgruppen?
Otto: Die Berichte sind natürlich der Hauptbestandteil bzw. Herzstück des Heftes und nehmen folglich auch den überwiegenden Teil der 272 Seiten ein. Dazu haben wir noch das bereits bekannte Zaunfahnenvoting durchgeführt, haben einen Überblick in Textform über beinahe alle sämtlichen nennenswerten Ereignisse der vergangenen Saison erschaffen, lassen in Textform die Saison in der Schweiz Reveau passieren und eine TOP 140-Zuschauertabelle aus Deutschland erstellt. Es hätte gern noch mehr sein können, doch leider scheiterte ein Choreo-Ranking an einem kleinen Fehler unsererseits (wird nun hoffentlich in der Ausgabe 37 präsentiert) und viele andere interessante Gedankengänge waren einfach in der viel zu kurzen Erstellphase nicht umsetzbar.


Faszination Fankurve: Uns könnt ihr es doch verraten: Welche Zaunfahne hat in diesem Jahr das Ranking gewonnen?
Otto: Das diesjährige Voting konnten die Diablos aus Leutzsch mit ihrer „Haltet die BSG in Ehren...“-Zaunfahne gewinnen, während in der Gesamtwertung weiterhin die „ULTRAS“-Fahne der Harlekins auf der Spitzenposition rangiert.

Faszination Fankurve: Was waren deiner Meinung nach die Themen der Saison, die sich durch die Berichte vieler Gruppen durchgezogen haben?
Otto: Ich glaub das lässt sich gar nicht so pauschal sagen, aber im Endeffekt sind es ja doch die stets gleichen Themen, welche alle Szenen/Gruppen vereinsübergreifend beschäftigen. Den einen in der Saison vielleicht weniger, den anderen dagegen mehr. Stadionverbote, Probleme mit der Staatsmacht, Stress mit den Vereinsverantwortlichen, Stadionproblematiken, natürlich auch Aspekte wie die eigenen Auftritte (Stimmung, Choreos).


Faszination Fankurve: Mit der Chosen Few hat sich im vergangenen Jahr eine langjährige Ultràgruppe aufgelöst. Glaubst du, dass daraus ein Trend entstehen könnte?
Otto: Ich glaube von einem etwaigen Trend zu sprechen, wäre doch etwas verfrüht. Ich würde mir auch ungern einem Kommentar zur Auflösung der CFHH anmaßen, vor allem weil ich selber aus einer Szene stamme, die seit unzähligen Jahren nur unterklassigen Fußball präsentiert bekommt. Daher fällt es mir schwer, mich in die Lage einer Bundesliga-Gruppe zu versetzen und deren Probleme zu verstehen. Natürlich kann ich mir verschiedene Vorgänge und Prozesse ausmalen und glaube, dass die in der Bundesliga herrschenden Verhältnisse oftmals nicht mehr viel mit dem Fußball zu tun haben, in den ich mich eins verliebte, aber mit vielen Dingen arrangiert man sich wohl im Laufe der Zeit, bis man irgendwann „aufwacht“ und die Dinge realistisch sieht. Ingesamt bin ich mehr als froh, dass das Schicksal mir meinen Verein gegeben hat, wenngleich das natürlich auf andere Kosten geht. Wer träumt nicht schon in aller Regelmäßigkeit von packenden Spielen im Europapokal?

Faszination Fankurve: Welchen Text einer kleineren, eher unbekannteren Fanszene legst du den Lesern besonders ans Herz und warum?
Otto: Wir haben diesmal auf einige kleinere Szenen verzichtet. Um das verständlich zu erklären, ist vielleicht ein Fragment aus der von mir verfassten Einleitung ganz passend:
Wer sich noch an die letzten Rückblicke erinnert, wird bemerkt haben, dass von einstmals 47 Gruppen, derer diesmal nur noch 30 vertreten sind. Viele Gruppen reagierten erst gar nicht auf Anfragen, sagten erwartungsgemäß vorher schon ab oder gar erst kurz vor der Deadline. Das sorgt logischerweise nicht für eine Steigerung der Laune. Ehrlicherweise muss jedoch auch erwähnt werden, dass diesmal einige kleine Szenen von vornherein außen vor gelassen wurden, um das Gleichgewicht zu halten. Ein Saisonrückblick bringt am Ende nix, wenn zwar 27 kleine, dafür aber nur 8 große Szenen schreiben.
Das war vor allem in der Planungsphase kein Leichtes, denn neben Fingerspitzengefühl für die Wahl der Gruppen, musste auch auf Zusage um Zusage der Großen gewartet werden, um danach peu à peu kleinere ins Boot zu holen. Nicht unerwähnt sollte aber auch bleiben, dass der Tatendrang der meisten größeren Gruppen freudig stimmte. Trotzdem besteht aber im Geiste die Vorstellung von 50 oder gar mehr, als quasi allen deutschen Gruppen und das utopische Ziel wird eben auf immer unerreichbar sein. Andererseits, wenn ich mir vorstelle in dem Projekt 50 Gruppen und am Ende hier 450 Seiten hinzuzaubern zu müssen, dürfte ich wohl den folgenden August regelmäßig in der Klappse verbringen…

Faszination Fankurve: Welcher Arbeitsaufwand steckt hinter einem Saisonrückblick mit 270 Seiten?
Otto: Meine Lieblingsfrage, die mir schon häufiger gestellt wurde und nach der ich mir jedes Mal aufs neue vornehme, doch mal die Stunden zu zählen… Ich glaube in Stunden ist das zeitlich schwer messbar, auch weil insgesamt vier Personen in den Rückblick involviert sind. Als Anschauungsbeispiel könnte ich die Arbeit mal auf einen einzigen Artikel herunterbrechen. Zuerst steht natürlich die Anfrage. Vielleicht sogar ein zweites Mal, weil zuerst keine Reaktion erfolgt. Ist die Zusage eingetrudelt, so heisst es, der Gruppe zu erläutern, was genau beachtet werden muss. Textlänge, Qualität der Bilder etc. - Danach heißt es warten (also in der Theorie, praktisch schreibt man zwischenzeitlich weitere 40-50 Szenen an). Wenn der Text dann da ist, darf der Lektor seines Amtes walten und unsere Bildbearbeiterin die Fotos auffrischen. Das ist der Idealfall. Oftmals muss aber bei den Fotos aus Qualitätsgründen noch nachgelegt werden, folglich heisst es wieder Mail um Mail schreiben. Ist endlich alles komplett, darf der Layouter ran. Das fertige pdf sende ich dann an die Gruppe zum Gegencheck. Danach werden noch paar kleinere und größere Schnitzer ausgemerzt, manchmal noch Bilder ausgetauscht oder vergessene Sachen (Steckbrief) angefordert. So kann also locker nochmal gut eine Woche ins Land ziehen, bis die sagen wir 10 Seiten endlich abgesegnet und druckreif sind. Klingt selbst für mich, wo ich das schreibe alles recht easy, aber mach das mal zeitgleich mit 30 Gruppen/Ansprechpartnern über verschiedene Kanäle (Mail, Handy). Spätestens nach zwei Wochen ist man reif für die Irrenanstalt, vor allem weil täglich die Deadline bedrohlich naht und die Druckerei unseren Auftrag exakt eingetaktet hat. Insgesamt brauchen wir für die Erstellung wohl um die vier Wochen, wobei da die ganze Versandphase noch nicht enthalten ist. Insgesamt ist es ein unheimliches Mammutprojekt, dessen Erstellung unheimlich viel Energie kostet. Ob es den Lesern und Gruppen letztlich gefällt ist oftmals ebenso unklar, da tappt man meist im Dunkeln, da an sich keinerlei Feedback eintrudelt. Ich seh es dann erst meist Wochen später, wenn ich das Heft diversen Freunden aus dem Ausland zeige und die es mit strahlenden Augen bewundern und dabei richtig sauer sind, dass in ihrem Land derartiges nicht möglich ist.

Faszination Fankurve: Was war die Begründung für die ein oder andere Gruppe, sich in diesem Jahr nicht an dem Saisonrückblick zu beteiligen?
Otto: Auch hier kann ich nur mutmaßen und muss euch leider enttäuschen, da niemand seine Gründe offen kund tat. Entweder kam nur eine schlichte und formlose Absage oder auf meine Mails folgte keinerlei Reaktion. Ich schätze, es ist aktuell „cool“ sich nicht mehr nach außenhin zu präsentieren und lieber eine Art „Napoli-Mythos“ aufzubauen. Ansonsten spielen sicherlich noch Gründe wie „Wir wollen nicht mit Gruppe XY in einem Heft sein“ oder keine Lust auf den berühmten „Schwanzvergleich“ eine Rolle. Letztere Ansicht ist schon bissel retro, aber nach all den Jahren bin ich da auch sehr abgestumpft und hab so oft und so viel dazu geschrieben, dass das dann einfach Schulterzuckend hinnehme.

Faszination Fankurve: Ein Blick in Zukunft: Du sitzt vor der Erstellung des Saisonrückblicks 2019/2020. Glaubst du, dass du im Nachhinein sagen wirst, in der Saison 2014/2015 war fast alles besser oder glaubst du eher an eine positive Entwicklung der deutschen Ultràszene in den nächsten fünf Jahren?
Otto: Eine hypothetische Frage, weil der diesjährige Saisonrückblick nach aktuellen Stand der letzte seiner Reihe war. Auch hier verweise ich auf unsere Einleitung:
Einige wird es vielleicht traurig stimmen, andere gar nachdenklich und anderen wird es schlichtweg egal sein, aber das euch liegende Pamphlet wird mit großer Wahrscheinlichkeit das letzter seiner Baureihe sein. Es war eine wirklich gute Idee, in Sachen Umsetzung gibt es bestimmt immer noch Prozentpunkte, die sich herausholen lassen, aber wir haben diesbezüglich stets unser Bestes gegeben und ich war immer stolz auf das am Ende Geschaffene.
Um auf den zweiten Teil der Frage zu kommen. Ich tue mich mit Vorhersagen stets recht schwer, denn etliches steht und fällt mit anderen, wenig beinflussbaren Faktoren. Wer hatte beispielsweise der Schickeria vor drei Jahren einen solchen Sprung zugetraut? Entwickelt sich der Fußball so weiter wie jetzt und auch die gesamte Medienlandschaft oder auch die komplette Digitale Entwicklung, so müsste man sich beinahe fürchten. Andererseits wächst die heutige Generation auch mit diesen Dingen auf und passt sich entsprechend an. Die Entwicklung, die die Szenen von sagen wir mal 2005 bis 2010 gemacht haben, war doch immens. Irgendwann ist auch mal eine Grenze erreicht. Gerade in Deutschland mit seiner allgemeinen Kultur (nicht nur bezogen auf den Fußball), wird es nie Verhältnisse wie in anderen Ländern geben, dafür sind die Kurven zu andersartig gestaltet, das Verhalten und die Denke der Menschen zu unterschiedlich und eben das Produkt an sich zu populär. Irgendwann ist in meinen Augen eben ein bestimmtes Level erreicht. Das soll nicht negativ klingen, denn gerade im Kampf gegen viele Auswüchse in Politik und Gesellschaft, stehen wir doch gut im Saft. Kampf gegen personalisierte Tickets, für Fanrechte allgemein usw. Denke eine Aufzählung kann ich mir hier sparen, wir wissen ja alle, was anderswo schief läuft und in Dtl. noch nicht umgesetzt wurde, wenngleich die Gästeverbote aktuell bei Münster vs. Osnabrück wohl ein weiterer Schritt sind.

Faszination Fankurve: Ein paar Worte zum Abschluss:
Otto: Zum Abschluss würde ich dennoch sagen, dass das Heft auf seine Weise einzigartig ist. 272 Seiten, 30 Gruppen, sicher um die 1.000 Bilder, tolles Layout. Was will man als Fanszenen- oder Ultra-Interessierter eigentlich mehr?? (Faszination Fankurve, 10.09.2015)

Der Blickfang Ultra Saisonrückblick kann hier bestellt werden.