16.09.2014 - Filme

Istanbul United feiert Premiere: Eine Filmkritik


Am Sonntag feierte der Film Istanbul United im Kölner Sommerkino Premiere. Faszination Fankurve war vor Ort und berichtet über den Film. Die Filmemacher begleiteten jeweils einen Fan bzw. Ultrà der drei großen Istanbuler Vereine während der Gezi Park Proteste.

Der Regisseur Olli Waldhauer war in Köln bei der Premiere anwesend, während der andere Filmemacher Farid Eslam in Münster war, wo der Film ebenfalls gezeigt wurde. Waldhauer, bekennender Fan des 1. FC Köln und wohnhaft in Köln-Nippes sah zu Beginn der Gezi-Proteste ein Foto in deutschen Medien, auf dem drei Fans abgebildet waren. Ein Fan war im Galatasaray, einer im Besiktas und einer im Fenerbahce Trikot zu sehen. Alle drei protestierten gemeinsam für den Erhalt des Gezi-Parks. Waldhauer stellte sich einen Fan des 1. FC Köln, neben einem Gladbach und einem Düsseldorf Fan. Ohne Trikot für ihn kein Problem, aber in Trikots undenkbar.


Nach dem Film erzählte Waldhauer, dass genau dies der Punkt war, an dem er seine Filmkoffer packte und nach Istanbul flog. Einen Tag nach seiner Ankunft wurde der Gezi-Park geräumt. Mittendrin der Filmemacher aus Köln-Nippes mit seinem Team und die Fans der drei großen Istanbuler Vereine. Wieder im heimischen Nippes produzierten Waldhauer und Eslam den ersten Trailer von Istanbul United. Damit wurde Geld auf eine Crowdfunding Plattform eingesammelt (Faszination Fankurve berichtete).

In den sozialen Netzwerken löste der Trailer einen regelrechten Boom aus. So gelang es es den Machern auch an die späteren Protagonisten des Films heranzukommen. Anschließend kehrten die beiden noch mehrmals zurück nach Istanbul und filmten die Ultras der drei Vereine in den Stadien.

Zu Beginn des Films erzählen die drei Protagonisten, wie sie zum Fußball gekommen sind und Fans ihres Vereins geworden sind. Emotional erzählen sie über Abneigungen gegenüber den anderen Vereinen und Schlachten, die untereinander ausgetragen wurden. Anschließend wird die Geschichte der Gezi-Proteste mit zahlreichen Aufnahmen von Demonstrationen erzählt. Dies gipfelt in der Ankunft der Fußballfans der drei Vereine am Taksim-Platz, um sich den Protesten anzuschließen. Fangesänge, Pyrotechnik und Transparente, wie man sie aus den Stadien kennt, fanden so ihren Platz. Besonders an der militanten Verteidigung des Gezi-Parks gegen die Polizei waren, die in Auseinandersetzungen mit der Polizei geübten Fußballfans, beteiligt. In Erinnerung bleibt sicherlich der Fangesang gegen die Polizei: "Schieß doch, Schieß doch, Schieß doch dein Tränengas. Wirf den Knüppel weg, zieh den Helm aus. Dann sehen wir wer der Boss ist." Ursprünglich im Stadion gesungen, anschließend Ohrwurm auf dem Taksim-Platz.

Bei Fenerbahce gelang es Waldhauer und Eslam ein führendes Mitglied der Gruppe Vamos Bien zu begleiten. Vamos Bien ist eine antirassistische Fangruppe bei Fenerbahce, die sich in den letzten Jahren immer mehr zu einer führenden Gruppe innerhalb der Fanszene der Blau-Gelben entwickelt hat. Ihr Banner mit der Aufschrift „Hasta la viktoria siempre – Vamos bien“ hängt zentral im Oberrang der Fankurve im Sükrü-Saracoglu-Stadion. Die Gruppe ist Mitglied im Alerta-Network. Anders als z.B. die Gruppe Genc Fenerbahceliler hat sie zu den Protesten für den Erhalt des Parks am Taksim-Platz und gegen Erdogan aufgerufen.

Bei Galatasaray wurde ein Mitglied der UltrAslan begleitet. Aufgrund seiner Positionierung im Stadion und der nicht gerade aktiven Bewerbung der Proteste seitens UltrAslan kann man davon ausgehen, dass das besagte Mitglied keine führende Position innerhalb der Gruppe einnimmt. Trotzdem fingen die Kölner Filmemacher die Emotionen bei einem Heimspiel von Galatasaray gegen Antalyaspor eindrucksvoll ein. Auch die Erzählungen des Gala-Fans sind interessant und zeigen, wie er mit seinen Freunden lange überlegte, ob und wie sie sich den Protesten anschließen sollen. Im Anschluss an den Film erklärte Waldhauer, dass die Kontakte zu dem begleiteten Fan von Galatasaray und Fenerbahce bis heute sehr eng seien.

Der wohl bekannteste Fan im Film ist Güner, einer von zwei Führungsköpfen der Gruppe Carsi von Besiktas. Laut Olli Waldhauer war es ziemlich schwierig einen Termin bei diesem Protagonisten zu bekommen. Als führendes Mitglied der Fanszene von Besiktas ist seine Zeit verständlicherweise begrenzt. Dementsprechend kurz sind die Teile im Film, in denen Güner zu Wort kommt. Eine Bereicherung des Films sind sie dennoch. Er ist einfach eine Legende der türkischen Fankultur. Güner ist einer der Besiktas Fans, gegen die gerade ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung läuft. Ihnen droht eine lebenslange Haftstrafe wegen Beteiligung an den Gezi Protesten (Faszination Fankurve berichtete). Deshalb sprachen am vergangenen Wochenende auch die Dortmunder Ultras, die Jubos, ihre Solidarität mit Carsi aus. Auch die Fans von Bayern München und dem FC St. Pauli zeigten Solidaritätsspruchbänder. Es verdeutlicht, welch wichtige Person Teil der Films Istanbul United ist.


In einem sogenannten Screening wurde der Film zuvor in Istanbul den Protagonisten gezeigt. Waldhauer beschrieb nach Ende des Films, dass die Protagonisten trotz dieser immensen Repression stolz auf ihre Teilhabe an den Protesten waren und keine Angst hätten den Protesten ihr Gesicht zu geben.

Der Film endet mit den Vorfällen beim Derby zwischen Besiktas und Galatasaray im September 2013, als Besiktas das Spielfeld stürmten. Gästefans waren damals nicht zugelassen. Faszination Fankurve sprach damals mit einem Besiktas-Fan, der vor Ort war über die Vorfälle. Bis heute ist die Ursache für den Platzsturm strittig. Auch Waldhauer ist sehr interessiert einer Aufklärung dieser Vorfälle des ersten Derbys nach der Räumung des Gezi-Parks. Aber dafür bräuchte es seiner Meinung nach einen eigenen Film.

Über sein nächstes Projekt gab er in Köln schonmal ein paar Informationen. Er will einen Film über Rassismus im Fußball und Aktivitäten dagegen drehen, an dem auch Carsi beteiligt sein soll. Material dafür dürfte er teilweise schon im Kasten haben. Zahlreiche homophobe Gesänge sind im Film Istandbul United zu hören. An seinen eigenen Aussagen muss der Kölner Filmemacher für sein nächstes Projekt wohl auch nochmal arbeiten. Gefragt, wie er an die Protagonisten kamen antwortete er: „Die Leute haben gesehen, dass wir keine Muschis sind, als wir bei der Räumung des Parks dabei waren. Wir haben ganz schön viel Eier gezeigt.“ Eine Aussage, die man wohl als politisch unkorrekt bezeichnen kann.

Das Kölner Publikum, bestehend aus Fans der drei großen Istanbuler Vereine, Fans und Ultras des 1. FC Köln und einer linksalternativ geprägten Öffentlichkeit, spendierte nach Ende des Films reichlich Applaus. Türkische Fangesänge schalten durch den Kölner Rheinaufhafen. Aber auch politische Sprechchöre wurden angestimmt, wie zum Beispiel „Her Yer Taksim, Her Yer Direnis“, was soviel bedeutet wie „Überall ist Taksim, überall ist Widerstand“.

Der Film läuft ab Donnerstag in deutschen Kinos und ist in türkischer bzw. englischer Sprache mit deutschen Untertiteln zu sehen. Den Macher ist es gelungen eine prägende Phase der türkischen Fankultur mit emotionalen Aufnahmen für die Nachwelt festzuhalen. Sicherlich ein einmaliges Projekt. Für alle an Fankultur interessierten Menschen sicherlich ein Stück Zeitgeschichte, also ein absolutes Muss. (Faszination Fankurve, 16.09.2014)






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