01.12.2004 - AS Rom

Jubeln ins Nichts


Das Spiel AS Rom – Bayer 04 Leverkusen geriet per Publikumsverbot zur Farce.

In der gefürchteten „Curva Sud“, dort, wo sonst bei jedem Heimspiel der Roma trojanische Schlachtgesänge die Arena erbeben lassen, herrscht gähnende Leere. Auf der Gegengeraden, der „Curva Tevere“, stehen 19 gelangweilte Stewards der UEFA und „bewachen“ die zumeist weinroten Transparente der einheimischen Fans. „Semper Forza Roma“, steht auf einem. Immer sind sie sonst da, nur heute wird ihnen der Eintritt verwehrt. Allein auf der Haupttribüne des „Stadio Olimpico“, das normalerweise 73.000 Zuschauer fasst, sind von Zeit zu Zeit ein paar Worte zu vernehmen. Denn auch die wenigen, die hineingelangten in diese mächtige Schüssel – Vereinsverantwortliche, Betreuer, Spieler, Trainer, Journalisten –, sind beeindruckt von der eigenartigen Atmosphäre vor dem Champions League-Vorrundenspiel zwischen dem AS Rom und Bayer Leverkusen. Es herrscht Schweigen, als die Mannschaften zum Aufwärmen einlaufen. Die meisten der 150 offiziell zugelassenen Personen (insgesamt verlaufen sich mit den Ordnern vielleicht 250 Menschen im Stadion) schütteln ab und an den Kopf, weil sie kein Verständnis entwickeln für dieses bizarre Schauspiel, das ihnen dieser eigentlich wohlig-warme 3. November 2004 in der italienischen Hauptstadt bietet.

Verantwortlich für die triste Kulisse ist ein Münzwurf aus dem Spiel der Roma gegen Dynamo Kiew. Als Schiedsrichter Anders Frisk beim Stand von 0:1 in die Kabine schreiten wollte, traf ihn ein Feuerzeug an der Schläfe. Oder eine Münze. Jedenfalls etwas Hartes, das von der Haupttribüne geflogen kam. Der Schwede brach blutüberströmt zusammen, das Spiel wurde abgebrochen und mit 3:0 für Kiew gewertet. Und die UEFA beschloss, zur Strafe die beiden restlichen Gruppenspiele gegen Leverkusen und Real Madrid vor leeren Rängen stattfinden zu lassen.

Die Rituale werden dennoch durchgezogen. Die wunderschöne Vereinshymne der Roma wird gespielt, genauso die Erkennungsmelodie für die Champions League. Am Mittelkreis schwenken die Kinder den symbolischen Ball und verschwinden alsbald in den Katakomben. Aber spätestens mit Spielbeginn merkt jeder, wie sehr auch die angeblich so abgezockten Fußballprofis auf eine angemessene Umgebung angewiesen sind. Es ist keine Hilfe, dass nun jedes Kommando ankommt auf dem Platz: „Ran an den Mann“, schreit Keeper Hans-Jörg Butt permanent – die Leverkusener Profis sind insgesamt lauter. Aber das Niveau passt sich der trostlosen Atmosphäre an: Kaum Chancen, kaum hinreißende Zweikämpfe, die Minuten verrinnen ereignisarm und zäh. „Das Spiel hat keine Zuschauer verdient“, sagt WDR-Reporter Armin Lehmann ins Mikrofon. Er hat Recht: Alle Dribblings und Flanken unter diesem Reagenzglas, diese Erkenntnis reift schnell, sind eine Farce. Die Reaktionen von den Rängen, die wütenden Gesänge, die enttäuschten Gesichter, das infernalische Anwachsen des Geräuschpegels just in dem Moment, in welchem sich eine gefährliche Torchance bietet – all das, was ein Fußballspiel ausmacht, ist nicht da.

Kurz vor dem Halbzeitpfiff eine Ahnung von einem Fangesang. Rund 300 Fans der Roma haben es bis kurz vors Stadion geschafft, aber die hohe Betonwand schluckt den Schall. Zweimal zünden sie Chinaböller in die Stille hinein, teilweise zucken dann sogar die Spieler zusammen – nach 20 Minuten sind die Tifosi wieder weg.

Die 60 Leverkusen-Fans (darunter 30 Ultras), die trotz der Aussperrung nach Rom gekommen sind, weil sie früh einen Billigflug und Hotel gebucht hatten, sitzen derweil in einer der römischen Tavernen und schauen sich das Spiel im Fernsehen an. „In den Kneipen gab es keine Zwischenfälle“, sagt Andreas Paffrath, „bis auf die Blasen, die sich die Jungs beim Kulturhopping während des Tages geholt haben“. Einige der rot-schwarz gewandeten Anhänger hatten es um 16:30 Uhr probiert, zumindest in die Nähe des weiträumig abgesperrten Stadions am Nordrand der Stadt zu gelangen. Die Ordner hatten sie – freundlich, aber bestimmt – zurückgewiesen.

Die klinisch reine Atmosphäre ragt sogar hinüber bis an den Rhein, in die Bayarena. Dort verfolgen 562 Fans das Spiel auf einer riesigen Leinwand, „aber die Stimmung war gedrückt, viel schlechter als noch während der EM“, sagt Paffrath. Diejenigen der 127 Fans, die sich vor der Absage für eine Reise gemeldet hatten und nun in der Bay-arena sind, bekommen freies Essen und freies Trinken.

Dass der europäische Fußballverband die offizielle Protestnote des Vereins beantwortet oder gar die betreffenden Fans entschädigt, glaubt Paffrath nicht: „Bisher hat die UEFA sich noch nicht gemeldet“, sagt er, „denen sind wir Fans sowieso egal“. Schade, findet er, „aber so ist das“.

Kurz vor dem Ende des Spiels erwacht das Spiel aus dem Koma. In Minute 72 springt Totti mit dem Stollen voran auf Ramelow, der ihn vorher foulte. Die Leverkusener Betreuer springen auf und protestieren, aber der portugiesische Schiedsrichter Batista gibt nur gelb – für beide. Zehn Minuten darauf lupft Berbatov zuerst den Ball über Dellas, dann über Keeper Zotti. Und nach diesem Treffer, der so gar nicht in diese 90 Minuten passen will, laufen er und Babic Richtung Eckfahne und jubeln gemeinsam ins Nichts. Allerdings: Berbatovs Tor, so virtuos es war, wird im Fußball-Almanach als Teil der Statistik verschwinden. Weil keiner dem Bulgaren zuschaute, außer kalten Kameras. Und was ist die Mona Lisa, wenn sie keiner betrachtet? Das exakt nämlich ist die Essenz aus diesem Abend: Das Gesamtkunstwerk Fußball gerät ohne die Begeisterung und Hingabe der Fans zu einem profanen Akt. Es fehlt die Weihe, es fehlt die Dichte. Wie sagte es Trainer Klaus Augenthaler nach diesem erbärmlichen Kick? „Da sieht man, dass die Spieler auch für die Zuschauer spielen und nicht nur für die Kohle.“ (Faszination Fankurve/Erik Eggers, 01.12.2004)

Fanfotos AS Rom




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