01.03.2020 - Kommentar

Kommentar zu beleidigenden Plakaten & eskalierter Debatte


Die beleidigenden Plakate, die viele deutsche Ultragruppen aktuell gegen TSG Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp zeigen und neuerdings zu Spielunterbrechungen führen, sind aktuell eines der meistdiskutierten Themen in Deutschland. Die deswegen geführte Debatte im Profifußball und in den Medien ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Ein Kommentar:

Es gibt durchaus berechtigte Kritik am Agieren von Dietmar Hopp im Profifußball. Als einer der reichsten Deutschen brachte er seinen Dorfverein TSG Hoffenheim bis in die 1. Bundesliga und nimmt somit einen der wichtigsten 18 Plätze im deutschen Profifußball defacto dauerhaft in Beschlag. Macht dieses Beispiel Schule und auch andere Milliardäre gönnen sich so ein Spielzeug, umgehen die 50+1-Regel und bringen mit ihren Millionen ihr Dorfclub in die Bundesliga, ist dies eine Gefahr für die Fußballkultur, wie wir sie in Deutschland kennen.

Schon seit Jahren ist Hopp deswegen von vielen aktiven Fanszenen und Ultragruppen kritisiert worden. Schon 2008 beim ersten Aufeinandertreffen von Hoffenheim und Dortmund kam es zu einem Vorfall. Damals zeigte Hopp den BVB-Fan an, der beim Dortmunder Gastspiel in Mannheim, wo die TSG damals ihre Heimspiele austrug, eine Fahne hochhielt, auf der Hopp neben der Aufschrift „Hasta la vista, Hopp“ im Fadenkreuz zu sehen war. Nachdem sich der BVB-Fan in einem Brief entschuldigte, zog Hopp seine Anzeige zurück. Diese Fadenkreuz-Grafik ist für viele Ultras mittlerweile zu einem Symbol des Widerstandes im Kampf gegen Auswüchse des modernen Fußballs geworden, auch weil der DFB u.a. wegen Zeigen dieses Symbols zuletzt wieder auf die kollektive Bestrafung aller BVB-Fans setzte und diese von zwei Auswärtsspielen in Sinsheim ausschloss. BVB-Ultras wiederholten die Beleidigungen in den letzten Jahren mehrfach und bei der TSG Hoffenheim ging man schon mit einem Schallgerät, Hausverboten, Strafanzeigen und strengen Kontrollen dagegen vor. Geholfen haben diese Maßnahmen nicht. Wenn man auf die jüngste Eskalation des Konflikts blickt, muss eher das Gegenteil festgestellt werden.

Red Bull-Chef Dietrich Mateschitz pflegt einen anderen Umgang mit ähnlichen Beleidigungen. Anders als Hopp ignoriert Mateschitz solche Beleidigungen mit dem Resultat, dass es gegen ihn wesentlich weniger persönliche Beleidigungen gibt, als gegen Hopp. Bei RB Leipzig konzentriert sich die Kritik mehr auf den Red Bull-Konzern und wird nicht so stark personifiziert, wie in Hoffenheim. Es ist das gute Recht von Hopp gegen die Beleidigungen vorzugehen. Doch weniger geworden sind die Beleidigungen deswegen nicht, vielmehr sind die Zahlen zuletzt wieder deutlich angestiegen.

Sowohl das Fadenkreuz-Symbol, als auch die zahlreichen „Hurensohn“-Beleidigungen sind abzulehnen. Eine solche Wortwahl ist in deutschen Fußballstadien ebenso wie auf Schulhöfen zwar fast Alltag, aber dennoch nicht in Ordnung. Deshalb dürfen Ultragruppen in Deutschland, die solche Banner zeigen durchaus kritisiert werden. Im Sinne der Fanszene sind die Beleidigungen ebenfalls nicht. Wegen der beleidigenden Wortwahl werden Fanlager gespalten und die Argumente, warum Hopp kritisiert wird, gehen völlig unter. Die Ultragruppen tun sich selbst somit keinen Gefallen. Falls Personen identifiziert würden, die eine solche Beleidigung hochhalten, droht die Weitergabe von immensen Geldstrafen des DFB, die durchaus Existenzen zerstören können. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Ultragruppen, neue Verbote, der Entzug von Dauerkarten und andere Kollektivstrafen werden diskutiert. Kritik an der TSG Hoffenheim, an Dietmar Hopp und anderen Entwicklungen im Profifußball könnten durchaus auch einfach auf kreative Art und Weise sowie ohne drastische Beleidigungen auskommen, wie viele Ultragruppen in der Vergangenheit schon häufig unter Beweis gestellt haben und auch weiter unter Beweis stellen.


Das Problem ist, dass die Ultragruppen nach Jahren, in denen fast ausschließlich sachliche Kritik an DFB und DFL geäußert wurde, in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht haben, dass man sich vor allem mit drastischen Protestaktionen, wie im Rahmen der „Krieg dem DFB“-Kampagne Gehör verschafft hat. Die Erfolge dieser Proteste drohen nun endgültig wieder verloren zu gehen. Beim DFB ist man zu Kollektivstrafen zurückgekehrt, wovon man sich nach den Fanprotesten der letzten Jahre eigentlich verabschieden wollte.

Die aktuellen Proteste richten sich vor allem auch gegen den Verband, weil dieser wegen Verfehlungen einzelner Personen wieder ganze Fanblöcke dicht macht und somit tausende Personen bestraft, die mit den Beleidigungen nichts zu tun haben. Doch durch die beleidigenden Inhalte ist gar nicht erst zu einer erneuten Debatte über Kollektivstrafen, die es eigentlich brauchen würde, gekommen.


Vielen Journalisten und Sport-Reportern treten in der aktuellen Debatte völlig ungehemmt auf und leisten sich ebenfalls Entgleisungen. In vielen Fällen werden die Ultras, die beleidigende Banner zeigen, von den Journalisten mit Worten beschrieben, die ebenfalls den Tatbestand der Beleidigung erfüllen dürften. Warum benutzt man Beleidigungen, um beleidigende Plakate zu verurteilen? So ein widersprüchliches Verhalten war in den vergangenen Tagen kein Einzelfall, auch nicht bei den Diskussionen über dieses Thema in den sozialen Medien. Den Ultras wird es relativ egal sein, wenn man sie als „Gehirnamputierte“, „Idioten“, „Abschaum“ oder sonst was bezeichnet. Doch wer solche Worte benutzt, solle sich seine Kritik an den Beleidigungen in den Fankurven besser sparen.

Das Fadenkreuz-Symbol wurde vielfach als Mordaufruf interpretiert. Von dieser Interpretation des Symbols haben sich verschiedene Ultragruppen bereits distanziert. Vielmehr stammt das Symbol von der Redensart „ins Fadenkreuz geraten“ ab. Es ist berechtigt, das Symbol zu kritisieren, aber wer darin einen „Mordaufruf“ sieht, der glaubt vielleicht auch, dass jemand, der „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ singt, über das Oktoberfest läuft und Besuchern dort die Kleidung abnimmt. „Tod und Hass dem BVB“-Gesänge bedeuten nicht, dass Schalke-Fans, die so etwas singen, ihre Arbeitskollegen wegen seiner Vereinszugehörigkeit umbringen. Autos von Schiedsrichtern haben in Deutschland auch noch nicht am Straßenrand gebrannt, obwohl das in Stadien und auf Sportplätzen tausendfach gesungen wurde.

Wenn Vereinsoffizielle und Journalisten die Beleidigungen gegen Hopp dann noch, wie mehrfach geschehen, in einen Zusammenhang mit den rassistischen Mordanschlägen von Hanau gesetzt werden, dann ist das eine Verhöhnung dieser Opfer. Warum bedarf eines solchen Vergleichs überhaupt? Man kann die Banner der Ultras doch auch einfach sachlich kritisieren. Die Mainzer Fanhilfe schrieb zurecht: „ Das Plakat ist weder rassistisch, noch terroristisch. Punkt! Neun Menschen wurden in Hanau von einem Nazi als 'nicht deutsch' markiert und deshalb hingerichtet. In Gladbach wurde ein weißer, deutscher Milliardär beleidigt. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun! Diese beiden Dinge in einen Topf zu werfen, stellt nicht nur eine völlig überzogene Skandalisierung des Plakats dar. Vor allem ist eine unerträgliche Relativierung tödlicher rechter Gewalt!“, fand die Mainzer Fanhilfe schon letzte Woche passende Worte dazu (Faszination Fankurve berichtete).


Während für den Milliardär Hopp, der sich selbst dazu entschlossen hat, einen Dorfclub mit seinem Geld in die 1. Bundesliga zu führen und deswegen geschmacklos angefeindet wird, jetzt schon mehrfach Fußballspiele unterbrochen wurden, erhielten Bundesliga-Spieler, die zuletzt wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert wurden, diese Unterstützung in den vergangenen Wochen nicht. Die rassistischen Beleidigungen in Bundesliga und 3. Liga kamen übrigens nicht aus dem Bereich der Ultras, sondern aus anderen Stadionbereichen. Fußballer, die in Deutschland von Rassismus betroffen sind, haben bisher nicht die gleiche Solidarität von wichtigen Persönlichkeiten aus dem deutschen Fußballbusiness erhalten, wie Hopp in den letzten Tagen.


Fraglich ist nun, wie es in der Causa mit den beleidigenden Plakaten nun weiter gehen wird. Die Ultragruppen wären gut beraten, auf geschmacklose Beleidigungen und das Fadenkreuz-Symbol zukünftig zu verzichten. Gleichzeitig sollte die Welle der Empörung wieder abflachen. Die Messlatte für Spielunterbrechungen wurde in den letzten Tagen neu gesetzt. Wenn TSG Hoffenheim-Fans bei einem Heimspiel gegen RB Leipzig Timo Werner, den Stürmer der Gäste wieder mit dem gleichen Wortlaut beleidigen, wie verschiedene Ultragruppen es mit Hopp machten oder die Hoffenheim-Fans bei Heimspielen gegen Freiburg wieder ein Fadenkreuz-Symbol gegen die Gäste zeigen, bleibt abzuwarten, ob es dann ebenfalls zu Spielunterbrechungen kommt. Sind Schiedsrichter in den kommenden Wochen mehr damit beschäftigt in die Fankurve zu schauen, um keine Beleidigung zu verpassen, wegen der ein Spiel unterbrochen werden könnte oder flacht das Thema wieder ab? Wir hoffen, dass keine „Hurensohn“-Plakate und Fadenkreuze mehr in den Fankurven zu sehen sind und in Deutschland stattdessen kritisch über die zunehmende Kommerzialisierung im deutschen Profifußball, die Schwächen der Sportgerichtsbarkeit, fanunfreundliche Anstoßzeiten oder hohe Ticketpreise debattiert wird. Bei diesen und vielen anderen Themen sind die Ultras ein wichtiges Korretiv im Profifußball, ohne deren Proteste der Ausverkauf des Fußballs wohl schon viel weiter fortgeschritten wäre. (Faszination Fankurve, 01.03.2020)

In einer vorherigen Version des Kommentars stand geschrieben, dass wir davon genervt sind, wie die Debatte aktuell geführt wird. Von mehreren Lesern und Leserinnen wurde dieser Satz so verstanden, dass wir von Fanprotesten genervt sind. Das ist aber nicht der Fall. Um dieses Missverständnis zu vermeiden haben wir die entsprechende Stelle angepasst.