21.02.2018 - 1. FC Köln

„London war einfach nur der absolute Wahnsinn“


Am 28. Februar 2018 erscheint der „Nur einmal nach Europa: Der 1. FC Köln in der Europa League“ Bildband von dem Kölner Fanszene Fotograf Sebastian Bahr. Wir sprachen mit ihm über das Buch, den Traum der Kölner Fans und über seine Reisen mit der Fanszene des 1. FC Köln durch Europa.

Faszination Fankurve: Mit „Nur einmal nach Europa“ erscheint bald ein Buch von dir über die Europa Leauge Spiele des 1. FC Köln im Jahr 2017. Wie kam es zu diesem Projekt?
Sebastian Bahr: Ich hatte schon sehr lange die Idee ein Buch über die Fans des FC raus zu bringen. Lange Zeit wusste ich nur nicht, in welcher Form. Da ich nicht der große Schreiber bin, sondern eher fotografieren kann und der FC in der letzten Saison eine realistische Chance auf Europa hatte, kam ich Mitte April auf die Idee des Bildbands. Ich habe auch länger überlegt, ob ich das Buch selber verlege oder ob ich mir einen Verlag suche, um das Projekt zu realisieren. Die zwei ausschlaggebenden Punkte waren für mich aber letztendlich, dass ich keine große Lust auf die ganze Logistik „nach dem Buch“ hatte (Stichwort: Versand) und zum anderem konnte ich mich über den Verlag akkreditieren, was sehr wichtig war. Im Nachhinein bin ich mit der Entscheidung auch mehr als glücklich, weil die Zusammenarbeit mit dem Verlag „Die Werkstatt“ – der sehr aktiv im Bereich Fußball ist – super und sehr produktiv war. Ich hatte absolute freie Hand und konnte das Projekt nach meinen Vorstellungen umsetzen. So habe ich zwei Träume in einem Projekt realisiert: einmal nach Europa mit dem FC und ein Buch rausbringen.


Faszination Fankurve: Das Buch beginnt mit dem letzten Bundesligaspiel der Saison 2016/2017, als sich der 1. FC Köln gegen Mainz 05 zum ersten Mal seit 25 Jahren für Europa qualifizierte. Versuch doch mal bitte deine Gefühle an diesem Tag zu beschreiben.
Bahr: Man merkte von Beginn an, dass was sehr besonderes in der Luft lag. Als die Mannschaft den Rasen betrat war schon mächtig was los und spätestens als Hector das 1:0 machte, war pure Eskalation angesagt. Für einen kurzen Moment hatte ich da auch echt die Tränen in den Augen. Irgendwie musste ich an all die verschissenen Momente denken, wo wir durch die zweite Liga gegurkt sind und nun standen wir so kurz davor, wieder international zu spielen. Spätestens beim 2:0 brachen alle Dämme und der Rest war nur noch Geschichte. Das kann man echt sehr schwer in Worte fassen, weil für ganz Köln ein Traum in Erfüllung ging und das alles fast schon surreal war. Der Platzsturm, die Feier hinter der Süd, der Marsch in die Stadt – einfach nur geil.

Faszination Fankurve: Wir haben schon einen Blick in das Buch werfen dürfen, das nur so strotzt vor emotionsgeladenen Bildern. Worauf hast du dich bei der Bildauswahl konzentriert?
Bahr: Die Bildauswahl war mit Abstand der schwierigste Part des Buches – und auch der schmerzhafteste. Ich glaube, da hätte ich ohne Probleme das Doppelte an Seiten füllen können. Schon etwas bitter, dass da viele geile Bilder über den Jordan gegangen sind, aber leider nicht anders machbar. Ansonsten hätte das den Kostenrahmen gesprengt, weil ich auch keine Lust hatte, einen extrem teuren Schinken unter die Leute zu bringen, den sich nicht so viele hätten leisten können. Daher habe ich mich auf das wesentliche konzentriert – die Fans. Ich habe halt versucht, die Spieltage so wieder zu geben, wie ich sie wahr genommen habe. Da bin ich auch dem Verlag sehr dankbar, dass die mir da vollkommen freie Hand gelassen.


Faszination Fankurve: Das erste europäische Spiel war gleich das Highlight in London. Wie hast du die vom Boulevard sogenannte „Schande von London“ und die dortige Stimmung erlebt?
Bahr: Ganz ehrlich: Wer das als „Schande“ bezeichnet, soll sich begraben gehen. Allerdings kam diese Aussage ja auch nur vom Boulevard und das sollte schon als Einordnung reichen. Der Auftritt in London war einfach nur der absolute Wahnsinn. Eine komplette Rot-Weiße-Invasion. Gefühlt war halb Köln in London und man hat überall Kölner in dieser Weltstadt gesehen. Die beiden Märsche waren auch schon ein guter Vorgeschmack auf das Spiel
Die Stimmung im Stadion war dann schon ein extremes Brett. Da haben die Engländer ganz große Augen gemacht und wussten gar nicht, wo hinten und vorne war. Besonders die erste Halbzeit (inklusive Torjubel deluxe) war schon ganz großes Kino. Auch kurz vor Ende, als „En unserem Veedel“ gesungen wurde, war einfach nur Gänsehaut. Also alles andere als eine „Schande“.

Faszination Fankurve: Große Choreografien gab es in der Südkurve in der Europa League wegen der anhaltenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Kölner Ultràszene und Vereinsvertretern nicht zu bestaunen. Vermisst du diese Art von Fotos im Rückblick ein wenig?
Bahr: Darüber hatte ich mir auch vorher schon Gedanken gemacht. Ich hatte bei den Heimspielen – besonders gegen Borisov – die Befürchtung, dass mir da was an Material fehlen wird. Im Nachhinein habe ich die aber nicht wirklich vermisst. Wäre natürlich schön gewesen, aber so ein Pyro-Intro wie gegen Belgrad war jetzt auch mal ganz nett anzuschauen und zu fotografieren…

Faszination Fankurve: Den besten Auftritt in der Gruppenphase im Müngersdorfer Stadion dürften die Fans von Roter Stern Belgrad gehabt haben. Wir empfandest du das Auftreten der Serben in der Stadt und im Müngersdorfer Stadion?
Bahr: Dazu sollte man aber auch sagen, dass dies nicht all zu schwer war. Borisov hatte kaum Fans am Start und Arsenal war eine einzige Enttäuschung. Obwohl der Block bei denen voll war, habe ich die nicht einmal gehört, was wirklich erbärmlich war. Aber Belgrad hat mich im Hinspiel jetzt auch nicht wirklich vom Hocker gehauen. Alles recht melodisch, aber in Sachen Lautstärke recht überschaubar – anders wie im Rückspiel, wo die mich wiederum schwer beeindruckt haben. Was man denen halt zu Gute halten muss, dass die einen Marsch durch Köln gemacht haben, was bisher keiner geschafft hat.


Faszination Fankurve: Die Reise nach Weißrussland war sicherlich eine Fahrt ins Unbekannte. Welche Anekdote hast du als Fotojournalist von der Reise in das Land zu berichten, das gerne mal als „letzte Diktatur Europas“ bezeichnet wird?
Bahr: Ich habe es ja auch schon im Buch angemerkt: Das ist ja auch das Geile an diesen Europapokalspielen. Du fährst in Länder, wo du im Leben niemals freiwillig hinfahren würdest. Weißrussland war schon recht speziell, aber auch eine geile Tour, weil da wirklich alles „etwas“ anders war. Das fing schon damit an, dass ich sehr spät bzw. zu spät vom Verein drüber informiert worden bin, dass man als Medienschaffender sich nochmal separat bei irgendeinem weißrussischen Amt anmelden muss, warum man dort was machen will (was letztendlich total unkompliziert endete). Das ging dann bei der Einreise weiter, wo man unbedingt eine dämliche Auslandskrankenersicherung brauchte (die einige FC-Profis nicht dabei hatten und sich am Flughafen für 2 € eine kaufen mussten) und ging weiter in der Stadt, die sehr surreal war. Ich habe noch nie so saubere Straßen gesehen. Die waren dort permanent am fegen und machen, damit alles wie geleckt aussieht. Sobald man mit mehreren Leuten unterwegs war, hatte man auch die Militärpolizei im Schlepptau. Und die Jungs verstehen wirklich null Spaß und haben das auch jeden zu verstehen gegeben. Dass sieht am Besten an dem Beispiel, dass zehn Polizisten nach dem Spiel dafür gesorgt haben, dass die Szene ins Hotel zurück kam und sich sogar ALLE ein Ticket für die U-Bahn gekauft haben. Da hatte wirklich keiner Bock darauf, für irgendwelchen Nonsens in den Bau zu gehen.

Faszination Fankurve: In Belgrad bist du im Buskonvoi der Kölner Ultràszene von Kroatien nach Belgrad gereist. Wie verlief die Reise nach Belgrad, schließlich gelten die Roter Stern Belgrad-Fans nicht gerade gastfreundlich?
Bahr: Die Anreise nach Belgrad habe ich mir deutlich cooler vorgestellt, als Sie leider letztendlich war. Mit sieben Bussen haben wir uns außerhalb von Osijek getroffen und hatten direkt auch schon die Polizei im Schlepptau. Bis zur serbischen Grenze war auch alles recht easy und entspannt. Ab der Grenze wurde es dann aber teilweise echt sehr nervtötend, weil die „Einreise“ knapp vier Stunden dauerte inklusive großer Filzerei, Abnahme aller alkoholischen Getränke und sehr unentspannter Polizei. Zwischenzeitlich hieß es sogar, dass wir nicht weiter fahren können, weil sich die Polizei an den Regenjacken störte. Dann wurden wir aber doch im großen Konvoi weiter nach Belgrad gebracht und kurz vor Belgrad wurde sogar die komplette Autobahn für uns gesperrt. Was mich extrem überrascht hatte, dass in Belgrad an jeder Ecke Polizisten in voller Montur standen. Außerdem sind wir auch durch die Stadt mit einem Affenzahn gerast, so dass es unmöglich war, dass sich Belgrad zeigen konnte. Wir sind am Stadion angekommen und mussten dort auch noch knapp zwei Stunden im Bus warten, weil die Bullen jeden Bus einzeln zum Stadion brachten und ich das Pech hatte im letzten Bus zu sitzen. Auch nach dem Spiel war alles abgesperrt und blieb auch komplett ruhig. In der Stadt selber blieb es in der Nacht vor und nach dem Spiel wohl auch recht ruhig, bis auf ein paar kleinere Angriffe auf Kölner Fans, die aber nicht der Rede Wert sind.


Faszination Fankurve: Wie hast du vom Innenraum aus die Reibereien zwischen Roter Stern-Fans und Kölner Ultras wahrgenommen?
Bahr: Ich hatte ja quasi die Premium-Sicht auf das Geschehen. Dass das ein heißer Tanz werden würde, sollte eigentlich jedem bewusst gewesen sein, der sich mit dem Fußball auskennt. Worüber man nicht groß diskutieren muss, dass die Leuchtspur Richtung Mannschaft beim Anpfiff schon schwer daneben war. Das hat die Stimmung leider von Beginn an komplett gekillt, weil sich viele darüber abgefuckt haben.
Das ganze Spektakel anschließend, dem versuchten Diebstahl des Banners der „Boyz“ und dem „Pyro-Ping-Pong“, würde ich mal als Fußball-Balkan-Folklore einordnen. Ob man das jetzt toll findet oder nicht, muss jeder für sich selber entscheiden. Da haben sich beide Seiten nicht viel getan. Ich glaube aber, dass das bei den Serben jetzt nicht zu großer Schnappatmung geführt hat, wie bei dem deutschen Fußballfan, weil die ganz andere Sachen in Belgrad gewohnt sind.

Faszination Fankurve: Hattest du während der sechs Spiele irgendwann mal das Gefühl, jetzt lieber im Fanblock zu stehen und zu singen, statt im Innenraum mit einem UEFA-Leibchen zu fotografieren? Schließlich bist du in der Kölner Fanszene ja kein unbekanntes Gesicht.
Bahr: Ganz ehrlich: Nein! Auch wenn es etwas pathetisch klingt, aber ich habe meine Aufgabe darin gesehen, diese Spiele bestmöglich fest zu halten. Einfach eine Erinnerung für die Ewigkeiten hin zu kriegen. Stand jetzt heißt es ja nächstes Jahr eher „Mal wieder nach Aue“ und ich weiß nicht, ob und wie lange der Verein für eine Wiederholung braucht. Außerdem war es ja nicht so, dass ich da jetzt komplett außen vor war. Bei allen Spielen war ich quasi mittendrin. Anders hätte das Buch ja auch nicht funktioniert.

Faszination Fankurve: In deinem Buch sind die abgebildeten Fans auf den Fotos unverpixelt zu sehen, darunter auch viele Ultras. Dadurch kommen die Emotionen natürlich super rüber, aber es ist sicherlich auch ein Vertrauensbeweis der Kölner Ultràgruppen in deine Arbeit, dies zu akzeptieren oder?
Bahr: Ich habe das ganze Projekt von Anfang an offen kommuniziert. Ehrlich gesagt, war ich recht überrascht, dass ich so gut wie keine kritische Rückmeldung zum Projekt erhalten habe. Es hat sich auch ziemlich schnell rumgesprochen und alle hatten richtig Bock da drauf. Die Leute wussten eben, dass da kein daher Gelaufener das Buch macht, sondern jemand aus der direkten FC-Szene, der auch mal ein paar anständige Fotos machen kann. Es war für mich auch vollkommen klar, dass ich keine „Pixel-Party“ der Gesichter im Buch machen werde, weil dann einfach zuviel verloren geht. Ich hatte mit den Gruppen auch vereinbart, dass die vorab das finale Lay-Out sehen, um - vermeintlich - bei problematischen Bildern Ihr Veto einzulegen. Von diesem Veto wurde aber nicht Gebrauch gemacht. Ich bin den Leuten wirklich sehr dankbar für Ihr Vertrauen, weil ich sonst das Dingen hätte komplett knicken können, weil keiner ein Buch haben will, wo die Hälfte der Bilder „verpixelt“ ist.

Video-Trailer zum Buch:

Faszination Fankurve: Neben den vielen sehenswerten Fotos ist in dem Buch auch zu jedem Spiel ein wenig Text zu finden. Was war hier dein Konzept?
Bahr: Naja, die Texte sind eher ganz nettes Beiwerk. Mit denen werde ich mit Sicherheit keine Preise gewinnen. Für mich sind das ganz klassische „Fußball-Berichte“, wobei die Auswärtsspiele schon deutlich umfangreicher sind. Das hat den ganz einfachen Grund, dass so ein Auswärtsspiel viel mehr Anekdoten und lustigen Geschichten beinhaltet, als ein Heimspiel, dass leider zu „buisness as usual“ verkommen ist. Die Heimspiele sind daher sehr überschaubar. Die Texte sollte daher die Lesekompetenz des allgemeinen Fan nicht arg strapazieren. Eigentlich hatte ich auch noch vor, zu jedem Spiel ein Interview zu machen, aber leider musste ich das streichen, weil dafür dann der Platz zu schade war.

Faszination Fankurve: Was war für dich rückblickend der emotionalste Moment des Abenteuers in Europa
Bahr: Puh, wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich London nennen. Das war schon ein legendärer Auftritt. Obwohl ich ganz klar sage, dass Borisov und Belgrad auch was sehr Besonderes waren, obwohl alle Grundverschieden waren.


Faszination Fankurve: Wie sind die Eckdaten des Buches (Anzahl Seiten & Fotos, Preis, Aufmachung etc.) und wo können Fans das Buch bestellen?
Bahr: Das Buch hat 160 Seiten, eine Menge Bilder zu den sieben Spielen (alle EuroLeague-Spiele und dem letzten Heimspiele gegen Mainz, wo wir uns qualifiziert haben). Das Format liegt bei A4 quer und hat ein nettes Hardcover. Der Preis liegt bei fairen 24,90 € und das Buch ist überall dort zu bekommen, wo man Bücher herkommt. Ob die Buchhandlung neben an oder das große Internet-Imperium mit dem A, sollte jeder selber wissen – obwohl ich ganz klar zur Möglichkeit Buchhandlung rate.

Faszination Fankurve: Ist das Buch deiner Meinung nach nur für Fans des 1. FC Köln interessant?
Bahr: Primär ist es natürlich für alle Kölner gedacht. Als Erinnerung an viele großartige Momente, die wir nach all den Jahren endlich (wieder) erleben durften. Ich gehe aber fest davon aus, dass einige Bücher auch in die restliche Szenen der Republik wandern werden. Dafür dürfte die Neugier bei Einigen zu groß sein. (Faszination Fankurve, 21.02.2018)

Fanfotos 1. FC Köln




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