01.09.2004 - Italien

Neapel vor dem Aus


Mit aller Kraft versuchen die Fans, den Zwangsabstieg des italienischen Traditionsclubs zu verhindern.

Am Fuße des Vesuvs droht einer der fußballverrücktesten Städte der Welt das bisher Unvorstellbare. Den SSC Neapel, 1989 noch UEFA-Pokal-Sieger, drücken 70 Millionen Euro Schulden, seit Monaten wurden keine Spielergehälter mehr gezahlt. Nur allzu konsequent, dass ein Konkurs folgen musste und somit keine Lizenz für die kommende Saison in der Seria B erteilt wurde – ein schwerer Schlag für die Tifosi.

In dem Bemühen, ihren Club in der zweithöchsten Spielklasse zu halten, haben die Fans eine Rettungsaktion ins Leben gerufen. Sie läuft unter dem Motto „Orgoglio Napoletano“ (Neapolitanischer Stolz). Bisheriger Höhepunkt: Bei einer Versammlung kamen 40.000 Menschen ins Stadion San Paolo um mit ihren 5 Euro Eintritt zur Rettung beizutragen. Es gab eine Gala, bei der die Tore Maradonas auf Großleinwand gezeigt wurden und bei der der einheimische Sänger und Schauspieler Nino D’Angelo (nicht zu verwechseln mit dem deutschsprachigen Schlagersänger) auftrat. Er ist – spätestens seit er vor 17 Jahren einen Film für die Napoli-Ultras („Quel ragazzo della curva B“) produzierte – bei den Fans hoch angesehen.

Am folgenden Tag gab es eine weitere Demonstration auf der „Piazza Municipio“ in der Innenstadt, bei der ca. 20.000 Fans anwesend waren. Ganz Neapel hing zu diesem Zeitpunkt längst voll mit Spruchbändern und Plakaten. Zudem werden Unterschriften für eine Petition gesammelt, die Ministerpräsident Berlusconi und Staatspräsident Ciampi vorgelegt werden soll – rund eine Millionen Signaturen kamen bereits zusammen. Auch Bürgermeisterin Rosa Russo Iervolino macht sich für den Club stark.

Nicht nur deshalb wird das Schicksal Napolis immer mehr zum Politikum, welches den latent schwelenden Konflikt zwischen Italiens reichem Norden und dem strukturschwachen Süden anstachelt. Die Lega-Nord-nahe Zeitung „La Padania“ begrüßte den Lizenzentzug in den letzten Wochen mit hämischen Schlagzeilen. Wenn wir die Klasse jetzt noch halten, dann steckt in den Spielen wie zum Beispiel gegen Verona noch mehr Brisanz“, sagt Matthias Bürgel (24), der wegen seines SSC in Italien studiert und so regelmäßig bei den Spielen dabei sein kann.

„Neapel ist das Herz von Süditalien. Der Verein ist ein Symbol für unseren Stolz, aus Süditalien zu kommen“, erklärt der gebürtige Neapolitaner Elio Lo Conte (51), der heute in den Niederlanden lebt und auf der teilweise englischsprachigen Seite Clubnapoli.it die mit 3.100 Mitgliedern aus 52 Ländern größte Napoli-Internet-Community der Welt betreibt.

Ohnehin ticken die Uhren in Neapel ein wenig anders, alles ist eine Spur fanatischer. Die Protagonisten der Kurve haben einen Status, wie er in Deutschland unvorstellbar wäre. Gennaro Montuori war früher der Capo der „Curva B“ und machte sich durch die Inszenierung aufwendiger Choreografien einen Namen (zur Meisterschaft ließen er und seine Helfer ein Feuerwerk in den italienischen Nationalfarben hinter dem Vesuv aufsteigen). Jetzt ist er Herausgeber vom monatlich erscheinenden Fan-Magazin „UltrAzzurro Stadio“. „Palummella“ (dt.: Taube), wie Montuori genannt wird, gilt in Neapel als lebender Mythos. Er hat nicht nur eine eigene Fernsehshow, die sich mit dem Club beschäftigt, sondern war auch bei der Hochzeit von Maradona in Buenos Aires und gab die DVD „Maradio“ (ein Wortspiel aus „Maradona“ und „Dio“ = Gott) heraus. Und der steht in Neapel immer noch über allen. „Er war der größte Spieler in der Zeit, in der wir europäische Spitze waren. Wir lieben ihn noch immer und auch wenn es ihm gerade sehr schlecht geht, versuchen wir immer, ihm unsere Grüße zukommen zu lassen.“ Von 1984 bis 1991 trug er das blaue Trikot, aber noch heute gibt es in der Altstadt-Straße Spaccanapoli einen von Schulklassen besuchten Maradona-Wandaltar und die Fans singen über ihn Dutzende Lieder im neapolitanischen Dialekt. Und auf die Herkunft legt man hier besonderen Wert. Auch die Zugehörigkeit zur Fan-Gruppierung richtet sich stark nach dem Stadtteil aus dem man stammt. Dominiert wird die Fanszene heute von den Mastiffs (die seit 1991 bestehende Gruppe ist heute mit 900 Mitgliedern die größte des Clubs), Teste Matte, Bronx, Vecchi Lions, Masseria, Brigata Carolina (alle „Curva A“) sowie den Ultras Napoli (die Nachfolge-Organisation des vor zwei Jahren aufgelösten Commando Ultra) und den Fedayn („Curva B“). Sie pflegen vor allem zu den Fans von Genua 93 ein gutes Verhältnis.

In welcher Liga der Verein unterdessen nächstes Jahr spielen wird, ist noch höchst unklar. Ginge es nach dem zivilen Gerichten, wäre das in der Seria B, würde sich der Verband (FIGC) durchsetzen, würde der Club in die Seria C1 integriert werden. Durch den Bankrott des Vereins, hätte der Verband die Möglichkeit, die Napoli-Lizenz für 5 Millionen Euro in der Seria C an einen neuen Club in Neapel zu veräußern. Erst kürzlich hatte das Olympische Komitee Italiens (CONI) eine Regelung erlassen, dass in Konkurs-Fällen die Lizenz innerhalb einer Stadt, allerdings eine Liga tiefer übernommen werden kann. Es ist auch nicht völlig ausgeschlossen, dass in der kommenden Saison gar nicht gespielt wird. „Man hört jeden Tag was Neues. Ich habe selber keine Ahnung, in welcher Liga es losgeht“, so Elio Lo Conte. Genaueres weiß man wahrscheinlich erst beim Liga-Start am 12. September. Der Spielplan der Seria C wurde inzwischen mit einem „x“ veröffentlicht. (Faszination Fankurve, 01.09.2004)

Fanfotos Italien




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