01.08.2005 - Italien

Sanktionen folgten Proteste


Nach den ersten Urteilen im Manipulationsskandal der italienischen Liga proben die Fans den Aufstand – die einen für die Ehre, die anderen gegen „ungerechte Verdikte“.

109 Jahre glorreicher Geschichte werden nicht durch ein paar Telefonate beschmutzt“, verkündeten die „Viking Juve“ auf einem Spruchband beim letzten Saisonspiel. Zumindest die letzten beiden Jahre der Geschichte der großen „alten Dame“ werden nun doch umgeschrieben werden müssen, denn nach den Urteilen im größten Skandal der italienischen Fußballgeschichte werden den Turinern die Meistertitel 2005 und 2006 aberkannt, und der Rekordmeister muss erstmals den Weg in die Serie B antreten, wo er die kommende Saison zudem mit minus 30 Punkten beginnen soll. Ebenfalls zwangsabsteigen müssen Fiorentina (minus zwölf Punkte) und Lazio (minus sieben); Milan bleibt zwar in der Serie A, verliert durch einen Punktabzug von 44 Zählern aber die Champions-League-Qualifikation und wird mit minus 15 Punkten in die neue Saison starten. Abzuwarten sind jetzt noch die Entscheidungen der kommenden Gerichtsinstanzen; weiterhin wird die Fahndungskommission der Staatsanwaltschaft in den kommenden Tagen eine weitere Untersuchung vorlegen, die auch einige kleinere Vereine, darunter wohl insbesondere den AC Reggina, belastet.

Indessen blieben die Fans der betroffenen Clubs nicht untätig und organisierten eine Reihe von Kundgebungen, um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen: Bereits Ende Mai bekundeten die „Viking Juve“ ihr Missfallen über die alte Führungsriege um Luciano Moggi und stellten eine Petition auf, in der sie forderten, dass „mit Stil zu gewinnen künftig wieder die Besonderheit der Juve“ sein müsse. Anfang Juli übergaben Vertreter der „Viking“ gemeinsam mit Vertretern des „Nucleo“ die Petition und unterstützende Briefe der Anhängerschaft dem Aufsichtsrat des Vereins. Zur gleichen Zeit fanden sich bei einer von den „Drughi“ organisierten Demonstration in Turin über 20.000 Menschen ein, darunter auch einige Ex-Spieler und Prominente, die unter dem Motto „Die Juve sind wir“ gemeinsam ihren Stolz und ihre Liebe zum Club manifestierten.

Gleicher Maßstab für alle?

Es war klar, dass das Urteil für Juve der Maßstab für alle anderen sein müsste: Schließlich hatten die Turiner nicht nur einzelne Spiele manipuliert, sondern in den vergangenen Jahren ein regelrechtes System zur Kontrolle der Serie A errichtet, was sowohl die im Prozess behandelte Einflussnahme auf die Schiedsrichteransetzung, als auch eine weitreichende Kontrolle des Transfermarktes und teilweise sogar der Berichterstattung der Medien umfasste. Durch Inanspruchnahme der Hilfen dieses Systems gelang es Fiorentina und Lazio in der Saison 2004/2005 die nötigen Punkte zum Klassenerhalt zu sichern; dennoch erscheint den Fiorentina-Tifosi das Urteil in Relation zur verhassten Juve als zu hart: Drei Tage nach der Urteilsverkündung zogen über 3.000 Anhänger im Zeichen uneingeschränkter Solidarität zu ihrem Verein zum nahe dem Stadion gelegen Sportzentrum des Verbandes Coverciano, holten dort die Verbandsfahne ein und bildeten den Schriftzug „Basta!“. Ein Teil der Demonstranten setzte sich dann Richtung Bahnhof ab und besetzte über vier Stunden lang die Gleise, sodass über 40 Züge blockiert wurden, in denen 20.000 Passagiere feststeckten.

Der Zorn der Laziali hingegen richtet sich in erster Linie gegen Vereinspräsident Claudio Lotito, mit dem die Curva Nord schon seit Monaten im Clinch liegt. Bereits direkt nach der Urteilsverkündung riefen aufgebrachte Fans per Sprechchören zur Jagd auf Lotito auf, eine Woche später demonstrierten die Anhänger des zweimaligen Meisters vor der Stadtverwaltung, die eine Delegation der Irriducibili empfing. Die Ultras drückten ihren Unmut darüber aus, dass die Fans mit der zweiten Liga bitter für das Fehlverhalten des Vereinsoberen zu bezahlen haben. Voll auf der Seite ihrer Vereinsspitze stehen dagegen die Ultras des AC Milan, dem ebenfalls die Beeinflussung von Schiedsrichtern nachgewiesen werden konnte, wenn auch in weit geringerem Maße als Juve. Nach einer Protestkundge-bung der „Guerrieri Ultras“ zogen zwei Tage vor Beginn der Berufungsverhandlung mehrere hundert Milanisti unter Führung der „Brigate Rossonere“ durch die Stadt, um ihrer Überzeugung Ausdruck zu verleihen, dass der Verein unschuldig sei. Lokalrivale Inter könnte derweil am grünen Tisch der erste Meistertitel seit 1989 zugesprochen werden: „Wir werden nicht feiern“, erklärt Mario Locatelli vom „Centro coordina-mento Inter club“ jedoch, „wir warten, dass Juve in die Serie A zurückkehrt, um sie und Milan auf dem Feld zu schlagen.“ Er spricht damit wohl für die Mehrzahl der Fans – egal, welchen Vereins –, die einfach nur endlich wieder ehrlichen Fußball sehen wollen. (Faszination Fankurve/Matthias Bürgel, 01.08.2006)

Fanfotos Italien




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