16.09.2011 - Werder Bremen

Stadionverbote aller Ultras in Bremen ausgesetzt


Alle von Stadionverboten betroffenen Mitglieder der Bremer Ultraszene dürfen seit Saisonbeginn die Stadien der Bundesliga wieder betreten. Grund dafür ist ein Konzept, ausgearbeitet von der Bremer Fanbetreuung, auf dessen Basis die Verbote auf Bewährung ausgesetzt wurden. Die Gruppe Racaille Verte nimmt dies zum Anlass grundlegende Kritik an Stadionverboten zu äußern.

Faszination Fankurve dokumentiert die Stellungnahme von Racaille Verte:

Stadionverbote auf Bewährung ausgesetzt – Ein Modellversuch in Bremen

Die Stadionverbotler sind wieder drin – Endlich! Über die Sommerpause hat unsere Fanbetreuung ein Konzept ausgearbeitet und durchgesetzt, welches es den Stadionverbotlern ermöglicht, wieder in der Kurve zu stehen. Unsere Freunde stehen wieder bei uns und ihre Zeit vor den Toren der Stadien und in den Kneipen ist vorbei. Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, die Leute wieder neben sich zu haben. Alle Stadionverbotler aus der Ultraszene haben zu Saisonbeginn die Möglichkeit bekommen, das Bewährungskonzept unter bestimmten Voraussetzungen anzutreten. Dafür bedanken wir uns ganz herzlich bei allen, die das ermöglicht haben!

Wir verfolgen mit diesem Text allerdings nicht nur die Intention, unserer Freude darüber Ausdruck zu verleihen und unsere Dankbarkeit auszusprechen; wir möchten ebenfalls ausdrücklich daran erinnern und darauf aufmerksam machen, wie willkürlich und unsinnig die Sanktion „Stadionverbot“ als solche ist. Die Stadionverbote sind größtenteils ausgesetzt und ihre Praxis hat sich (zumindest in Bremen) verändert. Dennoch existieren in anderen Städten weiterhin Stadionverbote, die teilweise für Nichtigkeiten ausgesprochen werden – wie zum Beispiel für das Verkleben eines Aufklebers.

Die Grundsätze des Modells „Stadionverbote auf Bewährung“

Die Grundidee des Modellprojekts ist die „(Re-)Integration des Stadionverbotlers und die Stärkung bestehender Normen“ (Zitat: Bewährungskonzept). Im Mittelpunkt steht die Aussetzung des Stadionverbots auf Bewährung. Die Maßnahme beinhaltet Vorgespräche, die Ableistung von Arbeitsstunden im Rahmen einer gemeinnützigen Tätigkeit bei Werder Bremen oder dem Fan-Projekt sowie eine Abschlussevaluation.

Zu den wichtigsten Rahmenbedingungen gehören:

- Die Teilnehmer_innen sollen grundsätzlich das 30. Lebensjahr nicht überschritten haben.

- Die Teilnahmemöglichkeit wird der betreffenden Person nur einmal angeboten.

- Für jeden Monat des Stadionverbots werden drei Arbeitsstunden fällig (bei einem Stadionverbot von drei Jahren (maximale Laufzeit) wären das 108 Arbeitsstunden.

- Ein Stadionverbot kann bundesweit ausgesetzt werden, insofern es von Werder Bremen ausgesprochen wurde.

- Wurde das Stadionverbot vom DFB oder einem anderen Verein ausgesprochen, so stellt Werder Bremen, nach Einwilligung des Betroffen zur Maßnahme, einen Antrag. Nach dem Einverständnis des DFB bzw. des Vereins kann das bundesweite Stadionverbot auf Bewährung ausgesetzt werden.

- Voraussetzung für die Anwendung des Modells ist die Unterzeichnung des Fan-Ethik-Kodex’ – entweder persönlich oder per Fanclub- bzw. Ultra-Gruppen-Unterzeichnung.

- Die Maßnahme wird durch Teilfinanzierung von dem Beschuldigten, einem Werder-Fan-Fond und Werder Bremen ermöglicht.

Verlauf des Projekts

Hat die betroffene Person ihre Einwilligung zu der Maßnahme erklärt, wird das Stadionverbot zur Bewährung ausgesetzt – entsprechend der im Konzept vereinbarten Rahmenbedingungen. Die Rahmenbedingungen sind am Anfang dieses Konzepts kurz wiedergegeben. Ansonsten sind sie im Internet zu finden (siehe im Anhang den Link zu »Das Bremer Konzept „Stadionverbote auf Bewährung“«).

Die Durchführung des Projekts findet in Kooperation mit dem Fan-Projekt und dem Täter-Opfer-Ausgleich statt. Jeweils zu Beginn und am Ende des Projekts werden Gespräche zwischen einem/r Mitarbeiter_in des Täter-Opfer-Ausgleiches sowie der betroffenen Person geführt. Zu Beginn werden verschiedene Angebote zur Ableistung der Arbeitsstunden gemacht, aus denen die betroffene Person dann auswählen muss. Sie muss die entsprechenden Stunden ableisten, sich also bewähren.

Ist das Stadionverbot auf Bewährung ein faires Stadionverbotskonzept?

Der Umgang mit Stadionverboten hat sich zumindest in Bremen deutlich verbessert. Dennoch gibt es auch an diesem Konzept genug Punkte, die kritisiert werden können und müssen.

Zuallererst stellen wir das Stadionverbot als solches in Frage. Präventivstrafen und Präventivmaßnahmen erfolgen eben logischerweise ohne vorheriger nachgewiesener Schuld. Präventivstrafen erfolgen häufig aufgrund von Gefahrenprognosen, die in dem Fußballkontext mehr als selten über das Ziel hinausschießen und wenig mit der wirklichen Realität zu tun haben.

Zudem kommt dazu, dass außerhalb der Stadien häufig weitaus mehr gewalttätige Auseinandersetzungen und Zwischenfälle stattfinden als dies im Stadion selbst der Fall ist. Durch das Stadionverbot werden also höchstwahrscheinlich keine Straftaten oder Zwischenfälle verhindert.

Natürlich könnten wir die gesamte Maßnahme des Stadionverbots noch weitaus länger kritisieren, hier wollen wir aber hauptsächlich auf das neue Bremer Konzept eingehen.

Ein Problem mit diesem Konzept besteht unsererseits darin, dass mensch mit Antritt des Konzepts das Stadionverbot als solches offiziell akzeptiert und anerkennt.

Personen müssen Bewährungsauflagen erfüllen und Strafzahlungen ableisten, obwohl ihnen keinerlei Schuld nachgewiesen wurde.

Natürlich haben auch unsere Stadionverbotler das Angebot allesamt angenommen, um schnell wieder ins Stadion zu gelangen. Völlig zufrieden können wir damit aber nicht sein – das richtige Übel, nämlich die Stadionverbotspraxis, wird damit nicht beseitigt. Zusätzlich treten einige weitere Punkte auf, die wir nicht befürworten:

Bei Problemen während des Verlaufs der Bewährungsmaßnahme wird das Stadionverbot wieder in Kraft gesetzt und die einmalige Möglichkeit an der Maßnahme wird der betroffenen Person kein zweites Mal gewährt. Was passiert zum Beispiel, wenn eine Person zweimal ein Stadionverbot bekommt? Was ist, wenn eine Person, die bereits über 30 ist, ein Stadionverbot erhält? Dem Konzept liegt der Glaube an einen gerechten Rechtsstaat zugrunde, den selbst die Bürgerlichen und die Jurist_innen unter den aktiven Fans nicht teilen werden.

Das Konzept zeigt also diverse offene Fragen und Probleme auf, ist aber dennoch eine große Veränderung und hoffentlich ein neuer Anstoß in der Debatte um Stadionverbote.

Es geht ums Ganze!

Das Konzept ist zwar ein ganz neuer und großer Fortschritt, dennoch ist es noch immer nicht das, was wir uns vorstellen. Es reicht nicht aus, erst dann anzusetzen, wenn die Stadionverbote bereits bestehen.

Stadionverbote unterliegen dem Hausrecht und können somit willkürlich von den Vereinen ausgesprochen werden. Der betroffenen Person muss dabei nicht einmal eine Schuld nachgewiesen werden; und selbst bei der Einstellung eines eventuellen Verfahrens oder einem Freispruch bleibt das Stadionverbot in der Regel bestehen. In Deutschland bestehen derzeit um die 3.000 Stadionverbote, die aus den unterschiedlichsten Gründen ausgesprochen wurden.

- Wir fordern alle Vereine und den DFB auf, das Konzept aus Bremen zu übernehmen und gemeinsam mit Fanbetreuer_innen, Fan-Projekten und Fanorganisationen zugunsten der Betroffenen weiterzuentwickeln.

- Wir fordern eine Überprüfung aller bestehenden Stadionverbote und daraus folgend eine Aufhebung aller Stadionverbote, bei denen eine Schuld nicht eindeutig nachgewiesen wurde!

- Zudem fordern wir den DFB und die Vereine auf, keine präventiven Stadionverbote mehr auszusprechen, sondern stattdessen die präventive Arbeit der Fan-Projekte zu unterstützen!

- Wir fordern eine ergebnisoffene Debatte um die gesamte Maßnahme der Stadionverbote!

Was wir tun können:

Es reicht nicht, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen – auch wir Ultras und Fans müssen uns mit unserem eigenen Verhalten auseinandersetzen.

Wir wünschen uns eine Kurve, die laut, bunt, kreativ und antifaschistisch ist. Wir wünschen uns eine Kurve ohne Polizist_innen und Ordner_innen. Wir wünschen uns eine Kurve, in der wir Fans und Ultras uns selbst regulieren und in der es keine Einschränkungen und Verbote von Institutionen mehr gibt.

Weil wir uns all das wünschen und weil wir das auch erreichen wollen, rufen wir alle dazu auf, sich mit den eigenen Verhaltensweisen und Einstellungen auseinander zu setzen. Lasst euch zum Beispiel nicht von Ordner_innen oder Polizist_innen provozieren und gebt ihnen keinen unnötigen Anlass dazu, gegen uns vorzugehen. Wir wollen uns gemeinsam Freiräume schaffen! Weg mit den Einschränkungen von Fahnen und Doppelhaltern! Weg mit dem Verbot von Pyrotechnik! Falls es doch zu einem Angriff von Ordner_innen und/ oder Polizist_innen auf den Block kommt, verhaltet euch solidarisch und lasst die Betroffenen nicht alleine stehen!

Für eine freie Kurve! – Gegen Stadionverbote!

Racaille Verte im September 2011

Fanfotos Werder Bremen




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