01.06.2006 - Italien

Unruhen zum Saisonende


Bereits bevor der Betrugskandal publik wurde, schien ein Großteil der italienischen Kurven von einer Stimmung allgemeiner Unzufriedenheit erfasst worden zu sein; aus den verschiedensten Gründen kam es im ganzen Land zu Protesten.

In einigen Fällen, etwa bei den schon monatelang währenden Aktionen in Lecce, Cremona oder beim Viertligisten Prato, handelt es sich um Reaktionen auf die desolate sportliche Situation der jeweiligen Clubs, mit denen ein Wechsel an der Führungsspitze erreicht werden soll. In Messina forderten die Ultras den Rücktritt von Präsident Franza schon heftigst, als die Mannschaft noch mitten im Kampf um den Klassenerhalt stand. Als dann ausgerechnet durch eine Derbyniederlage bei Reggina der Abstieg besiegelt wurde, endete das folgende, vorerst letzte Erstligamatch gegen Empoli im San Filippo mit einem Spielabbruch: Es hatte zum dritten Mal unterbrochen werden müssen, da es von den Tribünen Plastikflaschen, Feuerwerkskörper, Tomaten, Eier und Orangen regnete.

Etwas aus dem Rahmen fällt der Protest bei Lazio Rom, der sich unter anderem durch einen totalen Boykott des Heimspiels gegen Reggina (nur ca. 10.000 Zuschauer verloren sich im Olympiastadion) und eine Demonstration mit 5.000 Teilnehmern vor der Partie gegen Empoli manifestierte. Die Ultras fordern Vereinspräsident Lotito zum Rücktritt auf – derselbe Präsident, der noch vor einem Jahr gefeiert wurde, weil er den drohenden Konkurs des Vereins (mit Hilfe eines Dekretes, das die Abzahlung der Schulden auf 23 Jahre verteilte) abwenden konnte, sieht sich nun seit Monaten Beschimpfungen und massiven Drohungen gegen sich und seine Familie ausgesetzt, da er nach Meinung der Fans zu wenig Geld in die Mannschaft investiert und der Verbleib einiger wichtiger Spieler fraglich ist. „Mit Lotito gibt es keine Zukunft“, erklärten die Irriducibili, die ihre Interessen von Lotito nicht ausreichend vertreten sehen.

An anderen Orten richtet sich der Protest eher gegen die Mannschaft, von der sich die Tifosi mehr und mehr entfremdet fühlen, so etwa bei Inter Mailand nach dem Aus in der Champions League, wohingegen die Juve-Kurve ihre Mannschaft nach dem Ausscheiden zwar gnadenlos auspfiff, den teilweise erwarteten Support-Boykott in der Liga jedoch nicht umsetzte.

In Siena gelang der Klassenerhalt zwar durch den Derbysieg Regginas, doch verübelten es die Fans ihrer Mannschaft, dass sie sich zur gleichen Zeit innerhalb der ersten acht Minuten von Juve 3:0 auseinander nehmen ließ: Die Banner wurden eingepackt und die Spieler als „Clowns“ beschimpft.

Aufsteiger Ascoli konnte den Ligaverbleib in Treviso klar machen, doch hielten es die Spieler nach dem erzielten Punktgewinn offenbar nicht für nötig, sich bei den mitgereisten Fans zu bedanken. Ein wütendes Pfeifkonzert war die Folge, das die Mannschaft immerhin veranlasste, sich in einem offenen Brief für ihr Verhalten zu entschuldigen.

Auch die Fans von Genoa 1893 befanden sich in den letzten Wochen aufgrund der schwachen Leistungen der Mannschaft mehr und mehr auf Konfrontationskurs und stellten die Spieler mehrfach beim Training zur Rede. Unterdessen verlieh die Fanassoziation „Grifoni in rete“ öffentlich ihrem Unmut Ausdruck über das Vorhaben des Vereins, die drei verlorenen Punkte aus dem Spiel bei Sambenedettese am grünen Tisch wiederzuerlangen.

Einerseits zeigen einige der Proteste, dass auch bei bestimmten Ultragruppierungen längst nicht mehr das sportliche Element im Vordergrund steht, während anderen, in der Sache richtigen Anliegen, durch übertriebene Aktionen eher geschadet als genützt wurde. Andererseits ist die Unzufriedenheit vieler Kurven auch nachzuvollziehen, und nicht zuletzt die skandalösen Ereignisse der letzten Wochen haben bewiesen, dass die Fans allen Grund haben, den Fußball argwöhnisch zu betrachten und auf seine Missstände hinzuweisen. (Faszination Fankurve, 01.06.2006)

Fanfotos Italien




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