05.10.2017 - Werder Bremen

Zivilpolizisten umstellten Fans mit gezogenen Pistolen


Am vergangenen Samstag kam es in Hamburg zu einem umstrittenen Einsatz gegen Ultras von Werder Bremen. Einer der 171 Werder-Fans, die nicht zum Nordderby durften, hat uns einen Erfahrungsbericht geschickt, in dem beschrieben wird, wie Zivilpolizisten mit gezogenen Schusswaffen gegen Werder-Ultras vorgingen.

Den 171 Werder Bremen Fans wurde seitens der Polizei zur Last gelegt, „konspirativ“ in Richtung Hamburg gereist zu sein und sich auf einem Supermarktplatz getroffen zu haben. Gegenüber Faszination Fankurve berief sich die Hamburger Polizei auf die Gefahrenabwehr, da es sich bei den betroffenen um Personen gehandelt habe, die von der Polizei als „Problemfans“ eingeordnet werden. Zudem seien Zivilpolizisten von vier Bremer Fans bedroht worden, weshalb Strafanzeigen gestellt wurden.

Ein Augenzeuge (Name der Redaktion bekannt), der seinen Namen in diesem Zusammenhang nicht im Internet stehen sehen möchte, schildert gegenüber unserer Redaktion nun, wie vermummte Zivilpolizisten am Samstagnachmittag auf einem Supermarktplatz in Hamburg mit gezogenen Pistolen auf Werder-Ultras zugingen. Eine andere Quelle bestätigte gegenüber unserer Redaktion ebenfalls, dass Zivilpolizisten auf besagtem Parkplatz am Samstag mit gezogenen Waffen vorgingen. Die Hamburger Polizei war für unsere Redaktion zu diesem Thema nicht mehr zu erreichen. Fragen zu gezogenen Schusswaffen wurden bisher nicht beantwortet. Die betroffenen 171 Fans, die mit 31 Autos angereist waren, verpassten wegen des über fünfstündigen Polizeieinsatzes das torlose Nordderby beim Hamburger SV. (Faszination Fankurve, 05.10.2017)


Faszination Fankurve dokumentiert den Erfahrungsbericht, den einer der betroffenen Werder-Fans an unsere Redaktion geschickt hat:

Ich bin Teil der Fanszene des SV Werder Bremen und habe länger überlegt, zu den Vorfällen am Samstag etwas zu schreiben. Allerdings lässt mich das Geschehene nicht mehr los und deshalb habe ich mich dazu entschlossen, niederzuschreiben, was ich gesehen habe und was mir am Samstag auf meinem Weg nach Hamburg widerfahren ist.

Am vergangenen Samstag hatte ein Freund von mir sein PKW gestellt und so saßen wir zu fünft in dem Auto Richtung Hamburg. Als wir an dem „real“-Parkplatz ankamen und unser Auto parkten, ging alles ganz schnell. Ca. 30 Sekunden, nachdem wir einparkten, sah ich hektisches Treiben auf dem Parkplatz und plötzlich wurde ein Auto mit Bremer Kennzeichen von drei zivil gekleideten Leuten mit Sturmhaube und gezogener Pistole umstellt. Plötzlich zeigte ein Mann mit hektischen Bewegungen auf unser Auto. Ich wurde nervös, etwas panisch und bekam es mit der Angst zu tun. Auf einmal rannten drei Leute los (eine Person vermummt mit Sturmhaube) zu unserem Auto, rissen die Türen des Autos auf, zuerst vorne, dann hinten. Sie richteten ihre Pistolen auf uns und brüllten: „Hände hoch! Hände an die Scheibe! Und schön oben lassen!“

Sofort rissen wir unsere Hände hoch und Hilflosigkeit machte sich breit. Auf dem Parkplatz spielten sich Szenen ab, die ich nur aus Filmen kannte. Es rannten zivil gekleidete Polizisten mit gezogenen Schusswaffen quer über den Parkplatz und umstellten die Autos, die aus Bremen und Umgebung kamen. Das Ganze wirkte mehr als surreal. Zu diesem Zeitpunkt schoss mir einiges durch den Kopf. Wieso werde ich mit einer Pistole bedroht? Was habe ich getan? Wir alle im Auto fühlten uns hilflos und ausgeliefert und waren nervös, weil wir nicht wussten, was hier gerade passiert. Wir hatten nichts gemacht, außer unser Auto auf einem Parkplatz geparkt. Wir waren ja vor einer Minute erst angekommen. Auf Nachfragen, was hier gerade los sei, kam eine Antwort mit Berliner Akzent: „Fresse halten und Hände schön oben lassen!“

Dann rückten nach und nach behelmte, „normale“ Polizeikräfte heran, die die bewaffneten Zivilkräfte, die zum Teil immer noch mit Sturmhauben maskiert umherliefen, ablösten an den einzelnen Autos. Nach ca. 10 Minuten waren die Polizisten, die zuvor bewaffnet die Autos „gesichert“ hatten, alle verschwunden und nur die gepanzerten und behelmten PolizistInnen waren vor Ort. Mit dem Abrücken der bewaffneten Zivilkräfte, wurde die Situation endlich etwas entspannter. Nach ein paar Minuten fragte ich eine Polizistin, ob wir nicht unsere Arme herunternehmen könnten, worauf sie das sofort bejahte. Nach ca. 20 Minuten durften wir auch aus dem Wagen aussteigen, eine Zigarette rauchen oder pinkeln gehen und die an den Autos stehenden Kräfte gaben sich freundlich und recht entspannt. Eine Pizzabestellung und das Beauftragen eines Passanten, uns bitte etwas zu Essen zu holen, wurden ohne weiteres gestattet. Ich fragte mehrfach danach, ob wir es noch rechtzeitig zum Werderspiel schaffen würden und die Antwort war immer, dass es davon abhängen würde, was in den Autos und bei den Einzelpersonen gefunden wird. Als zeitgleich mobile Scheinwerfer von der Polizei angekarrt wurden, begriff ich, dass ich das Spiel mit Sicherheit nicht mehr sehen würde.

Ich fragte noch einmal nach, was uns genau vorgeworfen werden würde und wieso wir mit gezogenen Waffen bedroht und empfangen wurden. Die Antwort der Polizei war, dass die Vermutung naheliegen würde, dass wir auf der Suche nach HSV-Fans sein könnten und eine so genannte „dritte Halbzeit“ stattfinden lassen wollten. Damit das nicht passiert, so die Polizei, müssten alle Personen zu erst einmal ihre Personalien abgeben, dann jede einzeln kontrolliert und daran im Anschluss abfotografiert werden, sowie auch alle PKWs durchsucht. Sie versicherten uns abermals, dass wenn nichts Verwerfliches gefunden werden würde, wir das Spiel noch sehen könnten. Doch bevor die erkennungsdienstliche Behandlungen anfing, verging einige Zeit.

Zuerst wurde eine „Bearbeitungsstraße“ aufgebaut, in welcher die Personen durchsucht und abfotografiert werden sollten. Als es endlich losging mit der Durchsuchung Einzelner, wurde stets nur eine Person kontrolliert. Seitens der Polizei wurde mir mitgeteilt, dass genau nur ein Bearbeitungstrupp vor Ort und nur dieser befugt gewesen sei, Kontrollen und die Erkennungsdienstliche Behandlung durchzuführen. Nach ca. einer Stunde rollte ein zweiter Bearbeitungstrupp heran und ab jetzt wurden drei Personen gleichzeitig durchsucht erkennungsdienstlich behandelt. Die Personen, die die Kontrolle hinter sich gebracht hatten, wurden eskortiert in einen aus Polizeifahreugen errichteten Kessel und dort dann festgehalten. Auch die Personen, die nichts Verbotenes bei sich oder in den Autos hatten, wurden dort hingebracht und festgehalten. Als wir an der Reihe waren mit der Kontrolle, war es bereits kurz vor 20 Uhr und das Spiel, was wir sehen wollten, fast vorbei.

Seit 15:10 Uhr befanden wir uns nun schon auf dem Parkplatz in einer polizeilichen Maßnahme. Als sich endlich alle „verdächtigen“ Personen in dem Polizeikessel befanden, wurde die Abreise nach Bremen durch die Polizei verzögert, in dem zuerst einmal für zehn Minuten nichts passierte und sie dann immer nur eine Besatzung eines Autos mit Ansage des Kennzeichens durchgehen ließ zu ihrem jeweiligen PKW. Diese Besatzung musste, laut der Polizei, begleitet werden von Polizeikräften. Dafür zuständig war eine Gruppe von ca. 6 PolizistInnen, die die Kleingruppe zu ihrem jeweiligen Auto brachte und danach zu dem Polizeikessel zurückkehrte. Es regnete bereits seit 20 Minuten sehr stark und alle Personen in dem Polizeikessel waren durchnässt. Nach weiteren ca. 15-20 Minuten waren erst drei Autobesatzungen durchgelassen worden. Seitens der Polizei kam dann die Durchsage, dass jetzt alle Personen zu ihren Autos gehen dürften und dann durch Polizeibegleitung zur Autobahn Richtung Bremen geführt würden. Um 23:00 Uhr dann endlich waren wir wieder in Bremen und was bleibt ist eine bezahlte, dennoch unbenutzte Eintrittskarte (im schlimmsten Fall ca. 170 unbenutzte Karten), viel Frust, und viele Fragen.

Noch immer beschäftigt mich der Umstand, dass ich mit gezogener Waffe bedroht wurde. Ich frage mich, warum das so war. Ich war auf dem Weg zu einem Fußballspiel von Werder Bremen. Das ist der Verein, von dem ich Fan bin. Doch für meinen Verein eine Knarre ins Gesicht gehalten zu bekommen, geht meines Erachtens zu weit. Ich würde gerne wissen, wie die Polizei Hamburg dazu steht, dass vermummte Polizeikräfte mit gezogenen Waffen augenscheinlich willkürlich Autotüren aufreißen und auf Menschen zielen und diese anbrüllen. Ich habe mich noch nie so schlecht gefühlt, wie in dem Moment, als ich realisiert habe, dass ich für mein Fan-dasein eine Waffe ins Gesicht gehalten bekommen habe, ohne eine Straftat begangen zu haben.

Fanfotos Werder Bremen




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