18.11.2010 - Dynamo Dresden

Ausgliederung der Profimannschaft hinterfragen


Kurz vor der bevorstehenden Mitgliederversammlung der Sportgemeinschaft Dynamo Dresden befasste sich die Fangemeinschaft Dynamo kritisch mit der angedachte Ausgliederung der Profimannschaft von Dynamo Dresden und ruft dazu auf, die Sache zu überdenken.

Faszination Fankurve dokumentiert die Stellungnahme der Fangemeinschaft Dynamo:

Mitgliederverein oder Spielbetriebsgesellschaft – Quo vadis Sportgemeinschaft?

Diese Frage beschäftigt seit Monaten die Fans und Mitglieder der Sportgemeinschaft Dynamo Dresden. Was bedeutet die so heißdiskutierte Ausgliederung eigentlich, was änderte sich dann für uns, wo liegen die Vorteile und wo die Gefahren und Risiken? Auch die Fangemeinschaft Dynamo hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt und möchte im Vorfeld der diesjährigen Mitgliederversammlung dazu Stellung beziehen.

Knapp die Hälfte der deutschen Profivereine in Deutschland hat aktuell ihre ersten Mannschaften in Kapitalgesellschaften für den Spielbetrieb ausgegliedert. Ziel dabei ist, durch die Aussichten auf Rendite, Gewinnbeteiligungen aus Transfers oder Fernsehrechten, frisches Fremdkapital von Gesellschaftern oder Aktionären zu generieren, um mit diesem Geld sportlich aufzurüsten. Die deutschen Ligastatuten schreiben dabei vor, dass der Stammverein immer eine Mehrheit der Anteile zu halten hat. Damit ist es momentan theoretisch nicht möglich, dass, wie etwa in England, Vereine von Konzernen und Spekulanten komplett aufgekauft, als Spekulationsobjekt missbraucht und – siehe aktuell der FC Liverpool - nach dem Abziehen der Gelder hochverschuldet ins fußballerische Nichts entlassen werden. Ob und wie lange die schützende sogenannte „50+1 Regel“ in Deutschland noch Bestand haben wird, ist allerdings ungewiss.

Immer öfter und lauter, angetrieben von Sponsoren, Beratern und konservativ-liberalen Kommunalpolitikern, wird nun auch bei Dynamo Dresden eine Ausgliederung der Profimannschaft gefordert, um damit Strukturen zu schaffen, welche vermeintliche Investitionen ermöglichen sollen. Dabei wird leider wieder einmal skrupellos mit den Ängsten der Dynamofans um das Fortbestehen und den Erfolg der SG Dynamo gespielt, die bisher einzigen Antworten auf konkrete Fragen von Fans und Mitgliedern sind permanent wiederholte Phrasen und Schlagworte. Die Kapitalgesellschaft wird immer und immer wieder als alternativlos dargestellt und wir als seltene Ausnahme, obwohl beispielsweise die Bielefelder GmbH&Co KGaA gerade ums Überleben kämpft oder von den zwanzig aktuellen Drittligisten mehr als die Hälfte eingetragene Vereine sind. Bis heute gibt es keine Antwort darauf, was genau denn an einer GmbH automatisch das immer wieder regelrecht beschworene "größere Vertrauen" bei potentiellen Geldgebern auslösen soll, welche ganz konkreten wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und Zwänge für die Geschäftsführung einer GmbH gelten sollen und für die eines Vereins nicht. Teilweise erreicht die platte amateurhafte Flapsigkeit, mit der seit Wochen versucht wird, in bester BILD-Manier Stimmen beim "Volk" zu sammeln, sogar peinliche Züge. So etwa dann, wenn Herr Calmund als vehementer Verfechter einer Ausgliederung, launig die Bundesligisten Freiburg und Mainz als potentielle Vorbilder preist. Beide sind eingetragene Vereine und haben ihre erste Mannschaft nicht ausgegliedert.

Unser Verein hat in den vergangenen zwanzig Jahren über seine Verhältnisse gelebt. Nahezu in jedem Jahr haben wir mehr Geld ausgegeben, als wir eingenommen haben. Um die alljährlichen Etatlöcher zu stopfen, wurden immer neue Schulden gemacht, Rechte und Anteile verkauft. Die Folgen dieses verantwortungslosen Handelns sehen wir jetzt. Heute ist Dynamo hoch verschuldet, hat neben Anteilen aus der Fernseh- und Internetvermarktung auch Erlöse des Merchandising abgegeben. Bandenwerbung und Sponsorenleistungen werden mit dem Sportvermarkter Sportfive und der Stadionprojektgesellschaft geteilt und von den für unsere Liga sehr hohen Eintrittspreisen kommen ebenfalls nur noch reduzierte Anteile im Verein an. Einnahmen aus der Stadionversorgung und dem Verkauf der VIP-Plätze sieht der Verein gar nicht. Außer unseren Farben und der Profimannschaft existiert heute nichts Vermarktbares mehr, das uns allein gehört.

Genau dort würde jetzt eine Spielbetriebsgesellschaft ansetzen. Der allerletzte „Besitz“ des Vereins würde im Zuge der Ausgliederung Investoren übereignet. Investoren, deren einziges und erklärtes Ziel es ist, mit und durch Dynamo Gewinne zu erwirtschaften. Der Verein würde den Wert des Profikaders zugunsten sogenannten "frischen“ Geldes verpfänden, Erlöse aus Erfolgen und Transfers künftig mit Gesellschaftern teilen müssen. Eine Ausgliederung wäre also nichts anderes als die Fortsetzung der Vereinsphilosophie der vergangenen zwanzig Jahre.

Und was würde eigentlich mit dem "frischen“ Geld passieren? Gänge es denselben Weg wie die Kölmelmillionen um die Jahrtausendwende? Verschwände es wie der Lavric Erlös, die WM-Zuweisung des DFB in Höhe von 600.000 Euro oder der Brustsponsorenertrag in einem weiteren unterdeckten bzw. überzogenen Haushalt? Würde auch dieses Geld wieder, wie schon all die Jahre zuvor, dazu benutzt, um krampfhaft sportlichen Erfolg zu kaufen; ohne Rücksicht auf Konsequenzen, ohne einen „Plan B“, ohne einen Gedanken an Nachhaltigkeit zu verschwenden? Auch wenn diese Fragen letztendlich natürlich nur die Zukunft beantworten kann, genügt dennoch ein kurzer Blick in unsere Vergangenheit, um mutmaßen zu können, dass jedes "frische" Geld wieder nur zugunsten unrealistischer Träumereien von Bundesliga und Europapokal im Nirwana entschwinden würde.

Viele Mitglieder des Vereins trauen den aktuell Handelnden einen sinnvollen und vor allem kompetenten Einsatz zusätzlicher Mittel nicht zu. Bis heute fehlt unserem Verein ein klares Konzept, wie wir schnellstmöglich und geordnet langfristig die Schulden bei Dr. Kölmel und der Stadt Dresden begleichen können. Bis heute ist noch nicht einmal ansatzweise die Analyse der letzten Jahre abgeschlossen, um die (eigentlich auf der Hand liegenden) Ursachen unseres Misswirtschaftens zu benennen und abzustellen. Bis heute ist in der Vereinsführung die Stelle des sportlichen Leiters unbesetzt und damit die Kompetenz für das Kerngeschäft des Vereins nicht gegeben. Bis heute fehlt es dem Verein Dynamo Dresden insgesamt an einem nachhaltigen und realistischen Konzept für seine Zukunft.

Und was würde sich eigentlich für uns als Fans bei einer Ausgliederung der Profimannschaft in eine Kapitalgesellschaft ändern? Auf den ersten Blick wohl erst einmal gar nichts. Dynamo bliebe in schwarz-gelber Kleidung, das weiße D auf rotem Grund würde nicht angetastet und auf dem Rasen im Rudolf Harbig Stadion ständen am Spieltag immer noch elf Mann auf jeder Seite des Feldes. Was wäre allerdings, wenn es um die Mitgestaltung des Umfeldes geht? Könnte man den Vereinsgeschäftsführer noch im Gespräch davon überzeugen, dass Eintrittspreise halbwegs erschwinglich gehalten werden und hätte man die Möglichkeit, per Mitgliederbeschluß dies einzufordern oder würde ein Geschäftsführer angesichts des andauernden Stadionhypes die preisliche Schmerzgrenze konsequent ausloten? Fielen Flächen für Zaunfahnen aus wirtschaftlichem Kalkül Werbebannern oder Namenstafeln für die einzelnen Blöcke zum Opfer? Stünden wir künftig statt im K-Block in der DREWAG Kurve? Welchen Stellenwert und welche Bedeutung hätte generell unsere Fancharta? Wie gestaltete sich die Mitgestaltung der Vereinsmitglieder innerhalb der Gesellschaft, immerhin wäre diese anders als der Stammverein an keinen ideellen Vereinszweck gebunden. Selbstverständlich würden all diese Szenarien negiert, maximal abstrakt eingeräumt, Probleme würden mit Worthülsen heruntergespielt. Sobald aber der Ruf des Geldes lockt, wären mutmaßlich alle Bekenntnisse schnell der Vergesslichkeit zum Opfer gefallen.

Die Fangemeinschaft Dynamo sieht vor jeglicher weiterer Diskussion um eine mögliche Ausgliederung erheblichen anderen Handlungsbedarf. Dieser besteht aus:

- Analyse und Aufarbeitung der Situationen, welche uns in die jetzige Lage gebracht haben

- Erarbeitung eines konzeptionellen Fahrplans zur Entschuldung des Vereins

- Zurückgewinnung der Vereinsautonomie (faire langfristige Stadionverträge, Vetorecht der Stadt bei der Vorstandsbestellung)

- Nachweis des soliden kaufmännischen Wirtschaftens und loyalen Handelns der Verantwortungsträger im Sinne des Vereins

Erst danach kann man, auf einer soliden Basis aufbauend, mit klar abgesteckten Zielen und kompetent handelnden Personen über solche strukturellen Möglichkeiten nachdenken.

Als körperschaftliches Mitglied der SG Dynamo Dresden e.V. empfiehlt die Fangemeinschaft Dynamo e.V. deshalb den Mitgliedern der SG Dynamo Dresden, zur kommenden Mitgliederversammlung keine Grundsatzbeschlüsse zu unterstützen, welche tendenziell in Richtung Ausgliederung der Profimannschaft zielen.

Fangemeinschaft Dynamo

Weitere Informationen:

Informationen zur Fanszene

Fanfotos Dynamo Dresden




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