03.11.2021 - Safe-Standing

Die Rückkehr der Stehplätze in England


Ab dem 1. Januar 2022 soll in einigen Stadien in England die Wiedereinführung der Stehplätze getestet werden. Zahlreiche Clubs bringen sich in Stellung – oder haben dies bereits getan. Tottenham Hotspur, Manchester United, Manchester City, Chelsea FC und der Zweitligist Cardiff City haben Testläufe angekündigt.

Im Januar 1990 wurde beschlossen, was den englischen Fußball nachhaltig verändern sollte: Mit der Veröffentlichung des sogenannten Taylor Reports, der die Auswirkungen und Ursachen der Hillsborough-Katastrophe thematisierte, mussten sich Stadionbesucher auf der Insel auf einschneidende Veränderungen einstellen. Durch das Desaster im Stadion von Sheffield Wednesday am 15. April 1989 starben 97 Personen. Nur vier Jahre nach den Katastrophen von Bradford und Heysel war Englands Fußball erneut durch eine große Katastrophe erschüttert worden. Seit August 1994 sind im Profifußball Stehplätze in den Stadien verboten. Dass Lord Justice Taylor Stehplätze in seinem Bericht nicht als generelles Sicherheitsrisiko einstufte, änderte nichts an dieser Entscheidung.

Dieses Verbot kam nach der Katastrophe von Sheffield aber keineswegs überraschend. Der damalige Innenminister Douglas Hurd kündigte schon zwei Tage nach der Tragödie an, per Gesetz die Stehplätze in Englands Stadien zu verbieten. Erst 2012 – 23 Jahre nach den Vorfällen – wurde bekannt, dass nicht die Fans, sondern die Ordnungskräfte die wesentliche Schuld an dem Unglück tragen, weitere vier Jahre später entschied die Jury einer Untersuchungskommission, dass die Verstorbenen „rechtswidrig getötet“ wurden.

Spätestens mit der Neuzuweisung der Schuld wurde der Ruf lauter, die Stehplätze in England wieder zu erlauben. Diesem Ziel, das unter anderem mehrere Fanorganisationen unterstützen, kommt man nun ein Stück näher. Zwar wird es in der Premier League in Zukunft keine Stehtribünen wie zum Beispiel in Deutschland geben, die Fans werden aber nicht mehr zum Sitzen gezwungen. Mit sogenannten „Safe Standing Areas“ soll den Fans das Stehen wieder ermöglicht werden, dafür werden die Sitzreihen mit Rail Seats ausgestattet, die einen aufklappbaren Sitz beinhalten und die Reihen durch ein Geländer trennt.

Celtic als Vorreiter in Großbritannien

Der seit mittlerweile mehreren Jahrzehnten geführte Kampf für die Wiedereinführung der Stehbereiche nimmt nun also Gestalt an, seit fünf Jahren gibt es auf der Insel sogar schon ein Best-Practice-Beispiel: Der Celtic Football Club aus Glasgow erhielt seinerzeit die Erlaubnis, einen Block mit Rail Seats auszurüsten, insgesamt 2.900 Plätze wurden umgewandelt. Der Club musste dafür aber lange kämpfen und viel Überzeugungsarbeit bei den lokalen Sicherheitsbehörden leisten. Die gesetzliche Verpflichtung, Stadien ausschließlich mit Sitzplätzen auszustatten, galt derweil nie für die höchste schottische Spielklasse, sondern nur für die englische Premier League und die zweitklassige Championship sowie die in diesen Ligen teilnehmenden Vereine aus Wales. Allerdings machte die schottische Liga 2011 reine Sitzplatzstadien zur Lizenzauflage.

Englands Clubs trafen Vorkehrungen

Die Ankündigung, dass ab dem neuen Jahr Testläufe auch in England stattfinden werden, traf einige Clubs nicht ganz unvorbereitet. So haben mehrere Vereine in den vergangenen Jahren bereits Bereiche ihres Stadions umgerüstet. Chelsea etwa hat das komplette Shed End im Süden sowie den Unterrang im Norden des Stadions mit Rail Seats ausgestattet. Manchester United hat im Sommer 2021 1.500 Rail Seats montiert. Liverpool hat rund 7.800 Sitze installiert, wird aufgrund der zuletzt gestarteten Ausbauarbeiten des Stadions aber nicht an den Testläufen teilnehmen, Manchester City hat insgesamt 5.620 ehemalige Sitzplätze mit Rail Seats ausgetauscht. Die Wolverhampton Wanderers waren 2019 der erste Club in der Premier League, der sein Stadion umrüstete. 2020 wurden im Molineux weitere Blöcke mit Rail Seats ausgestattet.

Die zuletzt neu eröffneten Stadien im englischen Profifußball haben sogar Safe-Standing-Bereiche beim Bau eingeplant. Die Tottenham Hotspur haben im neuen Stadion rund 7.500 Rail Seats installiert, auch der Drittligist AFC Wimbledon hat an der neuen Plough Lane einen Safe-Standing-Bereich.

Während in Deutschland die Stehplätze im Vergleich zu Sitzplätzen eine erhebliche Kapazitätserhöhung darstellen, wird dies in England nicht der Fall sein. Zunächst soll ein Stehplatz auch einem Sitzplatz entsprechen, während in Deutschland die Stehplatztribünen bis zu 50 % mehr Zuschauer fassen als mit Sitzplätzen ausgestattet. Die Stehbereiche in England sollen weiterhin den Besuchern jederzeit die Möglichkeit bieten, sich setzen zu können.

Verantwortlich für den Testlauf ist die Sports Grounds Safety Authority, eine öffentliche Einrichtung im Vereinigten Königreich, die vom Ministerium für Kultur, Medien und Sport finanziert wird. Die SGSA wurde nun vom englischen Sportminister Nigel Huddleston beauftragt, die Lizenzierung der Stehplatzbereiche in den englischen Profiligen vorzubereiten. Martyn Henderson, Chief Executive der SGSA, sagte: „Der Schwerpunkt der SGSA liegt auf der Sicherheit und dem Spaß aller Fans in Sportstadien. Wir wissen, dass viele Fans die Möglichkeit haben wollen, zu stehen, und mit dem Aufkommen neuer technischer Lösungen hat unsere Forschung gezeigt, wie dies sicher gehandhabt werden kann. Diese Ankündigung wird es uns ermöglichen, lizenzierte Stehplätze ordnungsgemäß zu testen und zu bewerten, bevor die Regierung ihre nächsten Schritte beschließt.“

Fünf Clubs an Testlauf beteiligt

Laut Medienberichten hatten sich sechs Vereine aus der Premier League und Championship für den Testlauf beworben. Bewerbungsvoraussetzung ist unter anderem, dass sowohl im Heim- als auch im Auswärtsbereich Safe Standing Bereiche zur Verfügung stehen. Dafür installiert Manchester United in diesem November 500 Rail Seats im Auswärtsblock des Old Trafford. Damit werden knapp über 2.000 Plätze im größten Vereinsstadion Englands beim Testlauf zur Verfügung stehen. Der Verein prüft zudem auch weitere Bereiche im Stadion, die zukünftig umgerüstet werden könnten.

Chief Operating Officer Collette Roche sagte auf einem Fan-Forum: „Wir sind in einer wirklich guten Position, um den so genannten ‚early adopter‘-Status zu beantragen. Das haben wir getan, und wir werden alles tun, was wir tun müssen, um sicherzustellen, dass wir ganz oben auf der Liste stehen und bereit sind, an der Erprobung für frühe Anwender teilzunehmen.“

Auch die Tottenham Hotspur werden an dem Testlauf teilnehmen. Der Vorsitzende Daniel Levy sagte: „Der Verein hat sich bei der Regierung für sichere Stehplätze in den Stadien eingesetzt und ist erfreut, dass dies nun ermöglicht wird. Damit bekommen die Fans - egal ob im Heim- oder Auswärtsbereich - eine Wahl, und die große Mehrheit unserer Fans befürwortet diese Regelung. Wir sind sehr stolz auf unser ‚Safe-Seating‘-Design, das sowohl Komfort als auch Sicherheit gewährleistet, egal ob im Stehen oder Sitzen, und dabei die gleiche Ästhetik wie in allen anderen Bereichen des Stadions beibehält.“

Im Januar werden neben Tottenham und Manchester United wohl auch Chelsea, Manchester City und Zweitligist Cardiff City am Testlauf partizipieren.

Nicht teilnehmen wird hingegen der FC Arsenal. Tom McCann, Venue Director bei den Gunners, sagte gegenüber STADIONWELT: „Wir untersuchen die Einführung von Safe Standing und führen verschiedene Machbarkeitsstudien durch. Es ist eine Herausforderung, im Emirates Stehplätze einzurichten, ohne Sitzplätze zu verlieren, was wir vermeiden wollen - und gleichzeitig die Sichtlinien für alle Fans zu erhalten. Wir werden nicht zu den Clubs gehören, die das in den nächsten Monaten testen, aber wir wissen, dass es für alle Premier-League-Spielstätten zur Pflicht werden könnte. Deshalb arbeiten wir daran, was das für uns bedeuten würde und wo wir sie aufstellen könnten - und wie wir sie dann verkaufen/zuweisen und betreiben würden.“

McCann spricht ein Problem an, das nicht nur Arsenal im Emirates Stadium haben dürfte: Durch das Stehplatzverbot wurden viele neue Stadien speziell für sitzende Zuschauer konzipiert und architektonisch überhaupt nicht auf Stehplätze ausgelegt. Das dürfte – vor allem, wenn die Premier League die Clubs zur Einführung von Safe-Standing-Bereichen verpflichten sollte – für Herausforderungen und erhebliche Investitionen sorgen. (Faszination Fankurve, 03.11.2021)






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