01.01.2005 - Schweiz

Endstation Altstetten


Die Stadtpolizei Zürich löste mit der vorübergehenden Festnahme von 427 Insassen eines Basler Sonderzuges eine Welle der Empörung aus.

Als der Sonderzug der Basler Fans in Altstetten, gerade einmal einen halben Kilometer vom Hardturmstadion der Grasshopper entfernt, hält, wartet eine Überraschung auf die Fahrgäste: Der Bahnhof ist hermetisch abgeriegelt, der Weg zum Stadion versperrt. Es dauert nur Minuten, bis die Situation eskaliert.

Das Fanzine „Schreyhals“ beschreibt die Szenerie: „Tränengas wird eingesetzt. Mitten in die Menge. Frauen schreien, Kinder weinen, manche müssen sich übergeben. Ein Mann, vielleicht 45, macht das Peace-Zeichen in eine der vielen Polizeikameras. Sofort kam ein Polizist und sprühte ihm Pfefferspray in die Augen.“

Wenig später werden die Fans in Kas-tenwagen verfrachtet und zur Polizeikaserne gebracht. Es folgt eine stundenlange Warterei ohne die Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen. Wer es schafft, die Kabelbinder zu lösen, hält anderen ein Handy ans Ohr. Nach einer Feststellung der Personalien und einem Verhör („Das war ein Witz. Ich habe einfach zehn Mal ‚Nein‘ gesagt und fertig“, so ein Fan) wurden die Anhänger der Reihe nach entlassen – die letzten erst um 2:15 Uhr, rund zwölf Stunden nach der Ankunft. Andere Basler Fans organisierten für sie einen Heimtransport mit Privatfahrzeugen.

Susann Birrer (Infostelle Stadtpolizei Zürich) zu den Vorgängen: „Die Kontrolle zur Separierung gewalttätiger oder polizeilich bekannter Fans konnte nicht in der geplanten Art und Weise durchgeführt werden. Aufgrund der räumlichen Verhältnisse und der Gewaltbereitschaft der Fans – bereits aus dem einfahrenden Zug wurden Flaschen und Feuerwerkskörper geworfen – mussten wir die Kontrollen ausweiten und in eine Polizeidienststelle verlegen, dies auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes. Es tut uns leid, dass auch unbeteiligte Fans tangiert wurden und ihnen Nachteile entstanden sind, aber die Verantwortung liegt bei den gewaltbereiten Fans.“

In Basel geht man allerdings von einer geplanten Aktion aus. Indiz hierfür: Fans, die in den Regelzügen nach Zürich saßen, wurden aufgefordert, in den Sonderzug zu wechseln. Eine notwendige Maßnahme, meint Susann Birrer: „Bereits in Basel haben randalierende Fans aus dem Sonderzug den Regionalzug regelrecht gestürmt, weshalb die Bahnpolizei sie aufforderte, wieder in den Sonderzug zu gehen. Wir können nicht ausschließen, dass Leute da rein gekommen sind, die nicht planten, mit dem Sonderzug zu fahren.“ Der FCB selbst ist empört, dass der Club nicht unterrichtet war, sich aber Pressefotografen vor Ort befanden. In einer Erklärung begrüßt der Verein Maßnahmen gegen Randalierer, verurteilt aber diese Form „Flächendeckender Maßnahmen“.

Marcus Meier vom Fan-Projekt und Stefan Kohler vom Dachverband Muttenzerkurve sammelt inzwischen die Adressen von Betroffenen – 300 haben sich bisher gemeldet, der jüngste ist 13 Jahre alt –, um einen Rechtsanwalt zu beauftragen. „Abgesehen von den Verletzten, wo es zu Schadensersatzforderungen kommen wird, soll das Gericht entscheiden, dass der Einsatz unrechtmäßig war, sodass die Leute ihr Geld für die Fahrt und die Karten zurückbekommen“, so Meier. „Den moralischen Sieg haben wir schon errungen, denn die ganze Stadt steht hinter uns.“ Abzulesen ist das unter anderem am scharfen Ton der „Basler Zeitung“, die feststellt, dass „staatliche Sicherheitsprofis zwischen Unruhestiftern und friedlichen Fans keinen Unterschied mehr machen wollen.“

Es bleibt der Vorwurf, Sippenhaft praktiziert zu haben. „Wir prüfen Optimierungsmöglichkeiten. Der Auftrag der Polizei ist allerdings klar. Wir müssen verhindern, dass es bei den Märschen durch die Stadt immer wieder zu Sachbeschädigungen kommt“, so Birrer, „jene, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, und die keine Anzeige bekommen, werden wir darüber informieren. Da es sowohl vor, während als auch nach dem Spiel zu keinerlei Ausschreitungen gekommen ist, gehen wir davon aus, dass wir die Richtigen verhaftet haben.“ Der „Schreyhals“ entgegnet: „Es gab keinen einzigen Schuldigen! Niemand hat etwas gemacht, das eine Festnahme und eine solche Behandlung rechtfertigen würde.“ (Faszination Fankurve, 01.01.2005)

Fanfotos Schweiz




Weitere News:
18.08.2015: Die Zukunft des Schweizer Pokalfinals
28.05.2014: 600 bis 700 gewaltbereite Fans in der Schweiz
24.04.2014: Streicht Bern endgültig die Segel?
10.03.2014: Schweiz: Ab Mitternacht kein Public Viewing
25.05.2012: Zuschauerrekord in der Schweiz

Alle 42 News anzeigen