15.06.2016 - Euro2016

​Polizeitaktik in Frankreich spielt Hooligans in die Karten


Die Ausschreitungen in der Innenstadt von Marseille und im dortigen Stade Velodrome waren abseits des Spielfelds bisher das Thema der diesjährigen Europameisterschaft. Zuletzt wuchs auch die Kritik am Vorgehen der französischen Polizei, zu recht: Ein Kommentar zum Thema:

Am alten Hafen von Marseille kam es an mehreren Tagen hintereinander zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einheimischen Olympique Marseille Ultras, englischen Fans und russischen Hooligans. In den meisten Fällen wurden englische Fans von Einheimischen oder russischen Hooligans angegriffen.

Trotzdem waren es am Ende überwiegend Engländer, die festgenommen wurden, was offensichtlich mit der Einsatztaktik der Polizei in Frankreich zu tun hat. Wie bei gewalttätigen Vorfällen am Rande von Fußballspielen oder auch bei Demonstrationen in Frankreich üblich, setzte die französische Polizei großflächig Tränengas an Orten ein, an denen es zu Vorkommnissen kam. Dieses Tränengas wird in Kartuschen abgeschossen und auf größere Distanz eingesetzt. Es ist somit nicht mit dem Pfefferspray zu vergleichen, das deutsche Beamte eher auf kürzeren Distanzen verwenden.


Durch Tränengaseinsätze der französischen Beamten wurden große Ansammlungen von Fans auseinander getrieben. Zu qualifizierten Festnahmen von Hooligans, die die Auseinandersetzungen anzettelten, kam es jedoch fast gar nicht. Dies ist bei der französischen Polizei häufig auch nicht das primäre Ziel. In manchen Situationen wäre es problemlos möglich gewesen, einzelne Gewalttäter festzunehmen, wie auch in Videoaufnahmen der Auseinandersetzungen zu sehen ist. Vielmehr scheint es jedoch das primäre Ziel der Beamten gewesen zu sein, die Massen zu zerstreuen.

Das Problem an diesem Vorgehen war, dass diese Taktik bei gewalttätigen englischen Fans, die sich unter einer Vielzahl friedlicher Fans der Three Lions mischen, zwar teilweise noch aufgeht und diese auseinander treibt, bei organisierten russischen Hooligangruppen, die in Truppen einer geringen zweistelligen Zahl unterwegs waren, aber nicht greift. Die russischen Hooligans schienen sich in ihren jeweiligen Bezugsgruppen bestens untereinander zu kennen und waren gut vernetzt. Gezielt wurden immer wieder Ansammlungen englischer Fans angegriffen, auch in großer Unterzahl. Die russischen Hooligans schienen sehr Kampfsport erprobt zu sein und komplett nüchtern. Ziel der russischen Hooligans war es, die englischen Hooligans in ihre Schranken zu weisen und damit Ruf der Briten als schlagkräftigste Truppe bei Länderspielen abzulösen. Die gewaltbereite Szene in Russland, die wohl wesentlich fixierter auf Kampfsport, als die englische Szene ist und weit weniger Alkohol zu sich nimmt, wollte diese Vorteile endlich auch mal bei einem internationalen Großturnier ausspielen und der Öffentlichkeit unter Beweis stellen. Dies bestätigt auch ein Interview mit einem Hooligan aus Moskau, der an den Vorfällen in Marseille beteiligt gewesen sein soll.

Statt mit einer Festnahme haben Gewalttäter in Frankreich eher damit zu rechnen, von der Polizei attackiert zu werden und dadurch Verletzungen davon zu tragen. Viele Fußballfans wird dies davor abschrecken, sich an gewalttätigen Auseinandersetzungen zu beteiligen, nicht jedoch durchtrainierte Hooligans, die dies aus ihrem Alltag kennen. Körperliche Blessuren schrecken dieses Klientel nicht wirklich ab und mit Festnahmen wäre das Problem eher zu lösen.

Auch bei den Angriffen russischer Hooligans nach Abpfiff im Stade Velodrome ging die typisch französische Polizeitaktik nicht auf. In Frankreich ist es üblich, dass Polizisten sich nicht auf den Tribünen aufhalten. Ihr Hoheitsbereich endet meistens an der Zugangskontrolle zu den Stadien. Manchmal sind sie noch im Innenraum positioniert, aber auch bei härteren Vorfällen auf den Tribünen werden diese nur selten von Polizisten betreten. Dies ist in Frankreich aufgrund der strikten Fantrennung von Heim- und Gästefans bereits auf der Anreise zu den Spielen im Ligaalltag auch ohne weiteres möglich. Die Gästeblöcke sind vom Rest des Stadions strikt abgetrennt und eine Vermischung von Heim- und Gästefans vor den Stadiontoren, wie man sie aus Deutschland kennt, gibt es in Frankreich bei brisanten Spielen nicht. Da dies bei der Europameisterschaft anders ist und eine wirkliche Trennung der verschiedenen Fanblöcke und neutralen Bereiche nicht stattfand, konnte es überhaupt erst zu den Vorfällen im Stadion kommen. Polizisten und Ordner schritten erst sehr spät ein, als englische Fans bereits haufenweise vor russischen Angreifern geflüchtet waren. Anschließend wurden zur Trennung beider Fanlager Spezialkräfte der Polizei auf der Tribüne eingesetzt, die wie in Frankreich üblich, nicht mit besonderer Schutzkleidung, sondern nur mit einem Trainingsanzug der Polizei bekleidet waren. Ihnen gegenüber standen ebenso durchtrainierte russische Hooligans in szenetypischer Kleidung.

Nach den Vorfällen von Marseille wird nun auch in Frankreich über die dortige Polizeitaktik diskutiert. Doch Änderungen sind erst Mal nicht zu erwarten, da die beschriebene Taktik dort tief im Polizeisystem verankert scheint. Stattdessen werden Alkoholverbote für gewisse Zonen in den Spielorten durchgesetzt, die die Vorfälle von Marseille wohl nie verhindert hätten, da die Angreifer nicht betrunken oder angetrunken waren. (Faszination Fankurve, 15.06.2016)






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