02.12.2018 - St. Pauli/Dresden

Proteste, provokante Plakate, Notarzt- & Pfeffersprayeinsatz


Im Millertor empfing der FC St. Pauli gestern Dynamo Dresden. Bei der Partie protestierten beide Fanszenen die komplette 1. Halbzeit für fanfreundliche Anstoßzeiten. In der 2. Halbzeit kam es zu einem Notarzteinsatz auf der Nordtribüne. Im Gästeblock wurden zudem sexistische Plakate gezeigt und nach Abpfiff ging die Polizei mit Pfefferspray gegen Dynamo-Fans vor.


Die 1. Halbzeit wurde im Gästeblock mit einem Spruchband eingeleitet, wie es am Wochenende in vielen deutschen Stadien zu sehen war: „Vereine ihr habt es in der Hand - Montagsspiele abschaffen“, war darauf zu lesen. Die Ultras von Dynamo Dresden sind Teil des Fanszenen Deutschlands-Zusammenschlusses, der für dieses Wochenende einen bundesweiten Aktionsspieltag ausrief (Faszination Fankurve berichtete). Auch Ultrà Sankt Pauli (USP) beteiligte sich dieses Mal an den Protesten, auch wenn man am Millerntor kein Teil des deutschlandweiten Fanszenenzusammenschlusses ist. „Schafft die Spiele unter der Woche ab!“, war in großen Buchstaben vor der Südkurve zu lesen, wo es genauso, wie im Gästeblock gestern in der ersten Hälfte einen stillen Protest gab. Ultrà Sankt Pauli hatte in der Woche vor dem Spiel erklärt, warum man sich dieses Mal am Protest beteiligt und die Fans des FC St. Pauli aufgerufen, sich den Protesten anzuschließen (Faszination Fankurve berichtete).


In der 2. Halbzeit ist auf der Nordtribüne neben dem Gästeblock im Fanbereich des FC St. Pauli ein Heimfan zusammengebrochen, der während des Spiels reanimiert werden musste. „Der Mann, der auf der Nord zusammengebrochen ist, ist im Krankenhaus auf der Intensivstation Wir drücken weiter die Daumen. Ein besonderer Dank geht an die Heimfans, den Ordnungsdienst, die Sanitäter und Notärzte, die alles dafür getan haben, um dem Mann sofort zu helfen“, teilte der FC St. Pauli im Nachgang des Spiels zu diesem Notfall mit. „Wir haben gerade die Nachricht bekommen, dass die Person, die heute in der Nordkurve zusammengebrochen ist, inzwischen außer Lebensgefahr ist. Wir sind gerade sehr glücklich und bedanken uns für die Solidarität von den anderen Tribünen!“, gab die St. Pauli-Fangruppe Nordsupport, die im Norden des Millerntors beheimatet ist, dazu später am gestrigen Abend Entwarnung. Für Aufregung sorgte, dass aus dem Gästeblock Gegenstände in Richtung des verletzten St. Pauli-Fans geflogen sein sollen, was auch von Dynamo-Fans kritisiert wurde. „Genauso geht’s aber och gar ni, Becher nach Sanitätern zu schmeißen und sie so bei ihrer Arbeit zu behindern. Uns bleibt nur dem Hamburger Sportfreund gute Genesung zu wünschen“, teilten die Jokers Radeberg dazu mit, die zudem noch das Vorgehen der Polizei nach Abpfiff kritisierten. Wegen eines „kleinen Zwischenfalls“ haben die vor den Dynamo-Fans platzierten Polizisten Pfefferspray in die ersten Reihen des Gästeblocks gesprüht, von dem auch Gästefans beeinträchtigt gewesen sein dürften, von denen keinerlei Provokationen ausgingen. Ob die Becherwürfe der Dynamo-Fans gezielt in Richtung der Sanitäter bzw. des verletzten St. Pauli-Fans geworfen wurden, darüber gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Wegen der Reanimation stellten sowohl die FC St. Pauli-Fans im Norden und Süden, als auch die Dynamo Dresden-Fans im Gästeblock den Support vorübergehend ein und nahmen so Anteil.


Zuvor sorgten Spruchbänder der mitgereisten Dynamo-Fans für Aufregung. „Ihr müsst heute Abend hungern, weil eure Fotzen mit euch im Block rumlungern“ und „Allen USP Frauen einen schönen 1.Advent.“ war auf den sexistischen Plakaten der Gästefans zu lesen. Zum zweiten Plakat wurde zudem ein gemalter Küchenherd hochgehalten. Von Dynamo-Fans kam es bei Begegnungen beider Vereine gegeneinander schon öfters zu äußerst provokanten Spruchbändern in Richtung weiblicher FC St. Pauli-Ultras. Beim letzten Gastspiel von Dynamo sorgte aber auch das „Schon eure Großeltern haben für Dresden gebrannt – Gegen den doitschen Opfermythos!“-Spruchband von Ultrà Sankt Pauli in Richtung der Dynamo-Fans für Aufregung, für das sich der FC St. Pauli im Nachgang entschuldigte (Faszination Fankurve berichtete).


Sexistische Plakate von Dynamo-Ultras in Richtung Ultrà Sankt Pauli sind bei Spielen von Dresden gegen St. Pauli fast schon zu einer Tradition geworden. „Burka Pflicht für USP Frauen → Euch will keiner sehen!!!“ „USP Frauen aus dem Gästeblock, damit die Küche lebt.“ und „USP Frauen: Der K-Block steht hinter euch“ waren beispielsweise vorherige Episoden dieser Historie an Provokationen (Faszination Fankurve berichtete). Die Frauen von Ultrà Sankt Pauli reagierten darauf auch schon mit einem nicht ganz ernst gemeinten Mobfoto, bei dem die USP-Frauen Küchenutensilien in der Hand hielten. „Und ihr habt ja recht, wir sind auch alle wirklich gute Köchinnen und können äußerst geschickt mit unserem Werkzeug umgehen. So ein Dresdner Sauerbraten aus dem fetten Keulenstück eines ostdeutschen Ochsen ist schon was Feines. Braucht man allerdings scharfe Messer für. Kommt doch mal zum Essen vorbei; zum Nachtisch gibt’s dann Dresdner Stollen. Da ihr eh viel Alkohol trinkt, müssen die Rosinen auch nicht mehr extra in Rum eingelegt werden“, erklärten die „Küchenfeen von Ultrà Sankt Pauli“ damals.

Zu den gestern im Gästeblock gezeigten Plakaten teilte der FC St. Pauli mit: „Fußball war gegen Dresden oft Nebensache und die Aufarbeitung aller Geschehnisse wird noch ein bisschen dauern, eins wollen wir an dieser Stelle in Richtung Gästeblock aber klarstellen: Geschmacklose Banner mit sexistischer Kackscheiße haben nirgendwo was zu suchen.“ Laut Angaben des FC St. Pauli sollen Dynamo-Fans gestern zudem noch für Sachbeschädigungen an den Sanitäranlagen gesorgt haben. Der Sachschaden wird vom Verein auf eine niedrige fünfstellige Summe geschätzt. Dynamo Dresden entschuldigte sich heute wegen der gestrigen Vorfälle: „Es sind in Hamburg im Zusammenhang mit einigen Anhängern im Gäste-Block verschiedene Dinge vorgefallen, die wir zutiefst ablehnen und verurteilen, weil sie menschenverachtend sind und die Werte unserer Sportgemeinschaft mit Füßen treten. Bei den betroffenen Menschen möchte ich auch auf diesem Wege im Namen des Vereins um Entschuldigung bitten. Der intensive Aufarbeitungsprozess der Ereignisse hat bereits gestern unmittelbar nach dem Spiel mit allen Verantwortlichen begonnen. Wenn die interne Analyse abgeschlossen ist und alle Beteiligten die Chance hatten, ihre Sicht der Dinge darzulegen, werden wir uns als Verein in aller Deutlichkeit zu den Vorfällen im Millerntor-Stadion äußern“, so Dynamos kaufmännischer Geschäftsführer Michael Born. Auf dem Rasen trennten sich beide Teams vor 29.546 Zuschauern gestern im ausverkauften Millerntor 1:1. (Faszination Fankurve, 02.12.2018)


​Update: Mittlerweile hat auch die Polizei Hamburg Stellung zu den Vorfällen bezogen und erklärt: „In der Vorspielphase kam es im Gästebereich des Stadions bereits zu ersten Sachbeschädigungen im Sanitärbereich. Die erste Halbzeit verlief ohne polizeiliche Vorkommnisse. In der Halbzeitpause kam es in der Nordtribüne zwischen den Gäste- und Heimfans zu massivem, gegenseitigem Becherbewurf. Etwa zu Beginn der zweiten Halbzeit erlitt eine Person im Heim-Bereich der Nordtribüne offenbar einen Herzinfarkt. Rettungskräfte führten Reanimationsmaßnahmen durch und transportierten den Erkrankten schließlich in ein Krankhaus. Der tagesaktuelle Gesundheitszustand ist nicht bekannt. Etwa zeitgleich versuchten drei Dresdner Fans offenbar vergeblich, eine St.-Pauli-Flagge zu entfernen. Dazu überkletterten sie auch Absperrgitter. Beim Einschreiten durch die Ordner kam es zu Körperverletzungen zum Nachteil des Sicherheitspersonals. Gegen 14:25 Uhr versuchten circa 50 vermummte Personen, aus dem Gästebereich der Nordtribüne über den Umlauf in die benachbarten Blöcke zu stürmen. Möglicherweise ging hier eine Provokation voraus. Die Vermummten wurden durch Polizei und Ordner im Umlauf gestoppt. Hierbei kam es zum Einsatz von Zwangsmitteln. Auch erfolgten Sachbeschädigungen an Toilettenanlagen und Verkaufsständen. Die Einsatzkräfte konnten ein Eindringen in die Heim-Bereiche verhindern. Im weiteren Verlauf versuchten Dresdner Fans erneut, den Gästeblock zu verlassen. Teile der Fans begaben sich an den Zaun zum Spielfeld und öffneten auch eine Sicherheitstür. Um ein weiteres Vordingen zu verhindern, war erneut ein starker Zwangsmitteleinsatz durch die Polizeibeamten erforderlich. Etwa 50 bis 80 Dresdner Fans war es zwischenzeitlich gelungen, den Gästeblock in Richtung des unteren Umlaufs der Nordtribüne zu verlassen. Hier kam es zu weiteren massiven Ausschreitungen, die sich ausschließlich gegen die eingesetzten Beamten richteten. Unter anderem wurde herausgerissenes Inventar gegen die Beamten eingesetzt. Die Polizeibeamten schritten und Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock ein. 30 bis 40 St.-Pauli-Fans verließen zwischenzeitlich das Stadion und versuchten, über die Budapester Straße den Gästeeingang zu erreichen. Polizeibeamte verhinderten dies. Als sich die Personen zurück zum Stadion begaben, trafen sie im Bereich des Schwimmbads auf eine Personengruppe, die sie offenbar für Dresdner Fans hielten und sogleich attackierten. Polizeibeamte setzten Zwangsmittel ein und versuchten, die Personengruppen zu trennen. Hierbei wurden auch die Polizeibeamten angegriffen. Fünf Polizeibeamte wurden leicht verletzt. Nach der Trennung stellte sich heraus, dass beide Personengruppen offenbar Anhänger des FC St. Pauli waren. Teile der Personen stürmten zurück ins Stadion und überwanden dabei auch die äußere Umzäunung. Teilweise wurde versucht, in Richtung des Gästebereichs vorzudringen, was die Polizeibeamten aber verhinderten. Nach dem Abpfiff kam es gegen 15:20 Uhr am U-Bahnhof Feldstraße zu einem Flaschenwurf auf eine berittene Polizeibeamtin. Die Tat hatte offenbar keinen Fußballbezug, der Tatverdächtige konnte vorläufig festgenommen werden. In zwei Fällen wurden Strafanzeigen wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gegen bislang unbekannte Tatverdächtige gefertigt. Ein Gäste-Fan soll im Stadion einen sogenannten "Hitler-Gruß" gezeigt haben. Während der Abreise soll am Hauptbahnhof aus einer Gruppe Dresdner Fans heraus "Sieg Heil" gerufen worden sein. Nach den bisherigen Erkenntnissen wurden sechs Polizeibeamte und drei Ordner verletzt. Im Rahmen der massiven Ausschreitungen erlitten durch den polizeilichen Einsatz von Pfefferspray etwa 25 Zuschauer Augenreizungen. Die Polizei war mit rund 450 Beamten im Einsatz.“






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