14.03.2012 - 1. FC Nürnberg

Rot Schwarze Hilfe prangert Datenweitergabe an


Im November letzten Jahres wurde ein Nürnberg Fan am Kölner HBF auf die Gleise gestoßen und verlor dabei einen Arm. Die Deutsche Presseagentur behauptete damals, dass es sich bei dem Opfer um einen Hooligan handelte und berief sich auf interne Polizeiakten. Die Rot Schwarze Hilfe erstattete Anzeige, aber die Ermittlungen wurden bereits eingestellt.

Faszination Fankurve dokumentiert die Mitteilung der Rot Schwarze Hilfe:

Kripo Köln ermittelt gegen sich selbst: Und findet keine Täter

Kölner Staatsanwaltschaft: Anfangsverdacht eines strafbaren Verhaltens der Polizei

Der Fall unseres Mitglieds André zeigt immer deutlicher: Fußballfans sind eindeutig rechtswidrigem polizeilichen Verhalten machtlos ausgeliefert. Politisch wird dies offenbar gutgeheißen.

Zur Erinnerung: Am Abend des 19.11.2011 wurde André am Kölner Hauptbahnhof von einem Zug überrollt und schwer verletzt. Nur Stunden später meldete die Deutsche Presseagentur (dpa):

Laut einem internen Polizeibericht, der der Nachrichtenagentur dpa bekannt wurde, gingen dem Vorfall Auseinandersetzungen zwischen Fußball-Hooligans voraus. Sowohl das Opfer als auch der flüchtige mutmaßliche Täter seien als Hooligans bekannt. Das Opfer sei selbst als sogenannter "Gewalttäter Sport" bekannt und zur Personenkontrolle ausgeschrieben.

Diese Behauptung war falsch.

Weder steht bis zum heutigen Tage fest, dass dem Angriff auf André eine Auseinandersetzung voraus ging. Erst recht gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass André an einer solchen beteiligt gewesen wäre. Er ist kein Gewalttäter und auch nicht zur Kontrolle ausgeschrieben. Vielmehr ist er - wie viele Fußballfans - in der sog. Datei Gewalttäter Sport eingetragen. Aber nicht, weil er jemals gewalttätig geworden ist.

Die dpa stellte nach massivem Druck er Rot-Schwarzen Hilfe am 25.11.2011 klar:

Auf diese Liste kann man nach Polizei-Angaben auch kommen, ohne jemals selbst gewalttätig geworden zu sein.

Die Folge: Bundesweit bezeichneten Medien André zu Unrecht als „Hooligan“. Es wurde so getan, als ob er deshalb selbst schuld sei an seinen Verletzungen. Die Abendzeitung Nürnberg trieb die Falschberichterstattung auf die Spitze: „Sein Hang zu körperlichen Auseinandersetzungen hat ein Club-Fan am Samstag teuer bezahlt.“

Wahr ist etwas anders: Zu keinem Zeitpunkt wurde je gegen André wegen körperlicher Auseinandersetzungen ermittelt.

Der Grund für die Falschberichterstattung: Illegale Datenweitergabe der Kölner Polizei an die dpa. Die Kölner Polizei hatte der dpa einen „internen Bericht“ zugespielt und mitgeteilt, dass André in der Datei eingetragen sei. Das ist verboten und strafbar. Einzelne Polizeibeamte haben keinerlei Befugnis, Angaben aus Polizeidateien der Presse zuzuspielen. Noch dazu in einer Art und Weise, dass die Presse gar nicht verstehen kann, dass ein Antrag in dieser Datei keineswegs besagt, dass eine eingetragene Person ein Gewalttäter ist.

RSH-Anwalt: dpa Berichterstattung beruht auf Straftat eines Polizisten

Andrés Anwalt erstattete für ihn Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen. Die Staatsanwaltschaft Köln nahm Ermittlungen auf. Und kam zu dem vorläufigen Ergebnis:

Eine Verletzung von Dienstgeheimnissen liegt nicht vor. (…) [Aber:] Es besteht ein Anfangsverdacht wegen Verletzung von Privatgeheimnissen gem. § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB.

Nach Auffassung von Andrés Anwalt steht jetzt fest: Die dpa-Berichterstattung beruht auf einem strafbaren Verhalten eines Polizeibeamten.

Die zuständige Staatsanwaltschaft ordnete Ermittlungen durch die Kriminalpolizei an. Den Ermittlungsauftrag schickte sie an den Kripo-Chef beim Polizeipräsidium Köln. Ausgerechnet dem Präsidium, aus dem auf illegale Art und Weise Informationen herausgegeben wurden. Die dpa hatte gegenüber Andrés RSH-Anwalt nämlich eingeräumt, dass der interne Bericht aus Köln stamme.

Kölner Kripo: Jeder Polizeibeamte kann es gewesen sein

Das Ergebnis: Die Kriminalpolizei Köln konnte nicht herausfinden, wer Geheimnisse an die dpa spielte. Das könne jeder „Nutzungsberechtigte“ der polizeilichen Datensysteme gewesen sein. Da dies eine „unüberschaubare“ Menge an Personen sei, könne man nicht weiter ermitteln, so die Kripo.

Die Staatsanwaltschaft Köln: Der „interne Bericht“, auf den sich die dpa berufen hatte, „konnte bei der Nachrichtenagentur erwartungsgemäß nicht beigezogen werden“.

Bayerischer Innenminister entschuldigt sich nicht

Trittbrettfahrer: Auch der Bayerische Innenminister tat sich bereits wenige Stunden nach dem schrecklichen Vorfall hervor. Anstatt die Ermittlungen, wie es überhaupt zu dem Vorfall kam, abzuwarten sagte er zur dpa:

"Ich bin entsetzt über diese erneute Eskalation von Gewalt unter Fußballfans", sagte dazu Innenminister Joachim Herrmann (CSU). "Der gemeinsame Kampf von Vereinen, Polizei und Sicherheitsbehörden muss im Jahr 2012 verstärkt werden."

Nochmal – das sagte er wenige Stunden nach dem Vorfall selbst. Bis heute steht nicht fest, dass eine Eskalation von Gewalt unter Fußballfans vorliegt, wie der Minister behauptete. Das Ermittlungsverfahren ist nicht abgeschlossen.

Andrés Anwalt schrieb dem Minister am 24.11.2012 einen Brief:

Mein Mandant ist, wie der Polizeiinspektion Nürnberg-Süd auch bekannt ist, kein "Hooligan". (...)

Es ist für mich nicht nachvollziehbar, weshalb Sie wenige Stunden nach dem Vorfall eine Stellungnahme (…) abgeben, die einer Tatablauftheorie folgt, die überhaupt nicht feststeht. Der Sachverhalt ist nicht im Geringsten klar und feststehend. Insbesondere gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass mein Mandant sich an einer gewalttätigen Auseinandersetzung aktiv beteiligt hätte.

Die von Ihnen aufgestellte Behauptung, dass es sich um eine „Eskalation“ der Gewalt gehandelt habe, kann zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht aufgestellt werden. Es ist mir nicht nachvollziehbar, weshalb Sie offenbar weitreichendere Kenntnis von dem Vorfall haben als die örtliche Staatsanwaltschaft.

Es musste Ihnen klar sein, wie Ihre Aussage im Kontext verstanden werden würde. Die öffentliche Wahrnehmung ist, dass mein Mandant aus einer Kampfsituation, an der er selbstverschuldet beteiligt war, so schwer verletzt wurde. Dies stellt eine ehrverletzende Äußerung dar. Mein Mandant und seine Familie leiden unter dieser Darstellung massiv. (...)

Am 20.02.2012 antwortete der Bayerische Innenminister persönlich und teilte mit, dass er Andrés Situation zutiefst bedauere und mit ihm und seiner Familie fühle.

(...) Nicht nur in meiner Funktion als Bayerischer Innenminister verurteile ich derartige Gewaltanwendung aufs Äußerste. Dieser Haltung entspricht meine Äußerung gegenüber der Presse, welche Sie in Ihrem Schreiben thematisieren. (...)

Einen Menschen in ein Gleisbett zu stoßen, wodurch dieser von einem Zug überfahren wird und einen Arm verliert, kann meines Erachtens nicht anders als eine Eskalation von Gewalt bezeichnet werden. (...) Die lückenlose Aufklärung einer solch schweren Tat durch die Polizei liegt daher nicht nur im Interesse Ihres Mandanten, sondern auch aller Bürger. Darüber hinaus müssen die Vereine, die Sicherheitsbehörden und die Polizei gemeinsam noch konsequenter gegen Auswüchse rund um den Fußball vorgehen.

Die von Ihnen beanstandeten Sachverhaltsschilderungen sind Teil einer Pressemitteilung der Kölner Polizei.

(...) In meiner Bewertung des Vorfalles kann ich (...) keine Ehrverletzung erkennen.

Nichts zurückzunehmen also seitens des Innenministers. Dass er nun eine lückenlose Aufklärung fordert, ist erstaunlich - als er doch bereits Stunden nach dem Ereignis eine eigene Bewertung des Falles öffentlich vornahm. Nur, welche Pressemitteilung der Kölner Polizei meint der Minister?

Auch die hatte sich die RSH selbstverständlich längst besorgt. Die offizielle Pressemitteilung aus Köln lautete nämlich ganz anders, als der Minister behauptet. Dort steht kein Wort von einer Auseinandersetzung von Unfallfans. Die Sachverhaltsschilderung, auf die sich der Innenminister bezieht, beruht gerade nicht auf einer Pressemitteilung der Polizei.

Zumal der Bayerische Innenminister - dem die bayerische Polizei untergeordnet ist - wissen müsste, dass es strafbar ist, wenn Polizeibeamte Daten an Journalisten weitergeben.

Ausblick: Die RSH lässt damit die Sache nicht auf sich beruhen. Wir haben es jetzt schwarz auf weiß. Auch die Staatsanwaltschaft Köln kann ein strafrechtlich relevantes Polizeiverhalten nicht leugnen. Dass der Kripo Köln keine Ideen einfallen, wie man da ermitteln kann, wird so nicht akzeptiert werden.

Das tragische Geschehen zeigt: André wurde schwer geschädigt. Politiker und Medien haben keine Geduld, die Ermittlungen der Polizei zum Hergang abzuwarten. Eine vermeintlich „gute“ Geschichte über Hooligans ist interessanter - und wenn sie nur auf einer Aufbauschung falsch dargestellter, illegal weitergegebener Daten beruht.

Fanfotos 1. FC Nürnberg




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