23.09.2011 - 1. FSV Mainz 05

Szene Mainz kritisiert mangelndes Demokratieverständnis


Auf der diesjährigen Mitgliederversammlung von Mainz 05 ging es heiß her. Die aktive Szene stimmte größtenteils gegen ein neues Vorstandsmitglied, das für Sicherheitsfragen zuständig sein soll. Die Fans kritisieren dabei den Interessenskonflikt, da das Vorstandsmitglied gleichzeitig Sponsor des Clubs ist. Vor Ort eskalierte die Situation dann.

Faszination Fankurve dokumentiert den Bericht der Szene Mainz von der Mitgliederversammlung:

Das ist Mainz 05 – Ein Bericht von der Mitgliederversammlung

Alle Jahre wieder: Mitgliederversammlung von Mainz 05. Oftmals ein wenig spektakulärer Termin, da unser Verein – im Gegensatz zu anderen in diesem Bundesland – glücklicherweise solide geführt ist und im Rahmen dieser Versammlungen wenig Zündstoff bestand. Man geht hin, lauscht den Berichten von Vorstand, Trainer, Kassenprüfer, erteilt die gesetzlich vorgesehenen Entlastungen, unterhält sich mit den bekannten Gesichtern und geht wieder seiner Wege. Auch in diesem Jahr gab es kein Anzeichen, dass am beschriebenen Procedere gerüttelt werden sollte. So fiel es den wenigsten überhaupt auf, dass bereits Ende August in den beiden lokalen Tageszeitungen die Einladung zur Mitgliederversammlung fristgerecht und satzungsgemäß abgedruckt war. Warum auch? Wie in den Vorjahren ging man von einer separaten Benachrichtigung durch Mainz 05 via Stadionheft, Homepage, Pressemitteilung oder einem der anderen vielfältigen Kommunikationswege aus…versorgt nicht beispielsweise die offizielle Mainz 05-App den geneigten Smartphone-Besitzer regelmäßig mit solch hochkarätigen Schlagzeilen wie „Klein-Winternheim gewinnt Grundschulturnier“?!?

Zur Überraschung vieler Vereinsmitglieder wurde jedoch erst am 15.09. auf die Versammlung aufmerksam gemacht, also knappe vier Tage vor dem Termin. Nun ja, auch das wäre noch nicht allzu tragisch, war man doch im vergangenen halben Jahr eine dem unbestritten hohen Arbeitsaufwand geschuldete Nachlässigkeit bei der Veröffentlichung regelmäßiger Nachrichten – insbesondere die Dauerkartenvergabe ist hier aus Sicht vieler Fans zu erwähnen – durchaus gewohnt.

Was jedoch nahezu jeden, der die offizielle Pressemitteilung des Vereins las, aufhorchen ließ, war die anstehende, zuvor nie erwähnte Änderung im Vorstand von Mainz 05. Bernhard Geitel, Vorstand für den Bereich Sicherheitsfragen, sollte nach rund 23 Jahren aus diesem Gremium ausscheiden. Als Nachfolger schlägt der Vorstand in der PM Herrn Andreas Krafft vor, seines Zeichens geschäftsführender Gesellschafter der Urano Systemhaus GmbH bzw. assoziierter Unternehmen. Und so geriet der weitere Wortlaut der Pressemitteilung hauptsächlich zur Werbeschrift für Herrn Krafft. Dieser sei Mainz 05 „seit 2006 eng verbunden“ und unterstütze mit seiner Firma als Sponsor diverse Projekte und Initiativen im Vereinsumfeld. Der Vorstand sähe in ihm einen geeigneten Kandidaten den Verein Mainz 05 voranzubringen.

Unmittelbar nach der Bekanntgabe der Personalie wurden kritische Stimmen laut: die einschlägigen Internetforen liefen heiß und auf den Blogs der bekannten Gruppen der aktiven Mainzer Szene waren unmittelbar Stellungnahmen zu diesem Vorgang zu lesen. Natürlich wurde die Ankündigung des Vereins auch von Angesicht zu Angesicht diskutiert, insbesondere am Treffpunkt vor dem Spiel in KLHS oder im Zug in die hässlichste Stadt Deutschlands konnte man zeitweilig den Eindruck gewinnen, dass der Fokus urplötzlich nicht mehr ausschließlich auf dem anstehenden Spiel lag.

Tenor aller Wortmeldungen war die Kritik an der wirklich verbesserungswürdigen Kommunikation der bevorstehenden Änderung, die von allen Seiten kritisiert wurde und unbestritten einen merkwürdigen Beigeschmack aufweist. Aber selbstverständlich auch die verschiedenen Ämter des bis dato gänzlich unbekannten Herrn Krafft und etwaige daraus resultierende Interessenskonflikte waren augenfällig.

Viele fühlten sich folglich statt als mündiges Vereinsmitglied eher als „Stimmvieh“ angesehen, dem man keinerlei Diskussion oder Auseinandersetzung mit bzw. über eine neue Person gestatten will.

So war die Spannung vor der Versammlung am 19.09. um 19 Uhr im Kurfürstlichen Schloss dieses Mal ungleich größer als in den Vorjahren. Trotz der großen Diskussionen im Vorfeld erschienen nur 305 Vereinsmitglieder. Bedenkt man die eigentlich stattliche Anzahl von knapp 14.000 Mitgliedern, fragt man sich – abgesehen von der schlechten Kommunikation des Termins – durchaus woran das liegt. Ist die Vereinsmitgliedschaft in den vergangenen Jahren vielleicht nur zu einem bequemen Weg an Heimspielkarten zu kommen degeneriert?

Zunächst wurde die Versammlung mit den üblichen Redebeiträgen sowie einem kleinen Einspieler der letzten Spiele sowie der offiziellen Eröffnungsfeier des Stadions am Europakreisel eröffnet. Die Reden waren – so man in den Vorjahren anwesend war – nichts grundlegend neues, doch fiel bereits hier eine gewisse Redensart von Präsident und Manager auf: es wurde mehrfach betont, was Mainz 05 sei und was nicht. Vielfach wurde das vergangene Spiel gegen den herzblutgetränkten Traditionsverein herangezogen. Das dort Erlebte sei keinesfalls Mainz 05, die Stadioneröffnung hingegen sei Mainz 05. Ein Zusammenhalt zwischen Fans, Mannschaft, Trainer und Vorstand sei Mainz 05, (berechtigte) Kritik an den drei letztgenannten sei keinesfalls Mainz 05. Diese unsägliche, vermeintliche Definitionshoheit sollte im weiteren Laufe des Abends noch einige Male bemüht werden.

So wurde nach den üblichen Pflichtprogrammpunkten zum TOP 6 aufgerufen: der Wahl des Vorstandes. Wie in der Satzung festgelegt war der gesamte Vorstand neu zu bestimmen.

Zum Eintritt in den Tagesordnungspunkt übernahm die in einer der vergangenen Mitgliederversammlungen gewählte Wahlkommission die Leitung der Veranstaltung. Sicherlich ein sinnvolles Gremium, da der Vorstandsvorsitzende Harald Strutz, der bisher die Versammlung führte, nicht seine eigene Wiederwahl moderieren sollte.

Der Vorsitzende der Wahlkommission schilderte kurz das anstehende Prozedere, bevor Herr Andreas Krafft sich kurz vorstellen sollte. Herr Krafft konnte leider die ihm gebotene Chance, die Mitglieder von sich zu überzeugen, nicht nutzen. Sein Vortrag wirkte nicht souverän und vermittelte wenig Neues über seine Person. Insbesondere seine spezielle Motivation für Mainz 05 tätig zu werden blieb nebulös. Als der Wahlleiter nach dieser missglückten Vorstellung ohne die zuvor angekündigte Fragerunde zur Abstimmung schreiten wollte, wurden Unmutsbekundungen laut. Insbesondere aus dem Kreis der aktiven Fanszene wurde dieses Übergehen der Mitgliederrechte nicht akzeptiert, so dass schließlich doch die im Mittelgang zwischen den Stuhlreihen positionierten Mikrofone freigeschaltet wurden. Die nun gestellten Fragen sowie die Kritik, die auch von Fans außerhalb des Spektrums der aktiven Fanszene kamen, drehten sich primär um die oben schon beschriebenen Themen: Interessenskonflikt zwischen Sponsor, Vorstand und Dienstleister von Mainz 05 in einer Person, unglückliche (oder gar gewollte) späte Bekanntmachung der Person Andreas Krafft, mangelnde Kenntnis über die Person Andreas Krafft. Oftmals wurde hier auch schon geäußert, dass ein positives Votum für Herrn Krafft für viele Fans nicht vorstellbar sei. Die Betonung lag jedoch immer darauf, dass dies nicht in der Person von Herrn Krafft begründet läge – der ja durchaus kompetent sein könne – sondern vielmehr in der schlechten Informationspolitik, welche beispielsweise die Benennung eines alternativen Kandidaten nicht ermöglicht hätte. Eine Abstimmung über die Besetzung eines Vorstandspostens mit einem Unbekannten könne nicht guten Gewissens erfolgen.

Bevor Herr Krafft sich näher zu den Fragen äußern konnte – lediglich der Hinweis, er sei bereits seit 1990 Sympathisant von Mainz 05 – wurde er durch Harald Strutz und Christian Heidel vom Mikro gedrängt.

Und nun begann die Lehrstunde, was Mainz 05 ist und was definitiv nicht Mainz 05 ist.

Die beiden genannten Herren des Vorstandes verteidigten den Vorschlag Andreas Krafft vehement. Man kenne ihn lange, arbeite gut mit ihm zusammen, er könne sich sicherlich in das bestehende Gremium einfügen und überhaupt: gäbe es denn kein Vertrauen mehr in die Arbeit des Vorstandes? Diese „Vertrauensfrage“ wurde nur noch durch beiläufig eingestreute Bemerkungen des Wahlleiters übertroffen, der ebenfalls Herrn Krafft lobte. Ein Paradebeispiel für Neutralität. Die Schweiz könnte neidisch werden.

Wer sich in der Mitgliederversammlung kritisch äußerte oder auch nur eine Frage an Herrn Krafft formulieren wollte, wurde direkt in den Zusammenhang mit den Vorkommnissen in Kaiserslautern gerückt. „Ich weiß ja aus welcher Ecke das kommt“, war ein Satz der aus dem Mund des Präsidenten zu vernehmen war. Eine absolut logische Schlussfolgerung: jeder Fragesteller, der nicht zu 100% der Vorstandsräson folgt, ist ein potentieller „Krimineller“ (ein wortwörtliches Zitat der Herren Heidel und Strutz).

Ungeachtet der Schärfe des Inhaltes einiger Äußerungen ist fraglich, ob solche Bewerbungs- oder Verteidigungsreden für einen Vorstandskandidaten gemäß der Satzung von Mainz 05 überhaupt durch den noch amtierenden Vorstand erfolgen dürfen. Selbst wenn solche Redebeiträge satzungsmäßig abgedeckt sind, sollte man sich fragen, ob diese guten Stil darstellen. Insbesondere wenn der Wahlleiter sodann nach drei Redebeiträgen von Vereinsmitgliedern – auf deren Fragen es übrigens keine oder keine erschöpfenden Antworten gab – den Antrag stellt, die Diskussion zu beenden und zur Abstimmung zu schreiten. Dieser Antrag brachte das Fass zum Überlaufen! Hier sollte wohl mit aller Macht ein Kandidat auf Wunsch des Vorstandes durchgedrückt werden. Die Wahl an sich wurde frei nach dem Motto „Ei, des werd schon klappe. Die halte doch immer all die griene Kädscher hoch“ zur lästigen Formalität degradiert. In der Folge wurde von einem Mitglied der Antrag auf Vertagung der Wahl vorgebracht – und geflissentlich ignoriert. Es entspannen sich heftige, emotionale Dialoge zwischen einzelnen Mitgliedern und dem Präsidenten. Eine Diskussion – auch eine geordnete – war von vorneherein nicht gewollt und nun wohl auch nicht mehr durchführbar. Erschreckend war an dieser Stelle insbesondere ein zwei Reihen hinter der aktiven Fanszene sitzendes Mitglied, das auf das Ansprechen dieser Demokratiedefizite ein lautes, abfälliges, im Brustton voller Überzeugung vorgetragenes „Pah, Demokratie!“ äußerte.

Der in allen Belangen überforderte Wahlleiter, der zuvor noch bekundet wegen des blendenden Lichts der Scheinwerfer keine Wortmeldung im Saal erkennen zu können, rief zur Abstimmung über seinen Antrag mittels Heben der eingangs ausgegebenen grünen und roten Stimmkarten. Auf die ironische Anmerkung, wie sich diese beiden Aussagen unter einen Hut bringen lassen, ließ der gute Mann das Licht der Scheinwerfer dimmen und die Saalbeleuchtung leicht hochfahren. Nun stand immerhin technisch einer ordnungsgemäßen Wahl nichts mehr im Wege.

Die Mehrzahl der anwesenden Fans stimmte – psychologisch perfekt eingestimmt durch die Verquickung zwischen kritischen Vereinsmitgliedern und Pyrotechnik zündenden Schlägern, die in ihrem Innersten in Wirklichkeit den Verein über alles hassen und ihm schaden wollen – leider für den Antrag des Herrn Wahlleiters. Einige Fans verließen daraufhin sofort den Saal. „Farce“ war einer der milderen Titel für das eben Erlebte….aber diese wenigen sind ja ohnehin nicht Mainz 05.

Die anschließende Abstimmung über den Vorstand verlief erwartungsgemäß: Herr Strutz wurde wiedergewählt – jedoch mit einigen Nein-Stimmen und Enthaltungen, was ihn sichtlich traf…aber natürlich nicht Mainz 05 ist. Die übrigen bewährten Vorstandsmitglieder wurden einstimmig wiedergewählt. Das ist natürlich Mainz 05!

Auf Herrn Krafft entfielen am Ende knapp über 200 Ja-Stimmen, der Rest waren Enthaltungen und Nein-Stimmen.

Alles in allem ein unrühmliches Lehrstück in Sachen Demokratie und Massenpsychologie sowie ein schlechter Start für Herrn Krafft, der durch das Unvermögen und den absoluten Mangel an Feingefühl seiner neuen Vorstandskollegen gleich zu Beginn seiner Amtszeit nachhaltig beschädigt wurde.

Das alles ist Mainz 05.

Fanfotos 1. FSV Mainz 05




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