19.06.2016 - 1. FC Nürnberg

​Wenn die Polizei beim Arbeitgeber auftaucht


Immer wieder tauchen Polizeibeamte bei den Arbeitgebern von Fußballfans auf, sei es zu Zeugenbefragungen, Verhören oder Gefährderansprachen. Ein Fall aus Nürnberg zeigt nun, dass man sich dagegen wehren kann, auch wenn es bisher nicht von Erfolg gekrönt war. (Faszination Fankurve, 19.06.2016)

Faszination Fankurve dokumentiert die Mitteilung der Rot-Schwarzen Hilfe:

Freund und Helfer – oder: Wenn das LKA intern ermittelt

Bayerns Innenminister Herrmann schätzt große Medienauftritte. Im Februar 2013 war es wieder einmal so weit. Nach einer Häufung öffentlich gewordener Polizeiskandale unterstellte er die Zentrale Ermittlungsstelle für interne Polizeiermittlungen dem Landeskriminalamt: „Wir werden auch weiterhin jeden Vorwurf gegen die Polizei konsequent und umfassend aufklären“. Ein RSH-Mitglied durfte jetzt erleben, was das bedeutet.

Im Februar 2013 tauchte plötzlich die Kriminalpolizei beim Arbeitgeber des damals 19-Jährigen auf, weil sie ihn zu Hause nicht antreffen konnte. Gegen den jungen Mann wurde wegen des Vorwurfs des Landfriedensbruchs ermittelt. Er könne am Tatort gewesen sein, vermutete die Polizei.

Der Polizeibeamte notierte später über den Besuch beim Arbeitgeber: Wir wurden vom Personalbüro gebeten, den Chef anzurufen, da der Mitarbeiter sich auf Montage befand. Dieses Angebot nahm die Polizei gerne an und kontaktierte den Chef auf dessen Privatnummer. Die Beamten „eröffneten“ dem Chef, dass sie von der Kriminalpolizei seien und zu „den“ Vorkommnissen auf der Rastanlage Steigerwald ermitteln würden. Der Angerufene habe bereits durch Pressemeldungen von dem Fall gewusst. Die Kripo machte dem Chef dann klar: In diesem „Zusammenhang“ sei die Befragung seines Mitarbeiters von Nöten.

Einen Tag später der zweite Polizeibesuch in der Firma. Diesmal: Beschuldigtenvernehmung am Arbeitsplatz, anstatt den Beschuldigten auf die Wache zu laden. Aufgeregt habe sich der 19-Jährige, dass er in der Arbeit aufgesucht werde, fanden die Beamten. Er habe sich Visitenkarten von ihnen geben lassen. Auch das freilich berichtete die Polizei umgehend dem Chef: dass der Mitarbeiter „ungehalten“ gewesen sei.

Sechs Tage später schrieb die Polizei einen Vermerk, wissend, dass der Beschuldigte sich möglicherweise über den „Besuch“ in der Arbeit beschweren wolle. Schließlich hatte er sich die Karten geben lassen. In dem Vermerk heißt es – und das erstaunt: Der Chef sei über die Vorfälle bereits aus der Presse informiert gewesen. Aus der Annahme, dass sein Mitarbeiter Clubfan sei, habe er eigene Schlüsse gezogen. Mit anderen Worten: die Polizei wollte durch den Vermerk absichern, dass später nicht der Vorwurf erhoben werden könne, sie hätten über die Beschuldigtenstellung des Mitarbeiters gesprochen.

Schwer zu glauben, dass es nicht die Kriminalpolizei war, die dem Chef einen solchen Rückschluss auf eine Beschuldigung mehr oder weniger deutlich vermittelte und damit letztlich das Ermittlungsverfahren gegen den jungen Mitarbeiter offenbarte.

Das RSH-Mitglied wehrte sich gegen diese Methoden der Polizei. Ein bestehendes Ermittlungsverfahren ist ein Geheimnis. Die Offenlegung gegenüber dem Chef sei unverhältnismäßig, kritisierte er in einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Zumal die Polizei zwei Mal Kontakt mit dem Chef aufnahm, nämlich sowohl vor der Vernehmung als noch einmal danach.

Ein Fall für die internen Ermittler des Landeskriminalamts (LKA). Meinte jedenfalls die Staatsanwaltschaft, bei der die Dienstaufsichtsbeschwerde bearbeitet wurde: Die Dienstaufsichtsbeschwerde sei nämlich in einen „Strafantrag wegen Verletzung von Privatgeheimnissen“ umzudeuten. Und das, obwohl die erforderliche Strafantragsfrist längst abgelaufen war und der 19jährige nie einen Strafantrag gestellt hatte, sondern erkennbar nur eine Dienstaufsichtsbeschwerde.

Das LKA legte sich ins Zeug. Wieder wurde der Chef aufgesucht und als Zeuge befragt. Eine schöne Retourkutsche. Ob er denn vor dem Gespräch mit der Kripo gewusst habe, dass sein Mitarbeiter Clubfan sei. Nein, das habe er nicht gewusst, habe der Chef geantwortet. Das Wort „Landfriedensbruch“ habe er in dem Gespräch mit der Kripo vernommen, erzählte der Zeuge weiter. Das müsse von der Polizei gekommen sein, da "Landfriedensbruch" in seinem Sprachgebrauch vorher überhaupt nicht vorhanden gewesen sei.

Ungünstig, was der Zeuge berichtete. Plötzlich verdichtete sich der Verdacht gegen den Kripo-Beamten. Hatte er am Ende doch Geheimnisse ausgeplaudert? Der LKA-Ermittler schrieb an die Staatsanwaltschaft: Eine abschließende Bewertung sei noch nicht möglich. Der Polizeibeamte müsse noch vernommen werden. Und der LKA-Beamte hatte gleich eine Lösung parat: Vielleicht war das Gespräch mit dem Arbeitgeber ja eine „Zeugeneinvernahme“, um einen Eindruck über den 19-Jährigen zu bekommen, überlegte der LKA-Beamte in seinem Vermerk.

Und siehe da,. der beschuldigte Beamte wurde unverzüglich vernommen und machte bereitwillig Angaben. Und – Überraschung: Auf die Frage, welchen Status denn der Chef bei seinem Gespräch mit der Kripo gehabt habe, antwortete der Kripobeamte das „Richtige“: Aus Polizeisicht sei er Zeuge gewesen. Als Zeuge belehrt habe man ihn aber nicht.

Der Arbeitgeber war also „Zeuge“, als die Kripo in der Firma auftauchte. Problem gelöst. Auch für die Staatsanwaltschaft. Natürlich durfte der Chef als „Zeuge“ vernommen werden, so ihr Fazit.

Dass die Polizei beim Arbeitgeber nur aufgetaucht war, weil sie den Beschuldigten zu Hause nicht angetroffen hatte - uninteressant.

Dass Vermerke geschrieben werden, in denen sich Beamte quasi herauswinden, keine Verknüpfung zwischen einem Tatvorwurf und einer Person hergestellt zu haben - uninteressant.

Dass der Chef mehrfach kontaktiert wurde und es sich keinesfalls um zwei Zeugenvernehmungen handelte - uninteressant.

Dass sich die Angaben des Chefs und die des Kripo-Beamten widersprachen - verdächtig? Ja! Aber nicht etwa ein Fehlverhalten des Kripo-Beamten stand jetzt im Raum, sondern der Spieß wurde umgedreht.

Die „Anzeige“ gegen einen bayerischen Polizeibeamten, die eigentlich nur eine Dienstaufsichtsbeschwerde war, ist natürlich ein starkes Stück, unverschämt. So etwas lässt man nicht auf sich sitzen. Und da weiß das LKA Rat. Polizei, dein Freund und Helfer.

Oder wie ist der postwendende Gegenschlag des „angezeigten“ Beamten zu interpretieren? Wegen des gegen ihn initiierten Verfahrens wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen stellte nunmehr er Strafantrag. Und zwar nicht nur gegen den 19-Jährigen, sondern gegen dessen Chef gleich mit. Der habe das Verfahren ja auch „initiiert“. Frei erfunden zwar dieser Vorwurf, aber erst mal alle anzeigen. Und damit das alles seinen bürokratischen Weg geht, schickte der so schwer in seiner Ehre verletzte Beamte seine Anzeige direkt an die Staatsanwaltschaft. Denn der gegen ihn ermittelnde Beamte vom LKA habe ihm schriftlich mitgeteilt, dass er die Gegenanzeige direkt bei der zuständigen Staatsanwaltschaft einreichen solle.

Zwei Tage nach Eingang bei der Staatsanwaltschaft stellte der Staatsanwalt das Verfahren wegen „falscher Verdächtigung“ wieder ein: Jedem Bürger stünde es frei, die Tätigkeit von Behörden durch Beschwerden und Anzeigen kontrollieren zu lassen. Enttäuschend für den Beamten. Hatte er doch beim Staatsanwalt bereits einen „Adhäsionsantrag“ angeregt. Sprich: Er wollte nun auch noch Schmerzensgeld.

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