14.01.2015 - DFB

Wie funktioniert das Strafensystem des DFB?


Alleine gestern haben Richter des DFB-Sportgerichts Strafen gegen Bundesligavereine in Höhe von 68.000 Euro wegen Fanfehlverhalten ausgesprochen. Am vergangenen Mittwoch erklärte Dr. Rainer Koch, der erste Vizepräsident des DFB das Strafensystem des DFB im Detail.

Faszination Fankurve war bei der von Dr. Jan F. Orth organisierten Veranstaltung an der Universität zu Köln anwesend und fasst die Sichtweise des DFB und die Diskussion zum Thema zusammen.

Bei der Veranstaltung ging es um die Frage, ob der DFB Strafen gegen seine Mitgliedsvereine aussprechen darf, obwohl das Fehlverhalten nicht vom Verein selbst, sondern von den Anhängern des Vereins verursacht wurde?

Nach der Satzung des DFB werden Strafen gegen Vereine ausgesprochen, um zukünftiges Fanfehlverhalten zu verhindern. Dr. Rainer Koch plädierte für Verständnis, dass dem DFB entgegen gebracht werden solle, da der Verband keinerlei Möglichkeiten habe Fans, die durch Fehlverhalten auffällig wurden, zu sanktionieren. Dem DFB ist es nur möglich Vereine, die Mitglied beim DFB sind, zu sanktionieren. Das Vorgehen des DFB-Sportgerichts ist demnach ein Verwaltungsakt. Der DFB hat einer allgemeine Ordnungsgewalt innerhalb seines Verbandes, um den Spielbetrieb zu organisieren. Deshalb geht er mit privatrechtlichen Sanktionen, die ihm wegen des Rechts auf Selbstverwaltung zustehen, gegen die Vereine bei Fanfehlverhalten vor.


Das DFB-Sportgericht ist also eine zivilrechtliche Verbandsverwaltung und ersetzt die Entscheidung ordentlicher Gerichte nicht. Innerhalb des DFB gibt es eine Gewaltenteilung zwischen dem Sportgericht und dem Kontrollausschuss. Die Rolle des Kontrollausschusses ist in etwa mit der Rolle der Staatsanwaltschaft bei anderen Gerichten zu vergleichen. Der Kontrollausschuss kann Anklage gegen einen Verein beim DFB-Sportgericht einreichen. Dort entscheiden verschiedene Richter anschließend über die Strafe. Will ein Verein nach einem Urteil vom DFB-Sportgericht in Berufung gehen, landet der Fall beim DFB-Bundesgericht. Die Gewaltenteilung hat der DFB, nach Angaben von Dr. Koch, selbst eingeführt, vorgeschrieben sei sie nicht.

Oberstes Ziel des DFB sei es demnach Ausschreitungen und Pyrotechnikvorfälle in den Stadien zu verhindern. Andernfalls könnten Zuschauerbeschränkungen, Stehplatzverbote oder gar Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit drohen. Diese Maßnahmen könnten von Politikern in Zusammenarbeit mit der Polizei erarbeitet werden, um die Sicherheit in den Stadien zu garantieren. Zuletzt kam diese Diskussion vor dem 12.12.2012 auf, als sich die DFL gezwungen sah ein Papier zur Stadionsicherheit zu verabschieden, um faneinschränkende Maßnahmen seitens der Politik zu verhindern.

Vorfälle von Fanfehlverhalten spielen sich nach Meinung des DFB-Vize zum überwiegenden Teil im Bereich der Fankurven, meistens in den Stehplatzblöcken, ab. Durch Vermummung und ein Untertauchen von zum Beispiel Pyrotechnikzündern sei es, trotz neuester Videotechnik, fast unmöglich die Täter zu identifizieren. Dennoch müssen die Vereine dazu bewegt werde, auch durch DFB-Strafen, solche Vorfälle zu verhindern, da die Vereine selbst den kürzesten Draht zu ihrer Anhängerschaft hätten und versuchen müssten Einfluss zu nehmen. Durch Investitionen in den Ordnungsdienst könnten solche Vorfälle letztlich verhindert werden. Dr. Koch spitze diese Aussage etwas zu, um zu verdeutlichen, welche Möglichkeiten die Vereine hätten: „Wenn auf einen Zuschauer ein Ordner kommen würde, würde es sicherlich keine Pyrovorfälle mehr geben.“

Um vor dem DFB-Sportgericht somit eine milde Strafe nach einem Fanvergehen zu erhalten, muss der betroffene Verein darlegen, mit welchen Mitteln er versucht habe die Situation zu verhindern, mit welchen Mitteln die Vorfälle anschließend versucht wurden aufzuklären und mit welchem Erfolg.

Gegen einen Fan, der zum Beispiel Pyrotechnik gezündet hat, kann der DFB selbst nicht direkt vorgehen, da in keinerlei Beziehung zu dem Fan steht. Der Verein hat zumindest durch den Verkauf der Eintrittskarte und der dadurch erteilten Zustimmung des Fans zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ein Vertragsverhältnis mit dem Fan.

Der DFB kann nur Vorfälle bestrafen, die gegen die Stadionordnung des jeweiligen Vereins verstoßen. Eine Lockerung der Stadionordnung seitens der Vereine, um einer möglichen DFB-Strafe zu entgehen, sind jedoch keine Möglichkeit, da in den Stadionordnungen Vorgaben der Verbände erfüllt werden müssen, die im Lizenzsierungsverfahren überprüft werden.

Nach Vorgaben der DFB-Statuten sind Vereine für ihre Mitglieder, Spieler, Mitarbeiter und Fans verantwortlich. Im Stadionbereich haftet der gastgebende Verein nach DFB-Angaben für Fehlverhalten. Ziel des DFB ist, dass die Vereine, die vom DFB zu einer Strafe verurteilt wurden, zivilrechtlich gegen die verursachenden Fans vorgehen sollen, um sich den entstandenen Schaden ersetzen zu lassen. Problematisch ist hierbei jedoch, dass die Höhe der DFB-Strafe im Zusammenhang mit vorherigem Fehlverhalten der Fans steht, wofür ein Verursacher einer neuen DFB-Strafe nicht zwangsläufig für verantwortlich gemacht werden kann.

Nach Angaben vom Dr. Koch, der neben seiner Tätigkeit beim DFB Richter am Oberlandesgericht München ist, ist das oberste Ziel des DFB neben der Verhinderung von Ausschreitungen und Pyrovorfällen, dass die Verursacher selbst bestraft würden. In Richtung Fanseite äußerte Dr. Koch den Appell, dass sich Fans bei Fehlverhalten anderer Fans einen Schritt von diesen entfernen sollten, um die Ermittlungen zu erleichtern.

Dr. Rainer Koch war maßgeblich an dem von vielen Fanhilfen kritisierten 9-Punkte-Plan beteiligt. Der DFB-Vize sieht bei den Vereinen eine breite Akzeptanz für den 9-Punkte-Plan. Als neues Ziel gab Dr. Koch aus, dass dies nun auch in den Köpfen der Fans verankert werden soll und dort Verständnis für das Vorgehen des DFB entstehen soll. Ein erster Schritt der dabei helfen könnte wäre, wenn der DFB zukünftig keine Strafen mehr für Wunderkerzen oder Papierrollen aussprechen würde. Diese sorgen bei Fans immer wieder für Unverständnis gegenüber dem Strafensystem. Die betroffenen Fans können die Strafen für diese Vorgehen meist nur schwer nachvollziehen.

Ausgangspunkt des 9-Punkte-Plans ist die Ächtung von Gewalt, Rassismus, unsportlichem Verhalten und Pyrotechnik. Gerade der letzte Punkt markiert das Problem zwischen Ultràszene und DFB. Für den DFB ist Pyrotechnik seit Abbruch der Gespräche mit der „Pyrotechnik legalisieren“ Kampagne ein rotes Tuch. Verhandlungen über die Legalisierung von Pyrotechnik werden im Keim erstickt, obwohl ähnliche Modelle, wie von der Pyrokampagne vorgestellt, in anderen Ländern bereits praktiziert werden.

Auch die eingangs erwähnten gestrigen DFB-Strafen zeigen erneut, dass die allermeisten Strafen wegen Pyrotechnikvergehen ausgesprochen werden. Ultras fast aller Vereine betonen immer wieder, dass Pyrotechnik für sie zur Fankultur dazugehört.

Zur Untermalung der Gefährlichkeit von Pyrotechnik zeigte Dr. Koch zu Beginn seines Vortrags ein Video, das irgendwo in Osteuropa aufgenommen wurde (siehe oben in der Fotogalerie). Dort hantiert eine Fan mit einem Bengalo rum, das nicht sofort zündet. Anschließend guckt er in die Öffnung der Fackel, als diese plötzlich doch angeht. Sicherlich ein anschauliches Beispiel, wie man falsch mit Pyrotechnik umgeht. Doch das Niveau dieser Aufnahme wird der Idee der Pyrotechnikkampagne in Deutschland nicht gerecht, die damals forderte, dass nur geprüfte Pyrotechnik in abgestimmten Bereichen des Stadions von darin geschulten Personen eingesetzt wird.


Der DFB sieht, in Person von Dr. Koch, sein Strafensystem als erfolgreich an. Im Züge der Verabschiedung des 9-Punkte-Plans wurden sogenannte Bewährungsstrafen eingeführt. Nur zwei Mal habe der DFB diese bisher in einen Zuschauerausschluss bzw. Teilausschluss umwandeln müssen. Betroffen davon waren die Fans des 1. FC Nürnberg (Faszination Fankurve berichtete) und von Dynamo Dresden (Faszination Fankurve berichtete) und indirekt auch die Fans von Rot-Weiß Erfurt, da deren Spiel in Dresden vom Ausschluss betroffen ist. Fest steht jedoch auch, dass es in Deutschland weiterhin in den obersten Ligen zum Einsatz von Pyrotechnik kommt. Inwiefern die DFB-Strafen darauf Einfluss haben, ist nicht wirklich zu beantworten. Eigentlich gibt es vier Szenarien, wie es mit den DFB-Strafen weitergehen wird:


Szenario 1 ist der Status Quo: Die Ultras der allermeisten Vereine zünden ein paar Mal pro Saison Pyrotechnik. Die Vereine werden dafür vom DFB bestraft. Die Vereine investieren weiter in moderne Kameratechnik und die Ultras versuchen weiterhin diese auszutricksen. Teilweise werden Einzeltäter ermittelt, denen man empfindlichen Geldstrafen auferlegt. Ob die Übertragung der DFB-Strafe auf einzelne Verursacher in voller Höhe möglich ist, wird dabei auch in Zukunft verschiedene Gerichte beschäftigen.

Szenario 2 wäre ein Kompromiss in der Pyrotechnikdebatte: Danach sieht es im Moment keineswegs aus. Sollte sich der Status Quo jedoch weitere Jahre hinziehen, wird es vielleicht irgendwann beim DFB auch wieder Gesprächsbereitschaft bei dem Thema geben. Den wirklichen Einfluss auf die Pyroaktionen in den Gästeblöcken haben die Ultràgruppen. Dies stellten sie in einer selbstauferlegten pyrofreien Zeit, als es noch Gespräche mit dem DFB gab, unter Beweis. Ob sich aber selbst nach einer Legalisierung von Pyrotechnik alle Ultràgruppen an die dann vereinbarten Spielregeln halten würden, bleibt eher unwahrscheinlich. Zu rebellisch und eigen in ihrem Denken scheinen verschiedene Ultràgruppen.

Das dritte Szenario könnte man das englische Modell nennen. Durch die Abschaffung der Stehplätze und Anhebung der Eintrittspreise werden Ultras und aktive Fans mehr und mehr aus dem Stadion gedrängt. Die Vorfälle in den Stadien würden deutlich abnehmen. Die Probleme würden sich auf die Kneipen in Stadionnähe verlagern. Die Stimmung in den Stadien wäre, ähnlich wie aktuell in England, am Boden. Eine neue Fangeneration würde Fußball nur noch aus dem Fernsehen kennen und langfristig ginge dem Fußball ein Teil seiner Zielgruppe verloren. Dieses Szenario ist sicherlich nicht im Interesse der Ultras oder des DFB.

Bleibt noch Szenario 4. Die Ultras verzichten in Zukunft größtenteils auf den Einsatz von Pyrotechnik und verwenden es nur in den seltensten Fällen. So ähnlich sah es vor etwas mehr als zehn Jahren aus. Die größer gewordenen Ultràgruppen beschäftigten sich damals mit anderen Materialien, wie Papptafeln, Luftballons und Konfetti. Ein zurück zu dieser Zeit scheint schwer vorstellbar. Die Ultràbewegung ist spürbar gewachsen und zieht immer mehr Jugendliche in ihren Bann. Die damals größtenteils vorhanden Großgruppen haben sich häufig in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Außerdem gibt es noch zahlreiche sogenannte „streundene Köter“, die sich der Ultràszene zugehörig fühlen, aber keiner Gruppe angehören. Dass sich alle Strömungen der Ultràbewegung in Deutschland von Pyrotechnik abwenden scheint aktuell unwahrscheinlich. Zu sehr betonen fast alle Gruppen immer wieder, wie elementar Pyrotechnik für sie ist. Außerdem zeigte die damalige Zeit vielen Ultras, dass ein Verzicht auf Pyrotechnik nicht zu mehr Freiheiten bei der Verwendung anderer Fanmaterialien, wie z.B. Fahnen, Doppelhalter, Blockfahnen und Konfetti führte.

Doch zurück zum 9-Punkte-Plan: Dort heißt es, dass täterorientierte Sanktionierung der Leitgedanke wäre und die Tatermittlung sanktionsmindernd wirke. Für Diskussion sorgte bei diesem Punkt am Donnerstag in Köln ein Vorfall der sich am 09.02.2014, unweit des Diskusionsortes an der Universität Köln, nämlich im Rhein-Energie-Stadion in Kölner-Müngersdorf ereignete. Ein Fan des 1. FC Köln warf einen Böller vom Oberrang der Nordkurve in den Unterrang. Fans aus der Kölner Fanszene stellten den Mann und übergaben ihm dem Ordnungsdienst. Der Fan erhielt ein Stadionverbot und der 1. FC Köln versuchte den Täter in Regress zu nehmen.

Eigentlich ein Vorgehen, wie es sich der DFB wünscht. Doch trotzdem erhielt der 1. FC Köln auch wegen dieses Vorfalls letztlich vom DFB eine Bewährungsstrafe mit geschlossenen Stehplätzen bei zwei Spielen sowie einer Geldstrafe von insgesamt 80.000 Euro. Ein bei der Diskussion anwesender Angestellter des 1. FC Köln äußerte am Donnerstag sein Unverständnis über diese Strafe. Neben dem Böllervorfall wurden jedoch weitere Vergehen in Düsseldorf, Paderborn, Trier und Bochum bestraft (Faszination Fankurve berichtete). Genug Vorfälle, die wohl auch ohne Nennung des Böllervorfalls für eine Strafe gereicht hätten. Ein weiterer Punkt der beachtet werden könnte, um das Strafensystem vom DFB besser in den Köpfen der Fans zu verankern.

Das eingeführte Bewährungssystem soll ebenfalls zu einer Verankerung der DFB-Idee bei den Fans beitragen. Trotz Vorfällen beim Spiel des 1. FC Nürnberg gegen den 1. FC Kaiserslautern, bei dem es wegen der geschlossenen Nordtribüne fast zu Ausschreitungen kam (Faszination Fankurve berichtete), habe die Strafe für Diskussionen und auch Einsehen in der Nürnberger Fanlandschaft gesorgt. Punkt 8 des 9-Punkte-Plans habe somit Wirkung gezeigt.

Der DFB will an seinem Strafensystem in Zukunft jedenfalls festhalten. In der Sportrechtsliteratur sind die Auffassungen jedoch umstritten. So schreibt auch Dr. Jan F. Orth, der Veranstalter der Vorlesung am vergangenen Donnerstag in Köln in seinem Spurt-Artikel (05/2013) „Von der Strafe zur Maßnahme - ein kurzer Weg!“: „Strafe zur Prävention umzufirmieren, weil sie notwendig ist und es so gerade passt, geht im Rechtsstaat nicht. Dieser überstrahlt jede Verbandsautonomie.“ Orth und andere Juristen sind der Meinung, dass der DFB durchaus präventive Maßnahmen ergreifen darf und auch solle, um die Sicherheit bei Sportveranstaltungen zu gewährleisten. Präventive Maßnahmen dürften demnach jedoch nicht als Strafen daherkommen. (Faszination Fankurve, 14.01.2015)






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