16.10.2019 - Baden-Württemberg

Wie sich Fußballfans an NoPolGBW-Demos beteiligten


Am vergangenen Wochenende protestierten Fußballfans in Stuttgart, Freiburg und Karlsruhe gegen die geplante Verschärfung des Polizeigesetzes in Baden-Württemberg. In Stuttgart gingen neben politischen Gruppen auch Ultras vom VfB Stuttgart und dem 1. FC Heidenheim auf die Straße.


In Freiburg beteiligte sich die Ultràszene vom SC Freiburg an den Protesten und auch in Karlsruhe rief die dortige Fan- und Ultràszene zu den Protestaktionen auf. Unter dem Motto „Freiheitsrechte verteidigen - Polizeigesetze verhindern“ zogen am Samstag über 1.000 Menschen in einem Demonstrationszug durch Stuttgart Bad Cannstatt. Neben einem Vertreter des Commando Cannstatt sprach am Samstag in Stuttgart auch eine Person des weiß-grünen Hilfefonds aus der Fanszene der Spielvereinigung Fürth. Zudem wurde ein Grußwort der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte verlesen, die selbst nicht vor Ort anwesend sein konnten. Bei der Abschlusskundgebung in Stuttgart kam auch noch ein Vertreter der Ultras vom 1. FC Heidenheim zu Wort. Eishokey-Fans aus Villingen-Schwenningen waren in Stuttgart ebenfalls vor Ort.


Im Bericht des #NoPolGBW-Bündnisses heißt es rückblickend zur Demo in Bad Cannstatt: „Gegen 15.30 Uhr startete die Demonstration mit einer Kundgebung auf dem Cannstatter Marktplatz. Nach einer Begrüßung durch einen Vertreter vom Commando Cannstatt (CC) und einer linken Aktivistin sprach Rechtsanwalt Mathes Breuer aus München. Breuer engagiert sich in der Bewegung gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) in Bayern und ist als Anwalt an der Verfassungsklage gegen das PAG beteiligt. In seinem Beitrag ging der Anwalt insbesondere auf die unmittelbaren Auswirkungen für Betroffene ein und ordnete die Welle neuer Polizeigesetze gesellschaftspolitisch ein. Ein Vertreter des weiß-grünen Hilfefonds aus Fürth berichtete ausführlich von der polizeilichen Praxis nach Inkrafttreten des neuen PAG. Die Aktivisten aus Fürth schilderten unter Anderem einen Polizeiübergriff auf die, zum Auswärtsspiel nach Fürth gereisten, Fans aus Regensburg. Die präventive Ingewahrsamnahme einiger Fans dort sei eine der ersten bekannte Fall in dem das neue PAG angewandt wurde. Ähnlich wie zuvor der CC-Vertreter riefen auch die Fürther Fans zum entschiedenen Widerstand gegen das Vorhaben der baden-württembergischen Landesregierung auf. Im Anschluss zog die Demonstration durch die Cannstatter Innenstadt in Richtung Landeskriminalamt und Landesamt für Verfassungsschutz. Lautstarke und kreative Blöcke brachten die Anliegen der unterschiedlichen Beteiligten zum Ausdruck. Neben den Gruppen der Cannstatter Kurve, die den Demonstrationszug anführten, beteiligten sich auch Fans aus Heidenheim mit einem eigenen Block. Dem Aufruf der Roten Hilfe zur Bündelung aller linken Kräfte in einem gemeinsamen Bereich folgten mehrere hundert Menschen, darunter auch Eishokeyfans und AntifaschistInnen aus Villingen-Schwenningen, die mit einem gemeinsamen Bus angereist waren. Vor dem Cannstatter Carré, in der Nähe des Bahnhofs, fand gegen 17 Uhr die Abschlusskundgebung statt. Ein Vertreter der Heidenheimer Fanszene berichtete von bereits jetzt alltäglich stattfindenden Repressionsmaßnahmen. Im Fokus des Beitrags stand die deutliche Kritik an Betretungsverboten und der übersteigerte Verfolgungswille in Strafverfahren gegen Fußballfans. Die Kundgebung komplettierte ein Grußwort der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte.“


In Freiburg versammelten sich am Samstag etwa 300 Personen zu einer Kundgebung gegen eine Verschärfung des Polizeigesetzes. Ein Vertreter der Corrillo Ultras hielt bei dieser Kundgebung eine ausführliche Rede zum Thema (siehe weiter unten).


In Karlsruhe fanden am Samstag dezentrale Protestaktionen statt. Eine Kundgebung mit anschließender Demonstration wurde in der Fächerstadt erst am Sonntag abgehalten. Hier kamen etwa 1.000 Menschen aus verschiedenen politischen Gruppen und aus der Fanszene des Karlsruher SC zusammen, um den Unmut über die geplante Gesetzesverschärfung auf die Straße zu tragen. Die KSC-Fans fielen dabei vor allem durch laute Gesänge gegen Repressionen auf. Hinter einem „Gegengerade Karlsruhe gegen neue Polizeigesetze!“-Transparent zogen die KSC-Fans dabei durch die Stadt.

In der Oberliga Baden-Württemberg ruhte der Ball am vergangenen Wochenende, anders als in den oberen Ligen nicht, weshalb sich die Fanszenen von den Stuttgarter Kickers und dem SSV Reutlingen 05 nicht an den Aktionen auf den Straßen beteiligen konnten, die Proteste jedoch in die Stadien trugen. So zeigte die Szene E beim Auswärtsspiel in Bissingen ein „Nein zum neuen Polizeigesetz in BW! #NOPOLGBW“-Spruchband. Stuttgarter Kickers-Fans hielten beim Heimspiel gegen den TSV Ilshofen am Samstag im Stadion auf der Waldau ein „Freiheitsrechte verteidigen-Banner“ hoch. (Faszination Fankurve, 16.10.2019)


Faszination Fankurve dokumentiert die Rede der Corrillo Ultras vom 12. Oktober 2019:

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Teilnehmer und Teilnehmerinnen dieser Kundgebung,

wir alle sind hier heute zusammengekommen, weil wir eines wollen:

Unsere Freiheitsrechte verteidigen und die erneute Verschärfung des Polizeigesetz in Baden-Württemberg verhindern!

Doch nicht nur hier in Freiburg sind heute Menschen zusammengekommen, um diese Forderungen deutlich zu machen. In Stuttgart Karlsruhe und Mannheim finden heute ebenfalls Demonstrationen statt. Überall dabei sind organisierte Fußballfans.

Doch warum eigentlich? Wir möchten aus unserer Sicht berichten, wie auch Fußballfans immer wieder Opfer von fraglichen Polizeimaßnahmen und rechtswidriger Polizeigewalt werden.

Die Polizei ist bei Fußballspielen ein unerwünschter ständiger Begleiter geworden.

Sie fährt dabei gerne das ganz große Arsenal auf, sodass man zuweilen den Eindruck gewinnen könnte samstags sei eher Bürgerkrieg als ein ganz normaler Bundesligaspieltag.

Reiterstaffeln, Drohnen, Helikopter, Wasserwerfer und bei einem Zweitligaspiel letztes Jahr sogar eine SEK-Einheit.

Fußballfans können sich am Spieltag nicht frei bewegen, dürfen nur auf vorgeschriebenen Wegen zum Stadion laufen und erleben immer wieder wie die Polizei durch fragwürdige Einsatzstrategien Situationen schafft, in denen es nur noch vom Zufall abhängt, ob Menschen schwer verletzt werden.

Bei unserem letzten Auswärtsspiel in Stuttgart nahm die Polizei bewusst eine Massenpanik in Kauf, als sie mehrere hundert SC-Fans in einem wenige Meter breiten Korridor blockierte. Der Grund: einzelne Personen hatten auf dem Weg zum Stadion zuvor eine unbeachtliche Menge an Feuerwerkskörpern gezündet. Dass die Identität dieser Personen schon umgehend danach durch Polizeibeamte festgestellt worden war, war den Einsatzleitern anscheinend schlicht egal.

Ein anderes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Als wir im Vorfeld des zweiten Heimspiels dieser Saison mit über 100 SC-Fans eine Fahrradtour zum Dreisamstadion veranstalteten, ritten kurz vor dem Stadion urplötzlich und ohne erkennbaren Grund mehrere Polizeipferde in die Fahrradgruppe was zahlreiche Stürze zur Folge hatte.

Eine Reflektion und Aufarbeitung solcher fragwürdigen Einsätze finden unseres Erachtens nicht statt. Stattdessen begegnet die Polizei aktiven Fußballfans fortlaufend mit eskalierendem Verhalten und sinnlosen Machtdemonstrationen.

Für besonders unverhältnismäßig halten wir die Verhängung von Meldeauflagen und Betretungsverboten gegen Mitglieder der Freiburger Fanszene. Die betreffenden Personen dürfen im Rahmen von Heimspielen weite Teile der Freiburger Innenstadt und des Freiburger Ostens nicht betreten. Bei Auswärtsspielen müssen sich die Betroffenen zudem bei der Polizeidienststelle ihres Wohnorts melden und sollen so davon abgehalten werden, weiterhin Fußballspiele zu besuchen.

Diese massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Betroffenen erfolgt wohlgemerkt als präventive Maßnahme und nicht als Ahndung einer Straftat.

Dass die Polizei nun mit noch weitergreifenden Befugnissen ausgestattet werden soll als dies im Zuge der letzten Polizeigesetzverschärfung 2017 ohnehin schon geschehen ist, empfinden wir als unzumutbare Bedrohung nicht nur für unsere, sondern für die Freiheitsrechte aller Menschen in dieser Gesellschaft!

Es kann nicht angehen, dass es die Ausweitung der Schleierfahndung der Polizei in Freiburg zukünftig ermöglichen soll, jederzeit verdachtsunabhängige und damit schlicht anlasslose Kontrollen durchzuführen!

Es kann nicht angehen, dass die Polizei Software-Sicherheitslücken ausnutzt, um Menschen auszuspionieren, die noch nicht einmal eine Straftat begangen haben, anstatt diese Sicherheitslücken zu schließen!

Es kann nicht angehen, dass als Begründung für diese und weitere Eingriffe in unser aller Freiheitsrechte, immer fortwährend der Kampf gegen den Terrorismus angeführt wird, obwohl wir wissen, dass diese Maßnahmen letztendlich alle treffen werden, die der Polizei ein Dorn im Auge sind und die in dieser Gesellschaft keine große Lobby haben.

Geflüchtete, politische Gruppierungen und Fußballfans.

Deshalben stellen wir uns entschieden gegen die Pläne von Innenminister Strobl sagen ganz klar nein zur erneuten Polizeigesetzverschärfung in Baden-Württemberg!

Vielmehr fordern wir eine Rücknahme der Verschärfungen von 2017, da die Polizei auch hierdurch zahlreiche Befugnisse erlangt hat, die es ihr ermöglichen, massiv in unsere Grundrechte einzugreifen.

Weiter wollen wir bewirken, dass gravierende Veränderungen in Bezug auf die Aufarbeitung und die Ahndung von rechtswidriger Polizeigewalt stattfindet.

Es kann nicht angehen, dass es im letzten Jahr nur in knapp 2% der über 2000 Verfahren gegen Polizeibedienstete wegen Gewaltausübung zu einer Anklage oder einem Strafbefehl kam.

Es kann nicht sein, dass laut einem Forschungsprojekt zu der Thematik überhaupt nur jeder fünfte Fall rechtswidriger Polizeigewalt statistisch erfasst wird.

Die strafrechtliche Aufarbeitung von polizeilichem Fehlverhalten funktioniert offensichtlich nicht!

Wir fordern deshalb die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für alle Polizeibediensteten und die Schaffung von unabhängigen Ermittlungsstellen, die sich mit der Aufarbeitung von rechtswidriger Polizeigewalt befassen.

Die Polizei hat in Deutschland das Gewaltmonopol inne. Damit geht die Befugnis einher, tief in Grund- und Menschenrechte einzugreifen.

Daraus folgt für uns zwangsläufig, dass ihre Befugnisse nicht unnötigerweise über alle Maße hinweg ausgeweitet werden dürfen und dass polizeiliche Maßnahmen einer funktionierenden und unabhängigen Kontrolle unterliegen müssen.

Diese Forderungen in die Gesellschaft zu tragen ist unsere Aufgabe.

Deshalb noch einmal:

Freiheitsrechte verteidigen!

Nein zur erneuten Polizeigesetzverschärfung!






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