27.04.2010 - FC Carl Zeiss Jena

Polizeieinsatz hinterfragen


Nach dem Spiel FC Carl Zeiss Jena gegen den 1. FC Heidenheim kam es rund um das Ernst-Abbe-Sportfeld zu Auseinandersetzungen zwischen FCC-Fans und der Polizei. Die Jenenser Fanvereinigung Hintertorperspektive und Fansmedia Jena bezogen Stellung.

Faszination Fankurve dokumentiert das Schreiben von Fansmedia Jena:

Für die Fans des FC Carl Zeiss Jena sollte es eigentlich ein perfekter Fußballnachmittag werden. Nachdem die Heimmannschaft das richtungsweisende Spiel gegen den Konkurenten aus Heidenheim allerdings verloren hatte, trugen die Polizeikräfte noch zu einer weiteren Stimmungsverschlechterung an diesem Tag für viele Fußballfans bei.

Nach Abfiff der Partie verließ ein Großteil der Fans das Stadion relativ zügig. In der Südkurve, dem Stehplatzbereich der aktiven Fanszene, waren, wie nach jedem Spiel, noch viele Leute damit beschäftigt, Material und Fahnen einzuräumen und auf die Rückkehr der Stadionverbotler in die Kurve zu warten.

Wie schon zum Spiel zwei Wochen zuvor gegen Unterhaching positionierte sich am Südkurvenausgang, neben dem Flutlichtmast, eine Gruppe der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der 3. Bereitschaftspolizeihundertschaft aus Erfurt. Bereits zu jenem Spiel führte sie mehrere Personen zu einer Identitätsfeststellung ab, es bestand der Tatvorwurf des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zum Spiel des FC Carl Zeiss Jena beim FC Rot-Weiss Erfurt am 24. März 2010. Jedoch wurden die Personen nicht über den Tatvorwurf und den Hintergrund der Identitätsfeststellung aufgeklärt. Lediglich wurden die Verdächtigen abgefilmt und durchsucht, um sie nach dem Vergleich des Bildmateriales wieder gehen zu lassen.

Nun wollte die besagte BFE-Einheit auch zu diesem Spiel mithilfe von vorliegendem Bildmaterial einen Verdächtigen dingfest machen. Das besagte Foto sahen nach Spielende sowohl ein Szenekundiger Beamter (SKB) als auch ein langjähriger Mitarbeiter des Fanprojektes Jena. Beide konnten bestätigen, dass sie die gesuchte Person noch nie gesehen hatten und diese erst recht nicht den aktiven Fans zuzuordnen ist und sich ebenfalls nicht im Fanblock befindet. Doch alle Empfehlungen und Ansichten der Institutionen Fanprojekt und Zivilpolizei wurden zu Gunsten eines Zugriffs und der damit verbundenen möglichen Eskalation der bisher friedlichen Lage ausgeblendet.

Etwa zwanzig Minuten nach dem Spielende begab sich die Gruppe der Polizisten geschlossen zum Aufgang in Richtung Südkurve. Auf dem Weg zum Kurvendamm schalteten sie sofort ihr Kamera ein und wiesen Nachfragen, was das jetzt solle, sofort rabiat und beleidigend zurück. Nach wenigen Metern hatten sie ihr Zielobjekt gefunden und rissen es sogleich zu Boden, als sich der junge Fan mit den Widerworten „Nein“ gegen die Festnahme wehren wollte. Daraufhin setzte eine Gruppendynamik unter den noch anwesenden Fans ein, die ihren Freund ungerecht behandelt sahen und sich durch das ungewöhnlich unverhältnismäßige und rücksichtslose Verhalten bedroht fühlten. Die Polizeikräfte sahen sich nun der Wut und Ohnmacht von einer großen Gruppe Fußballfans gegenüber. Bei ihrem Abgang setzten sie mehrfach Pfefferspray ein, um die Fußballfans auf Distanz zu halten. Mittlerweile hatten sich die Vereinseigenen Ordner und einige Leute des Ordnungsdienstes zwischen die Fronten gestellt, um beschwichtigend, sowohl auf die Fans, als auch auf die Polizisten einzuwirken. Die Situation war kurz davor sich zu beruhigen, die BFE Einheit hätte nur noch das Szenario verlassen müssen, da kletterten einige behelmte Beamte der Bereitschaftspolizei über den Zaun vom Gästeparkplatz erst auf Dixi-K

los und waren somit schon mitten im Szenario. Wohlgemerkt hatten die BFE-Gruppe über Funk um Unterstützung gebeten, da sich „die Fans mit CS-Gas wehren“ würden. Jedoch haben sich die Polizisten, wahrscheinlich unabsichtlich, gegenseitig mit Pfefferspray besprüht. So brannte der Konflikt von neuem auf. Nun eilten wiederum einige der BFE-Beamten von hinten auf die Fans und sprühte willkürlich Menschen teilweise aus 30 cm Entfernung mit dem Reizstoff-Sprühgerät RSG-8 in die Augen, die sich nur im Rücken der Menschenansammlung bewegten und nur ihren Weg kreuzten, aber am Konflikt nicht beteiligt waren. Da auch die Beamten nicht unbedingt an einer Deeskalation interessiert waren und sich immer wieder provokant und beleidigend äußerten und dann wahllos Pfefferspray in die Menge sprühten gab es immer wieder Handgemenge und Aktionsfelder, in der nun auch die Ordner mehr und mehr von der Polizei angegangen wurden. Sowohl durch Schlagstöcke, als auch durch Pfeffersprayeinsatz wurden mehrere Ordner vorübergehend außer Gefecht gesetzt, die Lage konnte sich teilweise nicht entspannen, da die Polizei auch die Schlichter zeitweise als Widersacher erachtete. Erst nach und nach beruhigte sich die Lage, als die Polizisten endlich den Ort des Geschehens verließen und die Fans, wie schon während der Auseinandersetzung, Verletzten erste Hilfe leisten konnten.

Während der Identitätsfeststellung der BFE-Einheit mussten die Beamten dann feststellen, dass es sich bei dem Festgenommenen doch nicht um den Gesuchten auf dem Foto handelt. Mehr als die Haarfarbe kann beiden nicht gemeinsam erklärt werden. Da sich das ganze wahrscheinlich aber doch lohnen musste, bekam der Festgenommene eine Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, obwohl diese es waren, die unverzüglich Gewalt anwendeten. Ein weiterer Fan wurde brutal abgeführt und gut und gerne über 100 Meter Schotterkies gezogen. Mehreren Fans, sowie Ordnern musste erste Hilfe geleistet, sowie einige notärztlich behandelt werden.

Die Beamten der BFE Hundertschaft aus Erfurt traten in den letzten Wochen durch extrem provokantes Verhalten im Stadion auf. Das fängt damit an, dass einzelne Beamte pfeifend ihren Schlagstock über der Schulter tragen, geht über Schikanen während der Identitätsfeststellung bis zur bewussten Eskalation von eigentlich friedlichen Situationen. Der Szenekundige Beamte der Polizei und das Fanprojekt sind mit den Leuten der Fanszene vertraut und haben davon abgeraten, den Gesuchten zu diesem Zeitpunkt in der Südkurve ausfindig machen zu wollen. Wann, wenn nicht jetzt kann man deshalb NUR von Polizeiwillkür sprechen? Der Gesuchte ist nicht gefunden, der Festgenommene bekommt dafür noch eine Anzeige.

Ein belastendes Video ist schneller gelöscht, als eine Anzeige gegen Polizeibeamte oder eine Dienstaufsichtsbeschwerde überhaupt am Briefkasten ist. Der Glaube an Gerechtigkeit ist schneller verflogen, als der Staatsdiener dir grundlos Pfefferspray ins Gesicht gesprüht hat. Die Einstellung, dass sowas doch in unserem Staat schon alles irgendwie seine Berechtigung haben wird, ist eine Meinungsdoktrin und setzt gesellschaftliches Schubladendenken vorraus.

Fansmedia Jena

Faszination Fankurve dokumentiert die Stellungnahme zum „Polizeieinsatz“ nach dem Spiel Jena gegen Heidenheim von Hintertorperspektive e.V.:

Fassungslos und entsetzt wenden wir uns als Verein an die Öffentlichkeit. Wir fordern vom verantwortlichen Einsatzleiter eine Stellungnahme zum „Polizeieinsatz“ in der Südkurve nach dem Spiel des FC Carl Zeiss Jena gg. 1.FC Heidenheim.

Viele Institutionen bemühen sich, eine friedliche Atmosphäre im Stadion aufzubauen und auch unser Verein möchte dazu beitragen. In den letzten Jahren wurde in Jena dafür großes geleistet. Die ganze Saison verlief durchweg ohne nennenswerte Vorkommnisse, selbst bei den vermeintlich gefährlichen Derbys gegen Erfurt oder Dresden gab es keine Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans oder der Polizei.

Dass dieses Bild nun anscheinend sehr bewusst getrübt und verzerrt werden soll, ist im Stile des Samstag nachmittags geradezu skandalös, leider aber auch bezeichnend für die derzeitige Einsatztaktik bei Fußballspielen in Jena und Thüringen.

Zum Spiel gegen den 1.FC Heidenheim sollte durch die anwesende BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) eine Person identifiziert werden, die im Verdacht steht, sich beim Derby gegen FC Rot-Weiß Erfurt vermummt zu haben. Ein Foto mit der gesuchten Person wurde dem szenekundigen Beamten (SKB) und dem Fanprojektleiter vorgelegt. Beide sagten aus, dass es sich bei der gesuchten Person nicht um ein Mitglied der zu diesem Zeitpunkt in der Kurve anwesenden aktiven Fanszene handelt. Der später Festgenommene ist außerdem aktenkundig, eine Personalienfeststellung deshalb überhaupt nicht notwendig. Ohne weitere Absprache mit den szenekundigen Beamten stürmte besagte BFE nun in die Kurve und riss den jungen Zeissfan äußerst rabiat zu Boden. Völlig überrumpelt hatte dieser hierbei nicht die Möglichkeit, sich zu wehren, was ihm aber später qua Anzeige vorgeworfen wurde. Die Szenen, die sich im Folgenden abspielten, der wiederholte Einsatz massiver Gewalt und erheblicher Mengen Pfefferspray gegen wehrlos am Boden liegende Fans und Ordner stimmen uns wütend und traurig.

Unser Verein leistet Jugendsozialarbeit und vermittelt ein friedliches Miteinander im Stadion und davor. Doch wie soll man Jugendlichen Gewaltverzicht erklären, wenn sie ansehen müssen, wie schwerbewaffnete und nicht-identifizierbare Beamte auf brutalste Art und Weise eine Festnahme durchsetzen, die weder angekündigt, noch in irgendeiner Form gerechtfertigt ist und im Anschluss daran, nachdem die Situation beruhigt schien, noch einmal in die Fans stürzen und dabei Angestellte der Sicherheitsfirma BRU sowie Ordner des FCC teils erheblich verletzen und mit Pfeffergas besprühen? Und das wegen einer Personenfeststellung die jeder Grundlage entbehrt. Alle Bemühungen der Fanprojektarbeit und des Vereins Hintertorperspektive werden dadurch (im wahrsten Sinne des Wortes) mit Füßen getreten.

Der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei dieser Aktion um eine Provokation handelt, die nur dem Zweck dient, die Fans als Aggressor gegen die Polizei darzustellen und Straftatbestände wie: „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ und „Versuchte Gefangenenbefreiung“ vorlegen zu können, die Fans also zu kriminalisieren und das eigene Vorgehen und eigene Gewalttaten im Nachhinein zu legitimieren. Welcher aufrichtige Mensch, würde sich nicht gegen die Nötigung und Misshandlung durch fremde Personen stellen?

Das Missachten der Aussage des SKB, die Festnahme, das brutale Vorgehen dabei und somit das gezielte Eskalieren einer vollkommen harmlosen Stimmung nach dem Spiel, vermittelt außerdem den Eindruck, dass hier die Konfrontation nicht nur in Kauf genommen, sondern direkt gesucht wurde.

Die Polizei scheint hier gezielt ein „Feindbild Fußballfan“ aufzubauen. Durch Provokation und Eskalation wird ein mediales Bild des gewalttätigen Stadionbesuchers heraufbeschworen. Die Gewalttaten der Beamten gegen die Ordnungskräfte des FCC, denen man auch mit viel Phantasie keinerlei Vorwürfe machen kann, setzen diesem Einsatz noch die Krone auf.

Der durchgeführte Einsatz war völlig unverhältnismäßig und unnötig. Die Verantwortlichen für den Einsatz müssen sich für diesen öffentlich rechtfertigen und entschuldigen.

Außerdem stehen einige Fragen offen, die beantwortet werden müssen:

- Wer hat diesen Einsatz angeordnet und überwacht?

- Wer war an diesem Einsatz beteiligt?

- Wie sind dieser Einsatz und die Vorgehensweise begründet?

- Wie kann es sein, dass ausgewiesene, klar erkennbare Ordner des Vereins und einer externen Firma, die in der Situation deeskalierend auf die Fans einwirken wollten mit Schlägen und Reizgas traktiert werden?

- Wird gegen die Vollstreckungsbeamten eine Untersuchung wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet und wenn nein, warum nicht?

Wir hoffen, dass sich solche Szenen in Zukunft nicht wiederholen werden und wünschen den verletzen Fans und Ordnern gute Genesung.

Der Vorstand und die Mitglieder der Hintertorperspektive e.V.

Fanfotos FC Carl Zeiss Jena




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