10.07.2014 - FC Carl Zeiss Jena

"Das ist niemand vermittelbar"


Faszination Fankurve sprach mit Matthias Stein vom Fanprojekt Jena, der sich eine rechtsstaatliche Überprüfung der Weitergabe von DFB-Strafen wünscht. Außerdem beklagt er sich über eine DFB-Strafe, die Jena wegen einem kreativen Protest gegen RB Leipzig erhalten hat.

Faszination Fankurve: Oftmals wird von Außenstehenden wahrgenommen, dass der Kontakt zwischen Verein und der Fanszene immer problematischer wird bzw. zum Teil nicht mehr existent ist. Wie sehen Sie als Vermittler das allgemein und vor allem im Hinblick auf Ihren Verein?
Matthias Stein: Ungeachtet eines Eindrucks, der vielleicht von außen entstehen kann, wenn man sich sein Urteil nur anhand von Medienberichten bildet, ist am hiesigen Standort eine funktionierende Kommunikation zwischen Verein und Fanszene, insbesondere auch mit der Ultràszene, durchaus vorhanden. Sicher kann auch die Berufung eines langjährigen Vertreters der Fanszene in das neue Vereinspräsidium als Indiz hierfür gesehen werden. Als Fanprojekt werden wir diesen Dialog selbstverständlich weiter fördern und unterstützen, wobei für Gesprächsrunden wie beispielsweise kürzlich zwischen „Südkurven – Rat“ und Vereinsspitze natürlich auch gern unsere Räumlichkeiten genutzt werden können.

Faszination Fankurve: Letztes Jahr haben die Clubs der 1 bis 3. Liga Strafen in Höhe von ca. 1,7 Millionen Euro nach Fanaktionen zahlen müssen. Die Vereine reagieren unterschiedlich, immer mehr versuchen die Strafe auf die Verursacher zu übertragen. Wie stehen Sie als Fanprojekt zur Übertragung solcher Strafen und wie wirken diese auf betroffene Fans und deren Umfeld?
Stein: Zunächst wäre zu hinterfragen, ob dies einer rechtsstaatlichen Überprüfung standhält, wenn Strafen aus Verbandsstrafrecht zivilrechtlich gegen Einzelpersonen geltend gemacht werden sollen. Wenn man sich dann die Höhe verschiedener Verbandsstrafen anschaut, insbesondere im Verhältnis zur eigentlichen „Tat“, wie beispielsweise einem Becherwurf, so ist es weder hinnehmbar noch sinnvoll, hier Personen in ihrer wirtschaftlichen Existenz zu zerstören. Ausgehend von der bisherigen Praxis, nach der sich bei jedem Verstoß eines Anhangs die Verbandsstrafe für den Verein entsprechend erhöht, wird dann derjenige, der als Erster beispielsweise beim „Zündeln“ erwischt wird besser gestellt als der, welcher ein paar Spieltage (und Vorkommnisse) später ermittelt wird? Das ist niemand vermittelbar. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, hier darf es keine Sonderstrafen für Besucher von Fußballveranstaltungen geben! Besonders fragwürdig sind außerdem Verbandsstrafen für missliebige Transparente. Was ist mit dem verfassungsmäßigen Recht auf freie Meinungsäußerung? Ich möchte hier insbesondere daran erinnern, dass selbst die sehr kreative und humorvolle Aktion vor Jahresfrist, RB Leipzig ein paar gefakte Fahnen an den Zaun des Gästeblockes zu „zaubern“, bestraft wurde – nicht nachvollziehbar angesichts einer völlig friedlichen und ausgesprochen witzigen Fan-Aktion.


Faszination Fankurve: Immer wieder beklagen Fanprojekte eine Unterfinanzierung. Sind Sie mir den Mitteln, die Ihnen im Moment zur Verfügung stehen zufrieden? Was würden Sie konkret mit weiteren Mitteln umsetzen?
Stein: Mit der seit letztem Sommer deutlich erhöhten Zuwendungen des Fußballs (DFB/DFL) sowie den Beschlüssen der Innenministerkonferenz und der Sportministerkonferenz und entsprechenden Beratungen des Städtetages, wonach seitens der Länder und Kommunen die Förderung mindestens in der bisherigen Höhe fortgesetzt wird, hat sich die finanzielle Situation der meisten Fanprojekte deutlich verbessert, selbstverständlich auch bei uns. In diesem Kalenderjahr konnten wir unsere Angebote aufstocken und werden noch einige Investitionen (beispielsweise Fahrzeuge) tätigen. In der Perspektive möchten wir den internationalen Austausch mit unserem Paten-Projekt in Warschau ausbauen und z.B. Gedenkstättenfahrten unternehmen.

Faszination Fankurve: Die Mehrheit der Strafen hat mit dem Einsatz von Pyrotechnik zu tun. Seit Jahren ist der Einsatz von Pyro das zentrale Thema, ohne dass sich etwas bewegt. Lässt sich überhaupt eine Lösung finden?
Stein: Zunächst ist es begrüßenswert, wenn der DFB, wie bereits auf dem Fankongress angekündigt, den Vereinen die Freigabe sämtlicher üblicher „normaler“ Fanutensilien wie Zaunfahnen, Doppelhalter, große Schwenkfahnen usw. empfehlen will. Für die Fanszenen, insbesondere die Ultras, ist der kontrollierte Einsatz von Pyrotechnik natürlich immer noch ein wichtiges Thema. Lösungen lassen sich nur im Dialog finden, und natürlich muss letztlich immer die Gesetzeslage berücksichtigt werden. Als Fanprojekt werden wir diesen Prozess gern begleiten und bei Bedarf moderieren.

Faszination Fankurve: Was waren die relevanten Fanthemen in Ihrem Verein/Fanszene in der vergangenen Saison?
Stein: Beherrschendes Thema war sicherlich der von der Mitgliederversammlung des Vereins beschlossene Verkauf von großen Anteilen der Spielbetriebs GmbH an den belgischen Investor Roland Duchatelet bzw. dessen Firma „Staprix NV“, in dessen Folge sich die Ultraszene eine Denkpause und einen Stimmungsverzicht auferlegten, der natürlich zu kontroversen Diskussionen führte. Mittlerweile ist ein neues Präsidium im Amt, und es gab bereits mehrere Gespräche, die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Nachdem das sportliche Ziel des Aufstiegs in die 3. Liga deutlich verfehlt wurde, hat der sensationelle 5:0-Endspielerfolg über den derzeit eine Liga höher kickenden Erzrivalen aus der Landeshauptstadt und die damit verbundene Qualifikation für den DFB-Pokal noch für ein halbwegs versöhnliches Ende des Spieljahres gesorgt.

Faszination Fankurve: Die Ultràgruppen in Deutschland sind längst aus den Kinderschuhen gewachsen. Teilweise verfügen die Gruppen über eigene Räumlichkeiten, greifen teilweise immer weniger auf Angebote der Fanprojekte zurück. Wie steht es zu Ihrem Kontakt zu den Ultras im Moment und inwiefern haben Sie als Fanprojekt noch Einfluss auf die Ultras bei Ihrem Verein?
Stein: Als Fanprojekt haben wir nicht unbedingt die Aufgabe „Einfluss auf die Ultras“ zu haben, sondern vielmehr Angebote der Jugendhilfe zu entwickeln und anzubieten. Funktioniert das, hat man natürlich auch einen Zugang zur Zielgruppe, noch dazu, wenn aufgrund langjähriger kontinuierlicher Arbeit ein Vertrauensverhältnis gewachsen ist. Dies hat sich hier auch nicht geändert, obwohl die Ultras bekanntlich seit mehreren Jahren eigene Räumlichkeiten betreiben, wo ebenfalls tolle Veranstaltungen stattfinden. Ein wöchentlicher Treff im Fanprojekt wurde dennoch beibehalten, und im sogenannten „Lokal“ sind die Fanprojektler, denke ich, gern gesehen und jederzeit willkommen.

Faszination Fankurve: In zahlreichen Fanszenen gab es in den vergangenen Jahren Übergriffe rechtsgerichteter Fans auf linksgerichtete Fans innerhalb der gleichen Fanszene. Gab es solche Vorfälle bei Ihnen auch und wie haben Sie interveniert oder versuchen Sie schon vorab präventiv aktiv zu werden?
Stein: Akute diesbezügliche Vorkommnisse können wir zum Glück verneinen, aber uns ist selbstverständlich bewusst, dass innerhalb einer Fanszene bzw. unter mehreren Tausend Zuschauern auch Personen sind, die über Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit oder auch ein geschlossenes rechtes Weltbild verfügen. Entsprechende Umfragen wie beispielsweise der „Thüringen – Monitor“ sprechen hier eine deutliche Sprache. Der Verein hat sich deutlich positioniert, auch mit entsprechenden Paragraphen in der Satzung, und im Stadion entsprechende Symbole, Codes und Bekleidungsmarken verboten. Wir sehen unsere Aufgabe darin, Aufklärungsarbeit zu leisten, auch mit anderen Partnern aus Stadt und Region. So war in diesem Jahr ein Workshop zu Vielfalt und Toleranz Bestandteil unserer traditionellen „Blau – gelb – weißen Osterferien“.

Faszination Fankurve: Das Thema Gewalt wird in den Medien häufig thematisiert. Wie würden Sie die aktuelle Lage in der Fanszene einschätzen? Kommt es häufig zu Auseinandersetzungen, Hausbesuchen, Raub von gegnerischen Fanutensilien etc.?
Stein: Durch eine teilweise doch recht reißerische Berichterstattung entsteht oft ein falscher Eindruck. Bei Veranstaltungen mit mehreren tausend , meist männlichen, Besuchern kann es natürlich auch zu Gewalt kommen, aber das sollte nicht einzig und allein im Fokus stehen, noch dazu, wenn die Stadien im Vergleich zu jeder Kirmes deutlich sicherer sind. Ich kann eine solche Entwicklung am Standort nicht bestätigen und würde mir wünschen, dass im Zusammenhang mit Fans auch mal deren Choreografien oder karitative Aktivitäten den gebührenden Platz in den Medien bekämen. Momentan besteht die Gefahr des negativen Lerneffektes, nur mit Gewalt auch mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. (Faszination Fankurve, 10.07.2014)

Fanfotos FC Carl Zeiss Jena




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