18.03.2009 - Deutschland

Stimmung und Sicherheit sind keine Gegensätze


Der DFB und die DFL haben heute auf einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main nochmals mit Nachdruck betont, dass sie gemeinsam mit Politik und Polizei weiterhin konsequent gegen jede Form von Gewalt beim Fußball vorgehen wollen.

Grundsätzlich stellte dazu DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach fest: „Es ist unstrittig, dass es zuletzt nicht zu tolerierende Fehlentwicklungen gab. Deshalb verfolgen wir die aktuelle Situation mit Sorge und Wachsamkeit. Doch wir wehren uns gegen unsachliche und pauschale Schuldzuweisungen.“ Niersbach betonte, dass „kriminelle Ausschreitungen“ ein gesellschaftliches Phänomen seien und manche Personengruppen die Bühne des Fußballs missbrauchen würden. Deutschland werde um die tolle Stimmung in den Stadien beneidet, aber Stimmung und Sicherheit sind nach Niersbach keine Gegensätze. Nur durch das weiterhin gemeinsame Engagement der Politik und der Polizei mit den Vereinen und Verbänden könne man erreichen, dass die Problematik weder dramatisiert noch bagatellisiert werde und als faire Partner gemeinsam sachgemäße Lösungen gefunden werden können.

Ergänzend dazu merkte der für Rechtsfragen zuständige DFB-Vizepräsident

Dr. Rainer Koch an: „Selbstverständlich gehört dazu auch, dass gezielte Provokationen von Pseudo-Fans im Zusammenhang mit Fußball-Spielen und konkrete Gesetzesverletzungen von den staatlichen Stellen schnell und konsequent geahndet werden.“ Bei aller Wertschätzung der Fanprojekt- und Präventivarbeit gäbe es auch aktuelle Vorfälle, die nicht in den Bereich der Sportgerichtsbarkeit und Ordnungsdienste in den Stadien fielen, so Koch weiter: „Wenn Straftaten begangen werden, ist ausschließlich die Polizei gefordert, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten, damit die Gerichte handeln können.“

Parallel dazu setzen DFB und DFL wie bisher auf die große Masse der friedlichen Zuschauer. Dazu äußert Niersbach: „Niemand darf in und vor den Stadien wegschauen, wenn Chaoten mit Gewalt oder Rassismus ihre tumben Ziele verfolgen. Die ‚Allianz der Vernünftigen’, wie unser Präsident oft sagt, ist hier gefordert, Zivilcourage zu zeigen.“ Eine klare Absage erteilte Holger Hieronymus, Geschäftsführer Spielbetrieb der DFL, der mehrfach von der Polizei-Gewerkschaft erhobenen Forderung, dass Fußball-Vereine den Einsatz von Polizisten bei Spielen bezahlen müssten: „Dies ist immer wieder aufs Neue eine populistische und unbegründete Stimmungsmache. Damit diskreditieren die Polizei-Gewerkschaften nur sich selbst. Die Bundesliga-Klubs haben das gleiche Recht wie alle anderen gesellschaftlichen Gruppierungen, dass die Polizei bei öffentlichen Veranstaltungen ihren dienstlichen Verpflichtungen nachkommen muss. Wenn Sicherheit in Deutschland davon abhängt, ob man sie bezahlen kann, dann wäre dies mehr als fatal. Bei der Verkehrsregelung und möglichen Straftaten gilt das Monopol der Polizei.“ Der Fußball bezahle die Steuern bei Bundesliga- und auch bei Länderspielen in beachtlicher Höhe. Allein die 36 Profiklubs haben in der Saison 2007/08 insgesamt 665 Millionen Euro Steuern gezahlt. Bezahlte Polizei-Einsätze kämen daher einer Doppel- und Dreifach-Besteuerung von Vereinen oder DFB gleich, erklärte Hieronymus.

Der DFB-Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn widersprach in diesem Zusammenhang außerdem den Darstellungen, dass in dieser Saison eine Zunahme von strafbaren Handlungen innerhalb der deutschen Fußball-Stadien zu registrieren sei und die Ausschreitungen sich in die unteren Ligen verlagern würden. „Wer das behauptet, sagt schlichtweg das Falsche. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle in den Stadien sind in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen, denn die Sicherheitsstandards der Vereine von der Bundes- bis in die Regionalliga sind auf Grund der Vorschriften und Konzepte des DFB auf einem sehr hohen Niveau.“ Allerdings sei eine Tendenz erkennbar, dass sich gewalttätige Delikte zunehmend in den öffentlichen Raum verlagern würden, also außerhalb der Stadien, auf der An- und Abreise oder weit vor Spielbeginn oder nach Abpfiff, berichtete Spahn. Einige Forderungen der Polizei-Gewerkschaften nach mehr Sicherheit in den Stadien, um die Einsatzzahlen der Polizei zu reduzieren, würden somit ins Leere laufen. „Wichtig ist, dass gerade in solchen Fällen alle Verantwortlichen die Realitäten objektiv beschreiben, um daraus konstruktive Konzepte und Handlungsstrategien zu entwickeln“, betonte Spahn, der dazu interessantes Zahlenmaterial vorlegte.

Nach einer DFB-Auswertung der Verlaufsberichte der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) über die sicherheitsrelevanten Vorkommnisse bei den Spielen dieser Saison in Bundesliga, 2. Bundesliga und 3. Liga bis zum 11. März 2009 wurden bei insgesamt 117 Begegnungen konkrete Verfehlungen und Verstöße festgestellt. Dabei wurden in 100 Fällen jeweils Delikte außerhalb der Stadien registriert. Von 46 Vorkommnissen im Stadion wurden vom DFB 42 sportgerichtlich geahndet (davon allein 22 Mal das Zünden oder Werfen von Pyrotechnik und zweimal gewalttätige Auseinandersetzungen). Aufschlussreich sind außerdem die Zahlen der von den Clubs in der Bundesliga, 2. Bundesliga und 3. Liga in der Vorrunde dieser Saison eingesetzten Ordnungskräfte und die sich daraus ergebenden Kosten für die Vereine. Danach wurden 130.000 Ordner für die 506 Begegnungen der ersten drei Klassen engagiert und dafür 23,4 Millionen Euro Personalkosten von den Klubs gezahlt.

Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS), erklärte zur aktuellen Situation unter anderem: „Die Bemühungen des DFB zur sicheren Durchführung von Fußball-Spielen sind auf einem sehr guten Niveau und im internationalen Vergleich vorbildlich.“ Aus der Perspektive der Fan-Projekte seien nach Gabriel insbesondere die Aktivitäten im präventiven Bereich herauszustellen, denn hier spielten die Interessen der Zuschauer und Fans bezüglich gastfreundschaftlicher Aufenthalts-Bedingungen in den Stadien eine wichtige Rolle.

Kritische Anmerkungen machte Prof. Dr. Gunter A. Pilz, Mitglied der DFB-Kommission für Prävention und Sicherheit, zur Entwicklung der in jüngster Vergangenheit in den Blickpunkt gerückten Ultras. Pilz erklärte dazu: „Es bereitet mir große Sorgen, dass es bei polizeilichen Einsätzen immer wieder zu Solidarisierungsprozessen der überwiegenden Zahl der friedlichen Ultras mit den gewaltbereiten Ultras gegen die Polizei kommt.“

Grundsätzlich stellte Pilz fest: „Die Ultra-Bewegung kann als eine neue Jugendkultur angesehen werden, in der sich einerseits jugendliche Kreativität, Engagement und Begeisterungsfähigkeit, andererseits jedoch auch Gewaltbereitschaft, Hass und Feindseligkeit ausleben. Für die Zukunft bleibt abzuwarten, in welche Richtung sich die Ultra-Szene entwickelt.“ Pilz sieht einen Scheideweg: Setzt sich das große Potenzial an Einfallsreichtum der Ultras durch oder geht aus Teilen dieser Szene, den von Pilz verwendeten Begriff ‚Hooltras’, ein neues Gewaltpotenzial hervor? Viel werde davon abhängen, wie es den Verbänden und Vereinen und vor allem der Polizei gelingen wird, auf diese Szene differenziert und sensibel zu reagieren, betonte Pilz. (Faszination Fankurve, 18.03.2009)

Fanfotos Deutschland




Weitere News:
03.07.2014: "Allianz für ein friedliches Fußballerlebnis"
18.06.2014: „WM ist sicher kein Fest der Fankultur“
02.04.2014: WM 2014: Public Viewing auch nach 22 Uhr möglich
21.02.2014: Welcher Verein hat die schlausten Fans?
27.06.2012: 2. Bundesliga beginnt am dritten August

Alle 296 News anzeigen