01.12.2018 - Fans

Fankultur, Gewalt & Kommerz in der Weimarer Republik


Der Sporthistoriker und Journalist (u.a. FAZ, SPIEGEL) Erik Eggers hat ein Buch über den Fußball in der Weimarer Republik veröffentlicht. Im Interview erzählt er, unter welchen Bedingungen sich der Fußball zum Massenphänomen entwickeln konnte, wie sich die ersten Fankulturen herausbildeten und warum Gewalt und Kommerzialisierung auch damals schon Thema waren.

Faszination Fankurve: Sie schreiben, der deutsche Fußball sei erst mit Beginn der Weimarer Republik zum Massenphänomen geworden. Nicht schon vor 1914?
Erik Eggers: Nein. Die Zuschauermassen, die vor 1914 in England und Schottland schon zum Alltag gehörten, gab es erst mit dem Beginn der Weimarer Republik. Erst nach 1920 kamen über 20.000 Fans in die Stadien, 1923 waren es beim Finale HSV gegen Oberschöneweide sogar über 50.000. Und auch die nötigen Treibmittel eines solchen Massensports sehen wir erst nach 1918.


Faszination Fankurve: Welche Treibmittel?
Eggers: Na, die Kommerzialisierung. Die Zahl der Fußballzeitungen explodierte nach 1918 förmlich – 1928 gab es über 500 Sportzeitungen in Deutschland. Zigarettenkonzerne wie Bulgaria oder Reeemtsma legten, weil die Fußballer so populär waren, den Packungen damals schon Sammelbilder als Werbemittel bei. Heiner Stuhlfauth, der berühmte Keeper des 1. FC Nürnberg, war Testimonial für Kaffee Hag. Bierfirmen investierten in den Fußball, teilweise waren sie, wie in Elberfeld, sogar am Stadionbau beteiligt. Dieser Bau neuer moderner Stadien, etwa in Köln, Schalke, Oberhausen, Frankfurt, München, Nürnberg, Hannover, Hamburg oder Dresden, war genau wichtig.


Faszination Fankurve: Wer baute und bezahlte die Stadien?
Eggers: Die Kommunen. Und zwar mit enormen Zuschüssen vom Staat, aus dem „Fonds der produktiven Erwerbslosenfürsorge“. Die Idee war, mit dem Stadionbau die Arbeitslosen von der Straße zu holen. Einer der Oberbürgermeister, die das zuerst umgesetzt haben, war Konrad Adenauer in Köln. Eigentlich sollte das neue Stadion rechtsrheinisch gebaut werden. Adenauer aber argumentierte, dass man in Müngersdorf noch mehr Arbeitskräfte benötigen würde, deshalb ging man in den Grüngürtel.

Faszination Fankurve: Sie schreiben, dass es schon in den 20er Jahren viel Randale auf den Rängen gab. Womit hing das zusammen?
Eggers: Einerseits war das Spiel viel brutaler als heute. Das lag auch daran, dass viele Fußballer das Spiel im Ersten Weltkrieg an der Front kennengelernt hatten. Manchmal reichte ein hartes Foul auf dem Feld, dann kochten die Emotionen auf den Rängen hoch, dann flogen Flaschen und Steine. Andererseits wurden die Fangruppen der verschiedenen Clubs damals noch nicht so kategorisch getrennt wie heute. Oft kam es auch vor, dass Schiedsrichter verprügelt wurden, weil die Fans die Regeln gar nicht richtig kannten.


Faszination Fankurve: Gab es damals schon organisierte Fangruppen?
Eggers: Nein. Nicht in der Art wie heute. Aber es bildeten es sich in der Weimarer Republik die ersten Subkulturen im Fußball aus. Vorher hatten sich die Milieus oft über soziale Gruppen oder über die Konfession definiert, das änderte sich nach 1918. Nun konnten Arbeiterklubs wie Waldhof Mannheim plötzlich vielen Menschen eine Identität stiften, und es kam, wenn diese Fangruppen auf den Rivalen VfR Mannheim trafen, der eher bürgerlich geprägt war, zu Konflikten. Dabei spielte auch der Ort eine Rolle – in dem Sinne, dass Fans diesen Ort, der ihre Heimat war, gegenüber fremden Fans verteidigten.

Faszination Fankurve: Waren die Fans schon so viel unterwegs wie heute?
Eggers: Sie reisten nicht so weit wie heute, weil die Spielklassen damals sämtlich regional organisiert waren, eine Bundesliga gab es noch nicht. Wenn zum Beispiel der FC Schalke 04 in Duisburg spielte, dann organisierten die Schalke-Fans zum Beispiel Handwagen, um ihren Bier-Proviant zu verstauen. Aber zu den Endrundenspielen reisten schon viele Fans mit der Mannschaft mit. Als der 1. FC Nürnberg 1920 in Frankfurt das erste Mal Deutscher Meister wurde, gab es schon einen Sonderzug aus Franken.

Das Buch „Fußball in der Weimarer Republik“ (160 Seiten) ist im Verlag Eriks Buchregal (www.eriksbuchregal.de) erschienen und kostet Euro 29,90.






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