28.04.2018 - Stadionverbote

„Willkürliche Verbannung wird nicht mehr möglich sein“


Nachdem das Bundesverfassungsgericht gestern einen Beschluss veröffentlicht hat, wonach ein bundesweit gültiges und auf Verdacht ausgesprochenes Stadionverbot für rechtmäßig erklärt wurde (Faszination Fankurve berichtete), haben der Fanrechtefonds und die Arbeitsgemeinschaft Fananwälte zum Thema Stellung bezogen.

Zwar wurde die Verfassungsbeschwerde abgewiesen, doch der Fanrechtefonds betont, dass das Bundesverfassungsgericht das Anhörungsrecht bei der Vergabe von Stadionverboten als obligatorisch eingestuft hat. Der Fanrechtefonds, der die Verfassungsbeschwerde finanziert und begleitet hat, ist erfreut darüber, dass das Anhörungsrecht bei Stadionverboten nun Verfassungsrang hat. Die Fananwälte erklären, dass durch die Gerichtsentscheidung die Hürden für die Aussprache von Stadionverboten erhöht wurden und willkürliche Verbannungen von Fußballfans nun nicht mehr möglich seien. (Faszination Fankurve, 28.04.2018)


Faszination Fankurve dokumentiert die Stellungnahmen des Fanrechtefonds und der AG Fananwälte:

Die Stellungnahme des Fanrechtefonds zum Thema:
BVerfG: Ab heute hat das Anhörungsrecht bei Stadionverboten Verfassungsrang

Fast neun Jahre lang hat sich das Bundesverfassungsgericht Zeit gelassen, um über „unsere“ Verfassungsbeschwerde zu befinden. Heute hat es endlich seine Grundsatzentscheidung zu Stadionverboten verkündet. Formal gesehen wurde die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, doch das Gericht hat einige Pflöcke eingerammt, die Fußballfans in Zukunft vor unberechtigten Stadionverboten schützen können.

Bis zuletzt hatte der DFB bestritten, dass die Vereine verpflichtet sind, betroffene Fans anzuhören und ihnen eine Begründung für das Stadionverbot mitzuteilen. Dieser Ansicht des DFB hat das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage erteilt. Mit der heute verkündeten Entscheidung hat das Anhörungsrecht von Fußballfans in Sachen Stadionverbot ab sofort Verfassungsrang. Das ist eine gute Nachricht, denn noch immer werden viele Stadionverbote ohne vorherige Anhörung ausgesprochen und völlig unzureichend begründet.

Die Verfassungsbeschwerde, über die das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, war 2009 auf Initiative und mit Unterstützung des Fanrechtefonds erhoben worden. Wir hätten uns ein noch kraftvolleres Urteil gegen die zweifelhafte Stadionverbotspraxis in Deutschland vorstellen können. Es wird sich zeigen müssen, welche Auswirkungen die Entscheidung auf die Handhabung bei DFB und Vereine sowie auf die Rechtsprechung der Instanzgerichte hat. Die AG Fananwälte ist jedenfalls optimistisch, dass künftig eine willkürliche Verbannung von Fußballfans nicht mehr möglich sein wird. Verfassungsrechtler feiern die Entscheidung als „sensationell“ und „guten Tag für die Freiheitsrechte“.

Das Bundesverfassungsgericht wird schon selbst in Kürze zeigen können, was seine heutige Entscheidung Wert ist. Denn in Karlsruhe ist noch eine weitere Verfassungsbeschwerde des Fanrechtefonds anhängig. Sie betrifft einen Fan, der am Dortmunder Hauptbahnhof beim Diebstahl einer Tube Haargeld und eine Flasche Wasser im Wert von 4,94 € erwischt wurde und beim Fluchtversuch einen Ladendieb leicht schubste. Ob das nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ausreicht, um „eine begründete Besorgnis zu sehen, dass von diesem Fan die Gefahr künftiger Störungen“ im Stadion ausgeht? Wir sind gespannt.

Die Stellungnahme der AG Fananwälte zum Thema:
Grundrechte gelten auch für Stadionbesucher – AG Fananwälte zur Entscheidung des

Grundrechte gelten auch für Stadionbesucher – Bundesverfassungsgericht stellt hohe Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Stadionverboten: Konkrete und nachweisliche Tatsachen von hinreichendem Gewicht müssen vorliegen – vorherige Anhörung ist zwingend

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in seinem heute veröffentlichten Beschluss vom 11.04.2018 (1 BvR 3080/09) erstmals entschieden, dass die Grundrechte – konkret das Verbot der Willkür und Ungleichbehandlung des Art.3 GG – auch bei der Verhängung von Stadionverboten durch private Fußballvereine Anwendung finden müssen. Bei allgemein zugänglichen Sportveranstaltungen handle es sich um eine spezifische Konstellation, in der die Grundrechte mittelbare Drittwirkung entfalten und auch im privaten Rechtsverhältnis zwischen Stadionbesucher und Spielveranstalter gelten. Die Veranstalter dürfen daher ihre Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen.

Ein Stadionverbot müsse sich auf „konkrete und nachweisliche Tatsachen von hinreichendem Gewicht stützen.“ Nicht ausreichend sollen beispielsweise Ermittlungsverfahren sein, die offensichtlich willkürlich und/oder aufgrund falscher Tatsachenannahmen eingeleitet wurden.

Unter Berücksichtigung des Grundgesetzes sollen sich weitere verfahrensrechtliche Anforderungen ergeben: Die Stadionbetreiber müssen alle ihnen zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternehmen. Dazu gehöre jedenfalls grundsätzlich die vorherige Anhörung der Betroffenen. Auch ist die Entscheidung auf Verlangen zu begründen, um den Betroffenen die Durchsetzung ihrer Rechte zu ermöglichen.

Unsere Bewertung:

Der Senat hat sich sehr ausführlich zu den Anforderungen an Stadionverbote über den konkret zu beurteilenden Einzelfall hinaus geäußert. Dies zeigt, dass das BVerfG den Fall sehr ernst genommen hat und klare Anforderungen an die verfassungsmäßigen Voraussetzungen von Stadionverboten konstatieren wollte.

Der Entscheidung sind klare Handlungsanweisungen an die Hausrechtsinhaber und auch die Instanzengerichte zu entnehmen: Der Spielbetriebs-Veranstalter muss eine eigene Plausibilitätskontrolle durchführen – insbesondere wenn ihm formularhaft von den Ermittlungsbehörden mitgeteilt wurde, dass ein Ermittlungsverfahren gegen eine bestimmte Person eingeleitet wurde. Wenn sich ein Stadionverbot lediglich auf ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren stützt, müssen die Instanzengerichte eine eigene Prüfung vornehmen, ob tatsächlich ein auf Tatsachen gestützter Anfangsverdacht vorgelegen hat. Ermittlungsverfahren, die beispielsweise im „Gießkannenprinzip“ ohne ausreichenden Anfangsverdacht lediglich von der Polizei eingeleitet werden, genügen diesen Vorgaben nicht.

Jedenfalls auf Anforderung des Betroffenen müssen das Stadionverbot und die ihm zugrunde liegenden Tatsachen begründet werden. Dies ist besonders wichtig, um das spätere Austauschen von Gründen zu verhindern.

Die Anforderungen an die rechtmäßige Erteilung von Stadionverboten werden dergestalt erhöht. Eine willkürliche Verbannung von Fußballfans wird nicht mehr möglich sein!






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